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Pirateneinsatz

Ludger Schadomsky1. Dezember 2008

Der Einsatz der deutschen Fregatte "Mecklenburg-Vorpommern" am Horn von Afrika: Ist er eine "wirkungslose Geste an die USA", wie Kritiker meinen? DW-Reporter Ludger Schadomsky verschaffte sich vor Ort einen Eindruck.

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Fregatte 'Mecklenburg- Vorpommern' patrouilliert im Golf von Aden. Quelle: DW, Ludger Schadomsky
Fregatte "Mecklenburg- Vorpommern" patrouilliert im Golf von AdenBild: DW/Ludger Schadomsky

"Weihnachtspost bitte bis zum 04.12. einreichen": Ein Schild an der Tür der kleinen Poststelle mahnt die 250 Besatzungsmitglieder der "Mecklenburg-Vorpommern", die Briefe und Karten zum Fest rechtzeitig auf den Weg zu geben.

Der Postmeister weiß, dass die Angehörigen in Deutschland mehr als in früheren Jahren auf ein Lebenszeichen aus Afrika warten: Am Samstag vor einer Woche (22.11.2008) hat die "MeckPomm" den Hafen von Dschibuti verlassen, um die kommenden fünf Monate die Seewege am Horn von Afrika zu patrouillieren: Jene Seewege, die seit Wochen von somalischen Piraten blockiert werden, die mit gewagten Geiselnahmen Millionenbeträge von den Reedereien erpressen – darunter auch deutsche.

Die Kommando-Brücke der 'Mecklenburg-Vorpommern'. Quelle: DW, Ludger Schadomsky
Die Kommando-Brücke der "MeckPomm"Bild: DW/Ludger Schadomsky

"Die Angehörigen sind besorgt, haben schon Kontakt zum Familienbetreuungszentrum aufgenommen, damit sie nicht nur aus der Presse informiert werden", sagt Rebecca Broksch, die Zahnärztin an Bord.

Sinnloser Einsatz?

Offiziell unterscheidet den jetzigen Einsatz nichts von zahlreichen zuvor seit dem 11. September 2001, als die NATO nach den Anschlägen in den USA den Bündnisfall erklärte und Deutschland Teil der Anti-Terror-Mission "Operation Enduring Freedom" (OEF) wurde. Seitdem haben deutsche Soldaten und Matrosen das Einsatzgebiet von der achtmaligen Größe Deutschlands aus der Luft und zur See erkundet. Aufgebracht haben sie dabei freilich wenig, von einigen Waffen und einem größeren Drogenfang abgesehen.

Hubschrauber der Bundesmarine am Horn von Afrika im Kampf gegen Piraterie. Quelle: DW, Ludger Schadomsky
Kontrolliert wird ein Gebiet achtmal größer als DeutschlandBild: DW/Ludger Schadomsky

Das liegt nicht nur an der Größe des Mandatsgebietes, das die Seekarte auf der Brücke der "Mecklenburg-Vorpommern" rot ausweist. Auch die so genannten "Rules of Engagement", die Einsatzregeln der deutschen Mission, sind speziell: So darf das besonders ausgebildete "Boarding"-Team einen "Kontakt", ein verdächtiges Schiff also, nur mit Erlaubnis des Kapitäns betreten, um Fracht und Besatzung zu kontrollieren. Eine Verhaftung Verdächtiger sieht das deutsche OEF-Mandat nicht vor – das übernehmen im Zweifelsfall die Amerikaner.

Auch die internationalen Spielregeln auf See behindern ein effektives Patrouillieren: Die "Mecklenburg" darf nicht ohne Erlaubnis in das zwölf Seemeilen tiefe Hoheitsgebiet etwa des Jemen eindringen, ausgerechnet jenes Landes also, das als Transitpunkt des organisierten Drogen- und Waffenschmuggels am Horn gilt.

Zuletzt wurden deshalb die Stimmen lauter, die den deutschen Einsatz am Horn als teure und weitgehend wirkungslose Geste gegenüber den amerikanischen Verbündeten kritisierten. Dessen ungeachtet wurde das deutsche Mandat am 13. November verlängert, wenngleich die Obergrenze auf 800 Soldaten abgesenkt wurde.

Klare Entscheidung vonnöten

Und jetzt also auch noch Piraten. Dass dieser kein normaler Einsatz ist, beweist ein Besuch im Schiffslazarett: Erstmals sind ein Chirurg und ein Narkosearzt an Bord - für alle Fälle; auf dem Übungsprogramm stehen Bergungen Verletzter. Die Alarmbereitschaft für die gesamte Besatzung wurde erhöht.

