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Abzug bis Ende 2014 steht

Christoph Hasselbach20. September 2012

Der Brite Simon Gass war eineinhalb Jahre lang Zivilbeauftragter der NATO in Afghanistan. Jetzt hat er in Brüssel Bilanz gezogen. Trotz aller Probleme sieht er die Zukunft optimistisch.

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Simon Gass vor ISAF-Schriftzug Photo: dapd
Bild: dapd

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagt bei jeder Gelegenheit, es werde in Afghanistan am Ende "kein Rennen zum Ausgang geben". Doch den meisten Staaten kann der Abzug inzwischen gar nicht schnell genug gehen. Viele glauben nicht mehr an Sinn und Erfolg der Mission. Außerdem fällt es den Regierungen mit jedem getöteten Soldaten schwerer, der eigenen Bevölkerung gegenüber den Einsatz zu rechtfertigen.

Der NATO-Zivilbeauftragte Simon Gass hat sich mit seiner Bilanz gegen die verbreitete pessimistische Stimmung gestellt. "Nicht, dass der Prozess abgeschlossen wäre oder dass wir am Ende eine afghanische Armee haben werden, die kämpft wie eine amerikanische Armee." Aber die NATO habe große Fortschritte erzielt. "Und ich bin ziemlich zuversichtlich, dass wir bis Ende 2014 eine Situation übergeben werden, in der die afghanischen Streitkräfte fähig sind, in ihrem eigenen Land für Sicherheit zu sorgen."

Bald wieder "business as usual"?

Bis Ende 2014 sollen die meisten ausländischen Truppen abziehen. Bis dahin sollen die ausländischen Soldaten die Afghanen ausbilden. Doch gerade die Zusammenarbeit wird erneut in Frage gestellt. Nachdem immer wieder ISAF-Soldaten von afghanischen Sicherheitskräften angegriffen worden waren, hatte die NATO nun die gemeinsamen Patrouillen vorläufig ausgesetzt. Gass gab zu, das werfe das Vorhaben zurück. "Natürlich macht das unsere Soldaten vorsichtiger und wachsamer, wenn sie mit ihren afghanischen Partnern zusammen sind. Aber wir werden uns davon erholen. Ich hoffe, dass wir mit der Zeit diese zusätzlichen Vorsichtsmaßnahmen wieder aufgeben und zum 'business as usual' zurückkehren können."

Demonstranten mit Spruchbändern (Foto: DW)
Antiamerikanische Proteste in Kabul gegen den SchmähfilmBild: DW

Die Auswirkungen des Schmähfilms über den Islam, der weltweit zu gewaltsamen Protesten gegen westliche Botschaften geführt hat, spielte Gass herunter. Auch in Kabul hatte es deswegen Ausschreitungen gegeben. Er wisse um die Gefühle vieler Muslime wegen des Films. Das entschuldige jedoch nicht Gewalt und Zerstörung. "Aber das ist kein strategischer Rückschlag für unsere Mission."

Korruption bremst die Fortschritte

Ein ernstes Problem bleibe die Korruption in Afghanistan, meinte Gass. Oft redeten afghanische Regierungsvertreter nur über ihren Kampf dagegen, täten aber nichts. "Ich bin enttäuscht, dass manche Fälle anscheinend ins Büro des Generalstaatsanwalts in Kabul wandern, aber nicht in Form rechtlichen Handelns wieder herauskommen." Präsident Hamid Karsai tue durchaus etwas gegen die Korruption, aber die Fortschritte seien gering. Und wie ist das Verhältnis insgesamt zu Karsai? Während ihm viele im Westen vorwerfen, er selbst sei korrupt, halten ihn viele Afghanen für eine westliche Marionette. Nichts davon will Gass gelten lassen. "Wir haben mitunter Streit. Wir haben politische Meinungsverschiedenheiten. Aber insgesamt, was die Strategie betrifft, liegen wir immer noch ziemlich auf einer Linie." Und ganz wichtig ist dem NATO-Vertreter die Festellung: "Karsai ist nicht unser Mann in Kabul. Karsai wurde vom afghanischen Volk gewählt."

Arbeit wichtiger als Sicherheit

Zum Abschluss seiner Bilanz sagt Simon Gass, dass die NATO die Taliban-Aufstände nicht ganz besiegen könne. "Um Frieden in Afghanistan zu schaffen, braucht es einen politischen Prozess." Auch die Taliban zögen politische Optionen zunehmend in Betracht. Ohnehin komme es letztlich nicht auf das Militärische an. Am Ende gehe es den Afghanen um Fragen des täglichen Lebens, um Arbeitsplätze, Wasser oder Elektrizität. Mit allen diesen Fragen wird sich nun der Nachfolger von Simon Gass, der Niederländer Maurits Jochems, befassen. Er soll nach den Worten von Generalsekretär Rasmussen den Übergang zu einem "souveränen, sicheren und demokratischen Afghanistan" begleiten.

Familie vor ihrem Zelt (Foto: DW)
Strom und Wasser seien wichtiger als Krieg, sagt Simon GassBild: DW/Soroush Kazemi