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Japan und die Robotik

Esther Felden1. Dezember 2015

Pflege-Roboter statt Krankenpfleger? Für viele Deutsche eine Horrorvision. In Japan teilweise schon Alltag. Forscher beider Länder wollen Ängste abbauen - und fragen, wie ein Roboter sein muss, um akzeptiert zu werden.

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Japan Universität Osaka Roboter-Baby Affetto
Bild: DW/E. Felden

Niedlich sieht er aus mit seinen großen dunklen Augen, dem halboffenen Mund und der kindlich runden Nase. Er trägt ein schwarzes Sweatshirt mit Aufdruck. Von weitem könnte man Affetto fast für ein wirkliches Baby halten, so menschlich wirken seine Züge. Wenn man aber näher kommt, sieht man, dass er nur aus einem Oberkörper mit Armen besteht, festgeschraubt auf einer Metallplatte. Beine hat er nicht. Seine helle "Haut" besteht aus Silikon und fühlt sich sehr weich an – fast ein bisschen gruselig.

Affetto ist kein Mensch. Er ist ein humanoider Roboter, ausgestattet mit künstlicher Intelligenz und einer täuschend echt wirkenden Mimik. Entwickelt wurde er in Japan an der Universität von Osaka. Sein geistiger Vater ist Minoru Asada, einer der weltweit führenden Robotik-Forscher und Leiter des nach ihm benannten "Asada Project". Mit Hilfe von Robotern neue Erkenntnisse über die kognitive Entwicklung des Menschen zu sammeln – das ist seit Jahrzehnten das zentrale Thema des Wissenschaftlers. "Roboter sind unsere Freunde. Habt keine Angst vor ihnen. Lasst sie uns benutzen und durch sie lernen", wünscht er sich.

Roboter im Einsatz – schon längst Alltag in Japan

Ein Appell, mit dem Professor Asada in seinem Heimatland auf vergleichsweise offene Ohren stößt. Im technikbegeisterten Japan spielt der Einsatz von Robotern traditionell eine große Rolle. Und die wird künftig noch weiter wachsen. Vor allem im Service- und im Pflegebereich werden Roboter vermehrt eingesetzt. Aus einem ganz einfachen Grund: Die japanische Bevölkerung vergreist rapide. Und es ist absehbar, dass in der Zukunft mehr und mehr Pflegepersonal fehlen wird. Um diese Lücke zu schließen, setzt man auf die Hilfe der modernen Technik.

Porträt von Prof. Minoru Asada von der Osaka University (Foto: Esther Felden / DW)
Minoru Asada gilt in Fachkreisen als eine Art Robotik-PapstBild: DW/E. Felden

Schon jetzt sind Roboter in manchen japanischen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen im Einsatz, etwa um Medikamente auszufahren. Sie "betreuen" Senioren, beispielsweise indem sie mit ihnen singen oder sie auf andere Art und Weise zu Aktivitäten anregen. Ein Bett, das sich in eine Art Rollstuhl verwandeln lässt, gehört ebenfalls zu den Errungenschaften der japanischen Robotik, die alten Menschen mehr Selbstbestimmung ermöglichen sollen. Ebenso wie das von der Firma Cyberdyne entwickelte Exoskelett HAL. Ein Roboter-Anzug, der Schlaganfall-Patienten dabei unterstützen soll, wieder laufen zu lernen. Der Anzug wird derzeit auch in Deutschland getestet, am Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum.

Zwei Roboter auf dem Spielfeld beim Robocup in Teheran im April 2015 (Foto: Kenare/AFP/Getty Images)
Minoru Asada hat auch den sogenannten Robocup entwickelt hat, eine Art Roboter-Fußball-WM, die jährlich ausgetragen wird und bei der mittlerweile ca. 2000 Wissenschaftler und Studenten ihre Teams gegeneinander antreten lassen - wie hier beim Robocup Iran Open 2015 in TeheranBild: Kenare/AFP/Getty Images

Keine Konkurrenz, sondern hilfreiche Ergänzung

"Roboter können und sollen keine Menschen ersetzen", sagt Minoru Asada. "Aber sie können uns unterstützen. Sie können Arbeiten übernehmen, die für Menschen körperlich auf Dauer sehr anstrengend sind. Und in einer überalternden Gesellschaft wie unserer werden sie auch wirklich gebraucht." Asadas Augen leuchten, wenn er über seine Roboter spricht. Wenn er sich vorstellt, wie sie ältere Menschen im ländlichen Japan betreuen und ihnen per Bildschirm die Kommunikation mit weit entfernt lebenden Kindern oder Enkeln ermöglichen. Oder auch die mit dem nächsten Arzt.

Doch um Menschen helfen zu können, müssen die Roboter von diesen Menschen akzeptiert werden. Anders als Roboter lassen sich Menschen nicht einfach programmieren, lassen sich ihre Ängste nicht per Fernsteuerung ausschalten. "Vor sieben Jahren hatten wir einen humanoiden Roboter entwickelt, der grau war", berichtet Asada. Und diese Farbe war offenbar ein Problem. "Die Menschen fühlten sich zunächst unwohl mit ihm. Erst als es dann zu einer Interaktion kam, fanden sie ihn plötzlich süß. Der direkte Kontakt kann helfen, Ängste zu reduzieren."

