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AfD im Bundestag: Der kalkulierte Eklat

26. November 2020

Ein Jahr vor der Bundestagswahl in Deutschland setzt die rechte Partei AfD auf Eskalation. Ihr Vorbild: Donald Trump. Die Methode ist zerstörerisch - am Ende vielleicht sogar für die Partei selbst.

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Deutschland Sitzung des Bundestags | AfD-Bundestagsfraktion
AfD-Fraktionsmitglieder reagieren bei einer Sitzung des Bundestages auf einen RedebeitragBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Im Rausch der Wahlnacht macht Alexander Gauland ein donnerndes Versprechen: "Wir werden sie jagen", ruft er seinen politischen Gegnern entgegen. Der Saal tobt. Es ist der 24. September 2017. Die noch junge Partei Alternative für Deutschland (AfD) hat einen glanzvollen Wahlsieg eingefahren und wird aus dem Stegreif größte Oppositionspartei in Deutschland. Und Alexander Gauland wird der neue mächtige Fraktionsvorsitzende im Parlament. Drei Jahre später ist klar: Das Versprechen sollte keine Metapher bleiben.

Am 18. November 2020 bedrängen und beschimpfen mehrere rechte Aktivisten mit laufender Kamera Abgeordnete verschiedener Parteien im Parlamentsgebäude. Sie machen Druck gegen ein geplantes Gesetz der Bundesregierung. Die Männer und Frauen sind als Gäste angemeldet. Ihre Gastgeber: Mitglieder der rechten AfD-Fraktion. Sie sind offenbar bewusst eingeschleust worden, um die Aktionen durchzuführen und dann anschließend die Videos in den Sozialen Medien hochzuladen.

Die Bilder sind aggressiv: eine Frau bedrängt den Wirtschaftsminister am Fahrstuhl, verspottet ihn, beleidigt ihn. Die Aktion macht im Parlament schnell die Runde. Andere Aktivisten klopfen an Bürotüren und wollen mit ihrer Kamera Abgeordnete und ihre Mitarbeiter unter Druck setzen.

Neue Dimension des Antiparlamentarismus

Britta Haßelmann war zu diesem Zeitpunkt im Plenarsaal des Reichstags. Sie ist die Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion der Grünen. "Da war eine große Unsicherheit unter den Mitarbeitern. Und dieses Destruktive, Antiparlamentarische hatte, bei aller Erfahrung mit der AfD, eine neue Dimension", erzählt sie der Deutschen Welle.

Deutschland Sitzung des Bundestags | Britta Haßelmann (Bündnis 90/Die Grünen)
Britta Haßelmann kritisiert das Verhalten der AfD-Fraktion im Bundestag Bild: Britta Pedersen/dpa/picture alliance

Die Aktion aus dem Umfeld der AfD hat in Deutschland für Entsetzen gesorgt. Denn das Parlament gilt als geschützter Raum für den inhaltlichen Streit. Abgeordneter aller Parteien, außer der AfD, bewerten die Störung als Tabubruch. Haßelmann hält solche Aktionen für gefährlich und schwerwiegend. "Sie sollen die Demokratie angreifen und richten sich gegen das freie Mandat. Methode und Strategie sind dabei, dass einerseits an der Verächtlichmachung des Parlaments gearbeitet wird, und dann anschließend Videos von solchen Aktionen für die eigenen Milieus auf YouTube hochgeladen und genutzt werden."

Mittlerweile prüft der Ältestenrat des Bundestags rechtliche Konsequenzen. Der Fraktionsvorsitzende Gauland hat sich für den Vorfall entschuldigt. Britta Haßelmann hält die Entschuldigung für geheuchelt, da die Partei gleichzeitig den Applaus rechter Netzwerke genießen würde.

Delegitimierung der Gegner

Die Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin, die sich unter anderem gegen Rechtsextremismus einsetzt, bewertet die Aktion als Teil einer Medienstrategie der Partei. Die AfD wolle Misstrauen säen und den politischen Gegner vorführen. "Rechte Aktivisten haben das Ziel, die Demokratie, politische Gegner und die demokratischen Institutionen zu delegitimieren."

