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Politik

Das Trauma bleibt

Alex Gitta | Martina Schwikowski
8. Oktober 2016

Vor 20 Jahren entführten ugandische Rebellen 139 Schulmädchen. Ihre schrecklichen Erlebnisse prägen die Frauen bis heute. Viele von ihnen kämpfen noch immer dafür, ihre Würde im Alltag wiederzuerlangen.

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Uganda Ehemalige Entführungsopfer der Lord’s Resistance Army Joyce Amono
Entführungsopfer Joyce AmonoBild: DW/A. Gitta

Joyce Amono sitzt an ihrer Nähmaschine in einem kleinen Laden in der Stadt Gulu. Sie näht Kleidung, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Lang ist es her, seit sie dem Busch entkommen konnte. Die junge Frau ist eine von vielen Mädchen, die vor 20 Jahren von den Rebellen der ugandischen "Widerstandsarmee des Herrn " (LRA) entführt und vier Jahre lang zu einem Leben mit ihnen in den Wäldern gezwungen wurde.

Damals ging Amono noch auf die St. Mary's Schule in Aboke, im Norden Ugandas - so wie auch Eunice Achiro. "Wir hatten Gerüchte gehört, dass die Rebellen unsere Schule überfallen wollen", sagt Achiro. Die Mädchen blieben deshalb häufig in ihren Dörfern. Aber an dem besagten Tag glaubte die Schulleitung, es würde nichts geschehen, deshalb kamen die Mädchen in die Schule. Das wurde ihnen zum Verhängnis.

Uganda: Ein Zuhause für Kindersoldaten

Die Rebellen drangen in die Schule ein und entführten 139 Mädchen. "Es war schrecklich und fühlte sich zunächst wie ein Traum an. Aber dann erkannte ich, das ist wirklich wahr", erinnert sich Achiro. Eine italienische Nonne konnte mit den Rebellen verhandeln - 109 der verschleppten und missbrauchten Mädchen kamen wenige Tage später wieder frei. Joyce Amono gehörte nicht dazu. Ein Rebell machte sie zu seiner Frau. Sie musste mit ihm zusammenleben und bekam von ihm ein Kind. Der ugandischen Armee gelang es erst im Jahr 2000, die restlichen Mädchen aus den Händen der Rebellen zu befreien.

Schlächter von Uganda

Verantwortlich für das Leid der Schülerinnen und tausender anderer Menschen in der Region ist die Rebellengruppe von Joseph Kony, auch "Schlächter von Uganda" genannt. Seit 1987 führte Kony die "Lord's Salvation Army", die Heilsarmee Gottes, eine Widerstandsgruppe gegen den ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni. 1992 benannte er sie in "Lord's Resistance Army", Widerstandsarmee des Herrn, um. Mit Hilfe seiner Anhänger wollte Kony einen Gottesstaat gründen, regiert nach den Zehn Geboten. Kony galt lange Zeit als der meistgesuchte Kriegsverbrecher, bis heute konnte er nicht aufgegriffen werden.

Leader Kony
Noch immer flüchtig: Rebellenführer Joseph KonyBild: picture-alliance/dpa

Die Milizen der LRA haben hunderte Dörfer überfallen, Zivilisten im Norden Ugandas gefoltert und Schätzungen zufolge seit Beginn der Rebellion 100.000 Menschen hingerichtet. Mehr als zwei Millionen Menschen sollen vertrieben worden sein. Inzwischen ist die LRA stark geschwächt. 

Kriegsverbrecher vor Gericht

 Konys Stellvertreter, Dominic Ongwen, hatte sich 2015 amerikanischen Truppen gestellt. Der Ex-Kindersoldat soll bei seinem Kommandanten Kony in Ungnade gefallen sein und war geflohen. Im Januar 2016 eröffnete der Internationale Strafgerichtshof den Vorprozess gegen Ongwen. Ankläger werfen ihm Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Mord, Folter und Versklavung vor.

Für Frauen wie Joyce Amono  und Eunice Achiro ist das Gerichtsverfahren nur ein schwacher Trost. Die Verschleppung hat bei ihnen tiefe seelische Wunden hinterlassen. "Ich habe im Busch sehr gelitten. Auch seit meiner Rückkehr geht es mir nicht gut. Ich bin jetzt Mutter und habe Kinder. Das kann ich nicht ändern", sagt Amono. Doch sie gibt sich tapfer: "Ich habe zwei gesunde Füße, auf denen ich fest stehe. Ich muss stark sein für meine Kinder." Ihre Nähmaschine, das Geschenk einer Hilfsorganisation, hilft ihr dabei. Denn auch nach der Rückkehr in ihr Dorf hält ihr Überlebenskampf an: Amono wurde von ihrer Familie verstoßen. Für ihre  Angehörigen gilt sie als "unrein". Ein Schicksal, das sie mit vielen der ehemals entführten Mädchen teilt.

Uganda Ehemalige Entführungsopfer der Lord’s Resistance Army Anyira Constance
Anyira Constance (Mitte) ist auch ein "Aboke-Girl". Heute lebt sie mit ihren beiden Töchtern in dem DorfBild: DW/A. Gitta

Angst und Trauma halten an

Viele der Opfer stecken noch voller Angst und Trauma. So auch Joyce. Sie zieht es vor, über die Erlebnisse nicht zu sprechen: Die Kinder der ehemals verschleppten Frauen sollen nicht erfahren, dass ihre Väter mordende Rebellen sind. Ihr Alltag ist schwierig, Beziehungen sind belastet. Ihr Freund verließ sie, als er herausfand, dass sie eines der "Aboke-Mädchen" ist. Mit ihm hat sie ebenfalls ein Kind.

Geprägt von ihren tragischen Erlebnissen fällt die Eingliederung in ein normales Leben nicht leicht. Doch es gelang einigen, wieder zur Schule zu gehen und sogar einen Uni-Abschluss zu machen. Andere arbeiten für einheimische Organisationen in ihren Gemeinden, wie zum Beispiel Grace Achan. Sie ist bei dem Frauen-Netzwerk "Women's Advocacy Network" aktiv und sagt: "Wir müssen unsere Würde zurückerlangen und wie andere Menschen in unseren Gemeinden leben."