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AfD: Zeitenwende für Rechtspopulisten?

17. Juni 2022

Machtkampf bei der Alternative für Deutschland. Ob sich Parteichef Tino Chrupalla nach einer Serie von Wahlschlappen halten kann, ist ungewiss. Wie so vieles bei der AfD.

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Deutschland Tino Chrupalla bei einer AfD-Wahlkampfveranstaltung
Die AfD und ihr Vorsitzender Tino Chrupalla haben schon bessere Zeiten erlebtBild: Hendrik Schmidt/dpa/dpa-Zentralbild/picture alliance

Geografisch ist es ein Heimspiel für Tino Chrupalla, denn die Alternative für Deutschland (AfD) trifft sich zu ihrem bis 19. Juni dauernden Parteitag in Riesa. Die Kleinstadt, in der knapp 30.000 Menschen leben, liegt in Sachsen. Aus diesem Bundesland stammt der AfD-Vorsitzende, der um sein politisches Überleben kämpft. Wie er sich sein persönliches Schicksal und die Zukunft der Rechtspopulisten vorstellt, formulierte Chrupalla zu Beginn des dreitägigen Treffens: "Hier wollen wir gemeinsam die destruktive Stimmung der vergangenen Zeit hinter uns lassen."

Der zweite Parteichef Jörg Meuthen hat die AfD verlassen

Seit Monaten tobt ein Machtkampf zwischen dem sich bürgerlich-konservativ verstehenden Lager und dem offen rechtsextrem auftretenden Flügel um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. Tiefpunkt war der Parteiaustritt Jörg Meuthens, der sich bis zu seinem Rückzug im Februar 2022 mit Chrupalla den Parteivorsitz geteilt hatte. Der 60-Jährige hatte für einen gemäßigteren Kurs der vom Verfassungsschutz beobachteten AfD gekämpft.

Die Querelen haben tiefe Spuren hinterlassen, vor allem bei den bislang drei Landtagswahlen 2022. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen stimmten nur noch 5,4 Prozent für die Partei. Kaum mehr waren es zuvor im Saarland gewesen (5,7). Und in Schleswig-Holstein scheiterte sie mit 4,4 Prozent sogar an der Sperrminorität von fünf Prozent.

Bei der Bundestagswahl schaffte die AfD wieder ein zweistelliges Ergebnis

Damit wurde die AfD erstmals aus einem Landesparlament gewählt, nachdem sie seit ihrer Gründung 2013 im Eiltempo in allen 16 Bundesländern bei Wahlen erfolgreich gewesen war. Bei der Bundestagswahl 2017 avancierte sie mit 12,6 Prozent sogar zur stärksten Oppositionsfraktion. Die Partei nun wegen ihres aktuellen Abwärtstrends als Auslaufmodell einzustufen, wäre aber wohl verfrüht, sind sich viele Experten sicher.

Infografik AfD Wahlergebnisse nach Jahren DE

So schätzt das auch der Politikwissenschaftler Manès Weisskircher gegenüber der DW ein. Zwar sei die abnehmende öffentliche Bedeutung des Migrationsthemas für die AfD mit Sicherheit ungünstig – dennoch habe sie bei der Bundestagswahl 2021 den Wiedereinzug mühelos geschafft. In der Tat: Das Ergebnis war mit 10,3 Prozent wie bei der Premiere 2017 (12,6) zweistellig.

Tino Chrupalla: "Im Westen müssen wir wieder stark werden" 

Vor diesem Hintergrund hält Weisskircher eine Trendumkehr jederzeit für möglich. Eine neue Themenlage könne die AfD mittelfristig auch wieder stärken, "beispielsweise eine Änderung der öffentlichen Meinung zu den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine oder nachhaltige wirtschaftliche Probleme", meint der Politikwissenschaftler. Im Moment ist die Partei aber vor allem mit sich selbst beschäftigt. 

Manès Weisskircher
Als "populistisch rechtsradikal" schätzt Politikwissenschaftler Manès Weisskircher von der Universität Oslo die AfD einBild: Privat

Tino Chrupalla ist nach der Serie von Wahlniederlagen angeschlagen. "Alles andere als zufrieden" sei er mit dem schlechten Ergebnis, hatte er nach dem Rückschlag in Nordrhein-Westfalen gesagt. Aber der 47-Jährige gibt sich auf dem Parteitag kämpferisch: "Im Westen müssen wir wieder stark werden und zweistellige Wahlergebnisse erzielen." Damit meint der Partei- und Fraktionsvorsitzende im Bundestag die alte Bundesrepublik, also den Westen Deutschlands.

Im Osten ist die AfD deutlich stärker 

Durch die Wiedervereinigung 1990 sind sechs ostdeutsche Bundesländer dazugekommen. Dort, auf dem Gebiet der früheren DDR, ist die AfD mit Ergebnissen von teilweise deutlich über 20 Prozent wesentlich einflussreicher. Die Ergebnisse der jüngsten Landtagswahlen, wie auch der Bundestagswahl 2021, zeigen aus Sicht des Politologen Manès Weisskircher aber vor allem eines: "dass die West-Ost-Unterschiede in der Wahlstärke der AfD sogar zunehmen".