Die Stiftung hat in einer aktuellen Studie das Verhalten sogenannter "rechts-alternativer" Gruppen in den Sozialen Medien ausgewertet - unter ihnen auch die AfD. Die Gruppen erreichen auf YouTube, Facebook und Twitter ein Millionenpublikum. Der YoutTube-Kanal der AfD-Bundestagsfraktion gehört zu einem der einflussreichsten im rechten Spektrum.

Pressestatement der AfD Spitze | Belästigung von Abgeordneten im Bundestag
AfD-Abgeordnete Gauland (links) und Baumann äußern sich zu den Vorkommnissen im BundestagBild: Jens Krick/Flashpic/picture alliance

Als Hauptziel beobachtet die Stiftung dabei, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. In der Studie von 2020 heißt es: "Rechts-alternative Akteur*innen möchten eine Ideologie verbreiten, die (noch) keine Mehrheitsmeinung ist und sich in Teilen auch abseits der demokratischen Grundwerte bewegt. Deshalb versuchen sie, die allgemein akzeptierten Grenzen des öffentlichen Diskurses durch ständige Tabubrüche zu verschieben. Dies geschieht strategisch, schrittweise und kontinuierlich."

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, bestätigt den Eindruck: "Es ist für jede und jeden Abgeordneten im Bundestag spürbar, dass Hass und Härte im Parlament zugenommen haben. Ich lasse mich natürlich nicht einschüchtern. Aber ich will mich nicht an Hass und Hetze gewöhnen. Und ich will mich auch nicht an den Antifeminismus der AfD gewöhnen, an das Gelächter aus den Reihen ihrer Abgeordneten, wenn Frauen ans Rednerpult treten. Damit werde ich mich, gemeinsam mit vielen anderen, nicht abfinden. Die demokratischen Parteien halten zusammen dagegen."

Vorbild Donald Trump

Die Medienstrategie der AfD hat auffällig viele Ähnlichkeiten mit dem Auftreten des abgewählten US-Präsidenten, Donald Trump: Die Wahrheit scheint zweitrangig - Hauptsache provozieren und auffallen. Akteure aus dem Umfeld der Partei haben gute Kontakte in die US-amerikanische Alt-Right-Bewegung, die der US-Präsident wohlwollend fördert. Eine der wichtigsten Waffen ist laut der Studie der Amadeu-Antonio-Stiftung die Desinformation: "Je häufiger ein User Kontakt mit Desinformation hat, desto eher glaubt er sie, desto eher verfestigen sie sich."

Hohe Gefährdung durch Rechtsterrorismus

Experten beobachten, dass diese Strategie von einer stetigen Radikalisierung geprägt ist. Denn um dauerhaft in den Schlagzeilen zu bleiben, müssen die Botschaften immer radikaler werden. Donald Trump hat es in seiner Amtszeit vorgemacht.

Diese Radikalisierung birgt aber auch für die AfD selbst zwei Gefahren. Zum einen ist sie inhaltsleer. Denn die einfachen Botschaften für die eigenen Zielgruppen erlauben keine tiefere Debattenkultur.

"AfD hat überhaupt keine Inhalte"

Für Britta Haßelmann von der Partei "Die Grünen" ist das auch eine der größten offenen Flanken der AfD im bevorstehen Bundestags-Wahlkampf: "Es muss uns gelingen deutlich zu machen, dass die AfD überhaupt keine Inhalte hat und keine Antworten auf die großen Zukunftsfragen: weder auf die Corona-Pandemie, noch auf die Klimakrise oder auf soziale Fragen. Diese Konzeptionslosigkeit müssen wir herausarbeiten."

Die andere Gefahr der Strategie ist für die AfD, dass die wachsende Radikalität zunehmend den Verfassungsschutz auf den Plan ruft. Schon jetzt stuft der Teile der Partei als rechtsextrem ein. Sollte die ganze Partei zum Beobachtungsfall werden, könnte das massive Nachteile mit sich bringen, Mitglieder und Wähler verschrecken. Deswegen sind Aktionen, wie die jüngst im Bundestag, auch in der AfD selbst umstritten.

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Hans Pfeifer Autor und Reporter