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Abraham Guem: Rennen für den Frieden

Sarah Wiertz in Tokio
3. August 2021

Mittelstreckenläufer Abraham Guem aus dem Südsudan ist zusammen mit vier Landsleuten vor 21 Monaten in Japan gestrandet. Bei den Olympischen Spielen in Tokio ist er chancenlos, ihm geht es aber um mehr als Medaillen.

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Japan Abraham Guem und Kollegen in Maebashi
Bild: Kuihiko Miura/AP Photo/picture alliance

Abraham Majok Matek Guem hat viel Neues kennengelernt. Die beheizten Toiletten, die automatisch abziehen. Tunnel, die durch Berge führen. Selbst die japanische Sprache ist ihm nicht mehr ganz fremd. "Nur an eines gewöhne ich mich nicht: Sushi", sagt Guem der DW.

Seit 21 Monaten lebt der Mittelstreckenläufer aus dem Südsudan in Japan. Eigentlich sollte es nur ein langes Trainingslager im Vorfeld der Olympischen Spiele werden - initiiert vom Programm zur Wiederversöhnung der südsudanesischen Bevölkerung in Kooperation mit der japanischen Agentur für internationale Zusammenarbeit. Durch die Verschiebung der Olympischen Spiele um ein Jahr ist Japan für ihn nun fast schon eine zweite Heimat geworden.

Große Solidarität mit dem Team aus Südsudan

"Wir haben uns hier nie wie Fremde gefühlt. Tatsächlich grüßen uns öfter mal die Leute auf der Straße und wünschen uns viel Glück", erzählt Guem. Wir, das sind drei weitere Leichtathleten und ein Trainer aus dem Südsudan.

Viele Einheimische haben die gestrandeten Sportler ins Herz geschlossen, besonders die Menschen in Maebashi, einer Stadt im Landesinneren, rund 100 Kilometer von Tokio entfernt, wo die Südsüdanesen leben. Sie haben gespendet - mittlerweile umgerechnet rund 300.000 Euro -, damit die Athleten aus Afrika weiter ihren großen Traum von den Olympischen Spielen verfolgen konnten.

Japan Abraham Guem und Kollegen in Maebashi
Die Menschen in Japan, speziell in Maebashi, haben die Sportler aus Südsudan ins Herz geschlossenBild: Kuihiko Miura/AP Photo/picture alliance

"Unsere Mission ist noch nicht erfüllt. Bisher haben wir noch nichts erreicht", sagt Guem, der nur ab und an mit seinen Angehörigen sprechen kann und seine Familie sehr vermisst. "Ich mache das hier für mein Land, nicht für mich. Ich möchte Frieden in mein Land bringen." Es mag sich pathetisch anhören, doch der 22-Jährige meint es wirklich so. 

Eines der ärmsten Länder der Welt

Guem wuchs in den Wirren des Bürgerkriegs auf, sein Stiefbruder wurde getötet. Fast 400.000 Menschen starben durch Gewalt, Hunger und Krankheit. Seit 2011 ist der Südsudan unabhängig, gilt jedoch als eines der ärmsten Länder der Welt. Es gibt 3,8 Millionen Flüchtlinge in und außerhalb des Südsudan.

Seinen ersten Wettkampf lief Guem in seinen schwarzen Schulschuhen. Später lieh er sich neue Schuhe von der Schule. Bei seinem Abschluss musste er sie wieder abgeben, damit ein anderer Schüler sie weitertragen konnte. Zum Training lief Guem jedes Mal die 17 Kilometer bis zur Hauptstadt Juba, durch trockenes und steiniges Gelände. Meistens hatte er nur eine kleine Mahlzeit am Tag.

Japan Abraham Guem und Kollegen in Maebashi
Guem beim Besuch eines katholischen Gottesdienstes in MaebashiBild: Kuihiko Miura/AP Photo/picture alliance

Hier in Japan mussten sich Guem und sein Leichtathletik-Team keine Sorgen mehr ums Essen machen. In Maebashi erhielten sie drei Mahlzeiten pro Tag - im Rathaus der Stadt. Morgens ging es zur Schule, um Japanisch zu lernen. Ab mittags wurde trainiert. Im April lief Guem persönliche Bestzeit über 1500 Meter: Drei Minuten, 42 Sekunden und 99 Hundertstel.

Friedensbotschaft für den Südsudan

Das reichte eigentlich nicht, um sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Doch wegen einer neuen Regel, nach der jede Nation - unabhängig vom Ranking - zu den Spielen mindestens eine Frau und einen Mann entsenden kann, durfte Guem in Tokio starten. 

An diesem Dienstag hatte er seinen großen Tag. Im Olympia-Stadion von Tokio lief er die 1500 Meter - so schnell wie noch nie zuvor in einem Wettkampf. Seine Vorlaufzeit von 3:40:86 Minuten reichte jedoch nicht fürs Finale. Der Traum von einer olympischen Medaille in Tokio ist ausgeträumt. Doch wichtiger war ihm ohnehin etwas anderes.

Der 22-Jährige wollte seine Landsleute mit seinem Olympia-Start stolz machen, ihnen Hoffnung geben und mit einer Botschaft heimkehren: "Ich komme aus einer armen Familie. Ohne Unterstützung von vielen Menschen, vor allem hier in Japan, hätte ich all das hier nicht erreicht", sagt Guem. "Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, einander zu helfen und füreinander da zu sein - anstatt sich gegenseitig umzubringen."

DW Kommentarbild Sarah Wiertz
Sarah Wiertz Teamleiterin Sport Online