Die Torpedo-Kammer. Quelle: DW, Ludger Schadomsky
Die Torpedo-Kammer: Bislang wurden die Geschosse nicht eingesetztBild: DW/Ludger Schadomsky

"Die Anspannung ist groß", sagt Radarmeister Thomas Stoetzel. Der 29-jährige Oberbootsmann, der zuletzt in der UMIFIL-Mission im Libanon diente, ist im Gefechtsfall in der Operationszentrale der "MeckPomm" für die Lageeinschätzung zuständig. Bei ihm laufen die so genannten "Chat-Mails" aus dem Hauptquartier in Bahrain auf dem Bildschirm auf. "Es wäre schön, eine klare Entscheidung der Politik zu haben. Wir benötigen jetzt eine schnelle Lösung, denn wir sind hier unten auf uns allein gestellt. Ich muss meinen Untergebenen doch sagen können, was wir dürfen und was nicht", so Stoetzel.

Weiterhin kein robustes Einsatzmandat

Doch Radarmeister Stoetzel wird sich wie seine Kameraden gedulden müssen: Bis der Bundestag eine Entscheidung fällt, wird es möglicherweise bis zur letzten Sitzungswoche vor Weihnachten dauern. Denn gleich vier Ministerien sind involviert: Innen-, Außen-, Justiz- und Verteidigungsministerium. Während Außenminister Frank-Walter Steinmeier zuletzt in Indien einen robusteren Einsatz Deutschlands forderte, stößt Verteidigungsminister Franz Josef Jung an Kapazitätsgrenzen: Neben der "MeckPomm" ist die Fregatte "Karlsruhe" unter NATO-Flagge im Roten Meer unterwegs – in einer Anti-Piraten-Mission, ohne aber Piraten festsetzen zu dürfen. Auch für die im Dezember anlaufende Anti-Piraten-Mission der EU, "Operation Atalanta", haben die Deutschen Unterstützung zugesagt.

Die deutsche Fregatte 'Emden' verlässt im Juli den Hafen von Dschibuti. Zwei Bundeswehrsoldaten in Tropentarn und Schwimmweste winken ihr nach. Quelle: DPA
Die deutsche Fregatte "Emden" wurde im Sommer aus der Region abgezogenBild: picture-alliance/ dpa

Das Innenressort treibt dabei vor allem die Frage um, wie die in der Verfassung festgeschriebene Aufgabenteilung von Polizei und Armee den Bedürfnissen vor Ort angepasst werden kann. So könnte ein Staatsanwalt aus Deutschland einfliegen, um eine mögliche Überstellung zu prüfen beziehungsweise den Fall an die somalischen Behörden zu übergeben – die allerdings nicht funktionieren. "Absurdistan vor der Küste Afrikas", schallt es aus der Opposition.

"Ob mehr möglich ist, ist Sache der Politik; ich werde mich nicht außerhalb meines Mandates stellen", sagt Fregattenkapitän Kay-Achim Schönbach, der Kommandant der "Mecklenburg-Vorpommern". Ob er sich als Spielball der Berliner Politik betrachtet ? "Nein, eigentlich nicht. Streichen Sie das "eigentlich" lieber."

Piraterie eine Sache der UN

Dabei fürchten Beobachter, dass es schon bald zu einem heillosen Chaos im Golf von Aden kommen könnte, wenn nämlich Kriegsschiffe von OEF (Operation Enduring Freedom), NATO und EU mit jeweils unterschiedlichen Mandaten kreuzen, zudem Russen, Inder und Spanier gewohnt hemdsärmlig und außerhalb der Koalition ihre eigenen Handelsschiffe eskortieren und deren Crews möglicherweise bewaffnen.

Somalia-Sondergesandter Ould Abdallah. Quelle: DPA
Somalia-Sondergesandter Ould-Abdallah: "Die Piraterie muss vor den UN-Sicherheitsrat".Bild: picture-alliance/ dpa

"Die Piraterie vor Somalia muss an die höchstmögliche Instanz delegiert werden, also den UN-Sicherheitsrat", fordert der Somalia-Sondergesandte von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, Ahmedou Ould-Abdallah, im Gespräch mit der Deutschen Welle in Dschibuti. Eine Bombardierung der somalischen Piratenhochburg Eyl, wie zeitweise diskutiert, würde ohnehin eine Resolution des UN-Sicherheitsrats erfordern.

Derweil monieren die Somalis, dass die internationale Gemeinschaft binnen Wochen schlagkräftige Marineverbände für die Wahrung der eigenen Wirtschaftsinteressen aufbringt, eine politische Lösung für Somalia aber nur halbherzig verfolgt. Der ehemalige somalische Außenminister Ismail Adullahi sagte der Deutschen Welle: "Ich wünsche mir noch Hunderte Geiselnahmen, damit sich die Staatengemeinschaft endlich mit Somalia beschäftigt."

Vielleicht ergibt sich, während Berlin noch diskutiert, eine natürliche Lösung des Piratenproblems: Bald endet am Horn von Afrika die ruhige Seewetterlage, dann ziehen Stürme auf. Bei hoher See aber sind die Piraten weit weniger manövrierfähig als bei dem derzeit vorherrschenden guten Wetter. Das würde allerdings bedeuten, dass sie in den kommenden Wochen ihre Aktivitäten ausweiten, um soviel Lösegeld wie möglich zu scheffeln. Keine gute Nachricht zum Weihnachtsfest.

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