AfD etabliert sich im Osten Deutschlands

In den alten Bundesländern finde die Alternative für Deutschland keine effektiven Strategien, "um Stimmen zu mobilisieren, wenn das Thema Migration nicht auf der Agenda steht". Es gebe aber auch beträchtliche und oftmals vernachlässigte Nord-Süd-Unterschiede, sagt der AfD-Experte. So seien die Rechtspopulisten im Norden sowohl in den neuen als auch in den alten Bundesländern deutlich schwächer als im Süden.

AfD-Streithemen: Krieg, Corona, Personal

Dass die AfD bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein sogar erstmals aus einem Parlament geflogen ist, wundert Manès Weisskircher keinesfalls – "erst recht nicht im aktuellen politischen Kontext". Damit spielt der Politikwissenschaftler auf den vom russischen Präsidenten Wladimir Putin entfesselten Ukraine-Krieg an. Ein Problem für die AfD, in der es traditionell Strömungen gibt, die aus ihrer Nähe zu Russland kein Geheimnis machen. Eine Parallele zur Rechtsauslegerin Marine Le Pen im Nachbarland Frankreich.

Der Umgang mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sei ein weiterer interner Konflikt innerhalb der AfD, "den die Partei auch öffentlich austrägt", sagt der Politologe Weisskircher. Er erinnert an andere Streitpunkte, zum Beispiel in der Corona-Pandemie und das Verhältnis zur "Querdenken"-Bewegung. Aber auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik gebe es Auseinandersetzungen. Nicht zu vergessen: die Personal- und damit Machtfragen.

Björn Höcke: "Narzissten im Bundesvorstand"

Nach den jüngsten Wahlschlappen formierte sich eine Front gegen den amtierenden AfD-Chef. Die Bundestagsabgeordnete Joana Cotar forderte offen seinen Rückzug: "Mit Tino Chrupalla endete die Erfolgsgeschichte der AfD. Er bildet weder die gesamte Partei ab noch überzeugt er bei den Wählern." Und AfD-Rechtsaußen Björn Höcke sprach auf dem Parteitag in Riesa von "Narzissten im Bundesvorstand" – ohne den Namen des Vorsitzenden zu nennen. 

Deutschland AfD-Parteitag Alternative für Deutschland
AfD-Rechtaußen Björn Höcke sprach auf dem Parteitag von "Narzissten im Bundesvorstand"Bild: dpa/Revierfoto/picture alliance

Der seit 2019 amtierende Chrupalla kontert Kritik an seiner Person gerne mit dem Hinweis darauf, aus dem erfolgreichsten Landesverband zu kommen: Sachsen. Zudem sei er der einzige sozialisierte Ostdeutsche im Bundesvorstand. "Und der soll an den schlechten Wahlergebnissen der letzten zwei Jahre schuld sein?" Immer wieder habe er auf die unterschiedlichen sozialen Prägungen aufmerksam gemacht. "Insgesamt muss ich sagen: Ja, mir hat die Unterstützung in diesem Bundesvorstand gefehlt." 

Auf den Spuren der Linken?

Der permanente Führungsstreit könnte mittelfristig entscheidend für die Wählbarkeit der AfD und damit ihre Stabilität werden, glaubt Partei-Kenner Manès Weisskircher. "Die Linke liefert ihr hierfür gerade ein warnendes Beispiel." Für die Partei am anderen Ende des politischen Spektrums ist die bisherige Bilanz bei Landtagswahlen 2022 ebenso deprimierend: Jedes Mal verpasste sie den Einzug ins Parlament.

Im Vergleich dazu ist die AfD noch mit einem blauen Auge davongekommen. Den Warnschuss scheint Tino Chrupalla gehört zu haben: "Wir müssen natürlich an unserem Image arbeiten", hatte er unter dem Eindruck der verlorenen Landtagswahlen eingeräumt. In Riesa rief er nun dazu auf, die Reihen zu schließen: "Auf diesem Parteitag muss ein Bundesvorstand gewählt werden, der kollegial und konstruktiv, vertrauens- und rücksichtsvoll zusammenarbeitet."

Mageres Ergebnis bei der Landtagswahl in Niedersachsen

Ob sich die Partei daran hält, ist schwer einzuschätzen. Die nächste Bewährungsprobe für die AfD findet im Oktober 2022 bei der Landtagswahl in Niedersachsen statt. In dem norddeutschen Bundesland haben die Rechtspopulisten schon 2017 mit 6,2 Prozent kein berauschendes Ergebnis eingefahren. Auch dort, wie in Schleswig-Holstein, den erneuten Einzug ins Parlament zu verpassen ist ein durchaus realistisches Szenario. Vielleicht steht die Partei vor einer Zeitenwende.

Dieser Artikel ist erstmals am 18.05.2022 veröffentlicht worden und wurde am 17.06.2022 aktualisiert.

 

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte – Schwerpunkt: Deutschland