Was macht der Haarschnitt aus?

Solche Ängste sind beispielsweise in Deutschland weit verbreitet und auch tief verwurzelt. Besonders, wenn es um menschenähnliche Roboter geht, die sogenannten Humanoiden. Warum das so ist und was man tun kann, um daran etwas zu ändern, darüber forscht Friederike Eyssel. Sie ist Psychologin und Professorin am Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) der Universität Bielefeld. Soziale Robotik und die psychologischen Aspekte in der Interaktion zwischen Mensch und Maschine zählen zu ihren Spezialgebieten.

Mit Hilfe von Nutzerbefragungen und experimentellen Untersuchungen versucht Friederike Eyssel zu ergründen, inwieweit sich Faktoren wie Mimik, Gestik oder Blickverhalten eines Roboters auf das menschliche Gegenüber auswirken und wie ein Roboter gestaltet sein muss, damit die Kommunikation mit ihm möglichst natürlich abläuft und den Beteiligten leicht fällt. "Uns interessiert, unter welchen Umständen es passieren kann, dass man einem Roboter, also einem nicht-lebendigen Ding, kognitive Fähigkeiten, menschliche Emotionen und Persönlichkeitseigenschaften zuschreibt, die er so eigentlich gar nicht haben kann."

Die Bielefelder Forscher entwickelten deshalb den Roboterkopf "Flobi", einen 30 Zentimeter großen cartoonartigen Charakter mit rundem Gesicht und ebenso runden Augen. "Ich habe irgendwann angefangen, mit der Haarlänge des Roboters zu experimentieren", berichtet Eyssel. Dann wurden den Nutzern Bilder mit den unterschiedlichen Frisuren gezeigt und gefragt, wie sie sie empfinden und beschreiben würden. Das Ergebnis: "Der langhaarige Roboterkopf wurde mit Eigenschaften verbunden, die als typisch weiblich gelten – zum Beispiel warmherzig, sozial, zugewandt, für die Pflege geeignet." Dem kurzhaarigen Flobi dagegen wurden ganz andere Kompetenzen zugesprochen. "Er wirkte auf die Nutzer maskulin, so als könnte er für die Sicherheit im Haus sorgen und Reparaturarbeiten erledigen."

Roboterkopf Flobi mit blauen, langen Haaren (Foto: picture-alliance/dpa)
Nur eine von Flobis Erscheinungsformen – der Roboterkopf der Uni Bielefeld mit blauen, langen HaarenBild: picture-alliance/dpa

Mensch will Kontrolle behalten

Die Bielefelder Forscher betreiben auch ein sogenanntes Cognitive Service Robotics Apartment, eine rund um die Uhr betriebene und von einem Roboter bewohnte Wohnung. Dort soll erforscht werden, wie Mensch und Maschine interagieren können. So kann der Roboter zum Beispiel bei einem Fernsehabend mit Freunden Chips und Getränke servieren oder auch die Tür öffnen. "Erste Befragungen mit Testpersonen haben ergeben, dass die Nutzer auf jeden Fall immer das Gefühl haben wollen, dass sie sämtliche Funktionen auch abschalten können", berichtet Friederike Eyssel. Das Gefühl, selbst und zu jedem Zeitpunkt die Kontrolle über die Situation zu haben, sei extrem wichtig.

Roboterkopf im Labor der Universität von Osaka (Foto: Esther Felden / DW)
An der Universität von Osaka forscht das Team um Prof. Asada: Dieser Roboter folgt beispielsweise den Blicken seines Gegenübers – was er sieht, wird dann über einen Bildschirm sichtbarBild: DW/E. Felden

"Die japanische Gesellschaft kennt seit Jahrzehnten Superhelden und Comic-Charaktere wie Astro Boy oder Doraemon. Die Menschen sind vertraut damit", erzählt Minoru Asada. Ein Roboter könnte für einige sogar so etwas wie ein richtiges Familienmitglied sein, sagt er und lacht. Dass es in Deutschland ganz anders aussieht, weiß er. "Vor allem alte Leute haben oft große Angst davor. Aber ich hoffe, dass sich das langsam ändert."

Roboterfreundliches Klima auch in Deutschland – irgendwann?

Noch scheint ein Szenariao, in dem Menschen ganz natürlich mit Robotern umgehen, in Deutschland undenkbar. Bei vielen ist einfach eine Barriere im Kopf, meint die Bielefelder Professorin Friederike Eyssel. Aber wenn sich herausstelle, dass Roboter eine sinnvolle und entlastende Funktion haben, eine Funktion, die zum Beispiel im Alter zu einem autonomen Leben führen kann, dann könnte das die Berührungsängste abbauen, glaubt sie.

"Viele Arbeitsgruppen in Deutschland und international arbeiten daran, Roboter zu entwickeln, die wirklich als soziale Interaktionspartner akzeptiert sind und auch auf ganz individuelle Bedürfnisse eingehen können." Friederike Eyssel ist noch jung, Mitte 30. Der Gedanke an einen Pflegeroboter im Alter ist abstrakt. Aber, so sagt sie, vorstellbar ist das für sie. "Wenn ich mich zwischen einem immer freundlichen Roboter und einer vielleicht gestressten und überarbeiteten Fachkraft entscheiden müsste – dann würde ich wahrscheinlich lieber den Roboter nehmen."