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Afghanische Medien nach dem Machtwechsel

Michael Weidemann (NR)/(pf)12. Dezember 2001

Das Erscheinen der Eintages-Zeitung Anis versprach eine neue Pressefreiheit in Afghanistan. Doch können diese Hoffnungen erfüllt werden? Ein Blick hinter die Kulissen der Medienwelt in dem zerrütteten Land.

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Bild: AP

Als Ende November, zwei Wochen nach dem Machtwechsel in Kabul, die erste Zeitung erschien, wurde dies von der Welt als ein weiteres Zeichen für den Neubeginn nach fünf Jahren Informationssperre durch die Taliban gewertet. Das Foto der unverschleierten Frauen auf der Titelseite schien dahingehend ebenfalls Symbolwert zu haben. Der Haken an der Sache: Anis – so der Titel der Zeitung – gab es nirgendwo zu kaufen. Die Auflage war so gering, dass sie praktisch nur an Behörden und Ministerien verteilt wurde. Und es blieb bei dieser einen Ausgabe. Bislang ist kein weiteres Exemplar erschienen. Michael Weidemann über den Neuanfang ohne Pressefreiheit:

Das Gebäude im Stadteil Micro Rajion, in dem Redaktion und Produktion von Anis untergebracht sind, ist verwaist. Nur Mohamad Aref, der Leiter der Transportabteilung hält hier die Stellungen. Berichte gäbe es schon genug, sagt er ...

"... aber die Journalisten können nicht einfach mit ihren Artikeln hier ankommen und sie ins Blatt rücken lassen. Zuerst müssen sie sie ihrem Sektionsdirektor im Informationsministerium vorlegen. Und erst wenn ihre Berichte dort bestätigt werden, sind sie zum Druck frei gegeben. Bisher hat das Informationsministerium allerdings noch keine neue Ausgabe genehmigt."

Unabhängige Berichterstattung wird angestrebt

Wie sich herausstellt, sind es nicht etwa Beamte der neuen Regierung, die über die Inhalte der Phantomzeitung wachen. Es handelt sich vielmehr um die Mitarbeiter der staatlichen Nachrichtenagentur Bachtar, die dem Informationsministerium angegliedert ist. Und diese zensieren nicht etwa die Beiträge von Anis-Journalisten, denn solche gibt es derzeit nämlich gar nicht. Stattdessen stammen alle Berichte der Eintages-Zeitung direkt aus der Feder der Bachtar-Autoren. Von staatlichem Verlautbarungsjournalismus könne trotzdem keine Rede sein, meint Bachtar-Chefredakteur Sidiku Latour Hidi:

"Wir begnügen uns nicht mit den offiziellen Informationen, die wir aus den Kreisen der neuen Regierung erhalten. Unsere Journalisten machen sich auf den Pressekonferenzen selbst ein Bild und recherchieren eigenständig. Bachtar läßt sich auch keine Beiträge zur Veröffentlichung aufzwingen. Das hat allerdings auch noch niemand ernsthaft versucht."

Um die Ausrüstung ist es schlecht bestellt

Medien in Kabul
Bild: AP

Die Redaktionsräume der Nachrichtenagentur könnten kahler kaum sein: mit Ausnahme von ein paar schrottreifen Möbeln und einigen altersschwachen Schreibmaschinen fehlt den Autoren und Redakteuren jedwede Ausstattung. Das ist ein sehr viel brennenderes Problem als die Unabhängigkeit einer noch gar nicht wieder existierenden Presselandschaft in Afghanistan.

Für die ausführlichen Rundfunknachrichten, die morgens und abends in den beiden Landessprachen Dari und Paschtu verlesen werden, reichen Personal- und technische Ausstattung bei Bachtar dagegen aus. Das Radio ist für die meisten Afghanen die wichtigste Informationsquelle. Allerdings hat Radio Kabul im Äther mit starker Konkurrenz zu kämpfen. Die Sprachendienste von Deutscher Welle, BBC und Voice of America gelten den Hörern am Hindukush als besser informiert und unabhängiger.

Das Fernsehen sorgt für Begeisterung

Die Bevölkerung ist indes sehr von der Wiederbelebung des Fernsehprogramms angetan, das in den Jahren der Taliban-Herrschaft eingestellt werden musste. In einem museumsreifen Studio produziert eine unerschütterliche Crew täglich dreieinhalb Stunden Abendprogramm, das für westliche Standards recht altertümlich wirkt, von den Zuschauern aber lebhaft angenommen wird.

Wie ist es im Fernsehen um die journalistische Unabhängigkeit bestellt? Wir entscheiden selbst, was wir senden, behauptet der Fernsehdirektor Mohamad Esidiar. Niemand kann uns daran hindern, unsere Reporter auf die Straße zu schicken und die Leute dort nach ihrer Meinung zu fragen, auch zu brisanten Themen. Niemand schreibt mir vor, was ins Programm kommt.

Der Weg zur Unabhängigkeit ist steinig

In den wenigen Tagen, die das Fernsehen jetzt sendet, wurde ein Dokumentationsfilm über Ahmed Schah Masud, den ermordeten Führer der Nordallianz allerdings schon mehrfach wiederholt. Kaum vorstellbar, dass das wirklich eine rein redaktionelle Entscheidung war. Und da sollen ausgerechnet die so wichtigen Fernsehnachrichten völlig frei und unabhängig enstehen?

"Nein", gibt Mohamad Esidiar schließlich zu. "Natürlich nimmt die Regierung Einfluß auf die politischen Nachrichten im Programm. Wenn sie will, dass bestimmte Meldungen gesendet werden, kann ich nichts dagegen tun."

Es ist eben noch ein langer Weg, bis in Afghanistan die Pressefreiheit wirklich eine Chance bekommt.