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Ende eines Giganten

2. Februar 2010

Ein Prachtexemplar, knallbunt und 1.300 Seiten dick, ein Bestseller, der Millionen erreichte: Der Katalog des untergegangenen Versandhauses "Quelle". In Bonn setzt man ihm ein theatralisches Denkmal.

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Quelle-Katalog (Foto: Theater Bonn)
Fundgrube 'Quelle'-KatalogBild: Thilo Beu

Waren das noch Zeiten! Als die Kleider neun Mark fünfundneunzig kosteten und so schöne Namen wie "Osnabrück" oder "Rüdesheim" hatten! Als es "Hüftformer" mit auswechselbarem Gummizug gab! "Guten, dankbaren Kräuselkrepp"! Und die Schwitzanfälle auslösenden Kunststoffe "Nyltest" und "Helanca" als der Hit unter den neuen Textilien angepriesen wurden! Die Herren der Schöpfung "dreifädige Plüschunterhosen" für zwei Mark bestellen konnten! Damals, als in bundesdeutschen Haushalten die Devise galt: "Erst mal sehn, was Quelle hat".

Die Darsteller Susanne Bredehöft, Anke Zillich, Günter Alt mit dem Katalog (Foto: Theater Bonn)
'Kunden' an der 'Quelle'Bild: Thilo Beu

Theatralischer Nachruf

Nach der Abwicklung dieses einst größten Versandhauses Europas, mit all ihren sozialen und ökonomischen Folgen, war es nun an der Zeit, "Quelle" - wenigstens posthum - ein theatralisches Denkmal zu setzen. Das Theater Bonn hat dies als erste deutsche Bühne getan. Nicht mit einer sozialkritischen Anklage, sondern in Form einer Revue, so knallbunt wie der "Quelle"-Katalog. Videoclips alter Werbefilme, Texte, Songs und bekannte, aber umgedichtete Schlager wurden dabei zu einem unterhaltsamen Abend kombiniert. Den drei Darstellern – Susanne Bredehöft, Anke Zillich, Günter Alt – sind die Klamotten "im Wildseidencharakter" oder aus vollwaschbarem Kunststoff förmlich auf den Leib geschneidert, und auch Perücken und Make-up atmen das Flair der frühen Jahre unserer Republik.

Anke Zillilch und 'Der Wunderquell' (Foto: Theater Bonn)
Anke Zillich und 'Der Wunderquell'Bild: Thilo Beu

Konsumträume

Das Bestellen nach Katalog, das ganze Versandhauswesen hat die Alltagskultur der Deutschen jahrzehntelang geprägt. Der "Quelle"-Katalog war die Bibel des Wirtschaftswunders, Symbol für die biedere Welt der Kleinbürger zwischen Musiktruhe und Bügelbrett. Er erreichte Millionen Leserinnen und Leser und war bis zuletzt so etwas wie ein Bestseller, denn er versprach die Erfüllung aller Wünsche und Träume.

Szene aus dem Stück (Foto: Theater Bonn)
Wunderwelt der WarenBild: Thilo Beu

Diese schöne neue Welt hatte indes auch ihre Schattenseiten: Wenn Raten nicht mehr bezahlt werden konnten und die aus dem Katalog geborenen Träume zerplatzten. Das Versandhaus "Quelle" stand aber auch für die Geschichte des Konsums, oder – um mit Karl Marx zu sprechen – für den sprichwörtlichen "Fetischcharakter der Ware".

Ein Gigant verschwindet

Das Verschwinden des einstmals größten europäischen Versandhändlers vom Markt hatte Folgen insbesondere für die betroffenen Mitarbeiter – tausende wurden entlassen. Es endete aber auch eine Alltagskultur, die das Leben vieler Deutscher jahrzehntelang geprägt hatte. Zum Schluss half, wie wir längst wissen, gar nichts mehr: Nicht die Einbaumöbel, nicht die Fertighäuser, nicht die Reiseangebote, und auch nicht die "Quelle" - Sexartikel. Der Versandgigant wirkte nur noch altbacken.

Szene aus dem Stück (Foto: Theater Bonn)
Erotisch und begehrt: KatalogjünglingeBild: Thilo Beu

Das Bonner Theater setzt mit seiner amüsanten Revue auf eine Mischung aus Unterhaltung mit nostalgischen Einsprengseln und einer Prise Sozialkritik. Nicht nur vom überquellenden Angebot betörte Kunden kommen zu Wort, Frauen, die den schicken Katalogjünglingen regelrecht verfallen sind, Männer, die hingebungsvoll von einem Flachdachbungalow träumen, sondern auch das "Quelle"- Personal: früher begeistert dabei, zuletzt nur noch als Abwracktruppe erwünscht singen sie: "Bring den Vorschlaghammer mit, wenn wir heute Abend geh’n, dann hau’n wir alles kurz und klein. Der alte Schrott muss raus, denn neuer Schrott kommt rein – bis morgen muss der ganze Rotz verschwunden sein".

Autorin:Cornelia Rabitz

Redaktion: Manfred Götzke