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Politik

"Abzustumpfen ist keine Option"

Helena Kaschel
21. Juni 2017

Carmen Perez nennt Donald Trump nur "Nummer 45" - denn er sei nicht ihr Präsident. Wie es ein halbes Jahr nach dem Women's March um den Aktivismus in den USA steht, beschreibt dessen Mitorganisatorin im DW-Interview.

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Women's March in Washington USA
Bild: picture-alliance/AP Photo/J. L. Magana

DW: Vor sechs Monaten gingen nach der Amtseinführung Donald Trumps weltweit Millionen Menschen auf die Straße, in Washington D.C. allein schätzungsweise 500.000. Am sogenannten Women's March nahmen Demonstranten aller Altersgruppen teil, Frauen und Männer, Menschen mit verschiedenen sexuellen Orientierungen und sozialen Hintergründen. Warum hat dieser Protest so viele Gruppen mobilisiert?

Carmen Perez: Ich denke, nach der Präsidentschaftswahl haben viele Menschen eine tiefe Verzweiflung gespürt. Als ich von Washington D.C. nach New York zurückgefahren bin und wir erfahren haben, dass er (Anm. d. Redaktion: Donald Trump) gewonnen hat, hat es sich angefühlt, als sei ein Familienmitglied gestorben. Dieses Gefühl haben wir ein paar Tage mit uns herumgetragen - und eine große Wut angesichts der Tatsache, dass 56 Prozent der weißen Frauen für ihn gestimmt haben. Ich glaube, viele von uns haben unseren Communities gegenüber eine Verantwortung gespürt sicherzustellen, dass er weiß, dass es für ihn nicht einfach wird. Aber ich denke, die ganze Welt hatte dieses Gefühl - das Gefühl, dass das alles ein Witz ist. Wenn ich Geschichten von Leuten aus Deutschland, Lateinamerika oder anderen Regionen höre, scheinen viele ihm gegenüber eine ähnliche Einstellung zu haben.

Carmen Perez (National Co-Chair of Women's March & Executive Director of The Gathering for Justice, Women's March, USA)
Wünscht sich, dass aus dem historischen Women's March eine politische Bewegung wird: Aktivistin Carmen PerezBild: DW/K. Danetzki

Ein weiterer Grund für den Erfolg des Women's March war die Vielfalt in unserem Team: Wir hatten vier Co-Vorsitzende, 70 nationale Organisatoren und mehr als 400 Koordinatoren auf der Ebene der Bundesstaaten. Wir haben auch ganz bewusst auf Inklusion geachtet, haben eine politische Plattform geschaffen, mit der sich alle Frauen identifizieren können, und die am meisten abgehängten Gruppen in den Mittelpunkt gestellt. Man muss Einstiegsmöglichkeiten finden für diejenigen, die sich beteiligen wollen, man muss es zugänglich machen. Einige Leute haben Geld gespendet, andere haben sich als Freiwillige gemeldet. Wir hatten ein klares Ziel, den 21. Januar, deshalb war es für die Menschen realistisch. Jetzt arbeiten wir daran, dass aus einem Moment eine Bewegung wird.

Wie bleibt man als Aktivist in Zeiten von Trump empört und verhindert gleichzeitig, dass man sich verausgabt oder abstumpft?

Es ist schwierig. Ich wache jeden Tag wütend auf. Ich wache auf und erfahre, dass eine 17-jährige Muslima aus Virginia ermordet wurde. Ich wache auf und höre, dass unsere muslimischen Brüder und Schwestern von einem Autofahrer angegriffen wurden. Ich wache auf und höre, dass schwarze Männer in diesem Land immer noch von der Polizei getötet werden. Ich wache auf und höre, dass eine junge schwarze Mutter getötet wurde, als sie den Notruf abgesetzt hat. Als Frau, die tief in einem Umfeld verwurzelt ist, das durch viele dieser Probleme geprägt ist, bin ich jeden Tag empört. Meine Familie ist von Kriminalität, Inhaftierung und Gewalt geprägt. Wenn ich einen Anruf von Zuhause bekomme, habe ich manchmal Angst, gesagt zu bekommen, wer gerade ermordet wurde oder jemanden ermordet hat. Aber ich muss meine Wut durch Handeln kanalisieren. Und wenn man einen Mentoren hat wie Harry Belafonte, kann man sich einfach nicht beschweren, weil man die Opfer sieht, die sie gebracht haben, und die Langlebigkeit ihres Aktivismus. Das inspiriert mich.

Women's March in Washington USA
Rund 500.000 Teilnehmer protestierten beim "Women's March" im Januar gegen den neuen US-Präsidenten Donald TrumpBild: Reuters/L. Nicholson

Viele Trump-Gegner in den USA bezeichnen sich als Teil der "Resistance" - des Widerstands. Gerade am Anfang von Trumps Präsidentschaft, als er seinen Einreisestopp zum ersten Mal vorgestellt hatte, gab es viele Proteste. Ein halbes Jahr später gehen immer noch Menschen auf die Straße, aber niemand weiß, wie lange Trump noch im Amt bleiben wird. Für wie nachhaltig halten Sie diese Bewegung?

Ich würde den Leuten sagen: Denkt an die Gruppen, die am meisten marginalisiert sind. Abzustumpfen ist keine Option. Viele von uns und viele Menschen vor uns waren viele Jahre im Widerstand. Der Widerstand hat nicht erst am 8. November begonnen. Wenn ihr müde seid, findet etwas, um euch zu regenerieren. Aber wir brauchen Menschen, die ihre Wut in Handeln umwandeln, die Politik verändern wollen, Kontakt zu ihren Nachbarn herstellen. So einfach ist es. Ihr müsst nicht jeden einzelnen Tag auf die Straße gehen. Man kann eine Pause machen und sich über etwas freuen, aber die Bewegung muss nachhaltig sein. Wir dürfen nicht zulassen, dass "Nummer 45" uns Rechte wegnimmt, für die so viele vor uns gekämpft haben.

Welche Rolle spielen die sozialen Medien heute für den Aktivismus in den USA?

Ich denke, sie sind großartig, wenn es darum geht, uns zu organisieren. Aber wir müssen auch persönliche Beziehungen mit Menschen aufbauen. Wir müssen mit Leuten reden, nach draußen gehen, an Türen klopfen, zum Hörer greifen. Wenn man die sozialen Medien mit dieser Art der Organisation verbindet, sind sie ein mächtiges Werkzeug.

Wie bewerten Sie die Berichterstattung der US-Medien über Aktivismus und Proteste in den Vereinigten Staaten, insbesondere gegen die Trump-Regierung?

Ich würde den Medien raten, sich mit den Menschen auseinanderzusetzen, die von seiner Politik am meisten betroffen sind. Wir wollen nicht diffamiert und kriminalisiert werden. Für die Zukunft wünsche ich mir mehr Ausgewogenheit in der Berichterstattung.

Carmen Perez ist eine preisgekrönte Aktivistin, Co-Vorsitzende des Women's March und Geschäftsführerin von "The Gathering of Justice", einer 2005 von Harry Belafonte ins Leben gerufenen Organisation.

Das Gespräch führte Helena Kaschel Helena Kaschel am Rande des von der DW veranstalteten Global Media Forums.