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Zivilisten zwischen den Fronten

Sandra Petersmann9. Oktober 2012

Nach sieben Jahren in Afghanistan verlässt der Delegationschef des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK), der Schweizer Reto Stocker, das Land. Zuvor zog er eine eher ernüchternde Bilanz.

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Afghanistan Erdbeben Baghlan

Der scheidende IKRK-Chef warnte vor den humanitären Folgen der Lokalisierung des Krieges. Es werde immer öfter direkt in den Dörfern gekämpft. Als Beispiel nannte er die Provinz Kundus, die zum Einsatzgebiet der Bundeswehr in Nordafghanistan gehört. Dort habe die Zahl der bewaffneten Gruppen in den sieben Jahren seines Afghanistan-Einsatzes stark zugenommen. "Das Leben der afghanischen Bevölkerung hat sich verschlechtert. Ich verlasse das Land mit Sorge“, erklärte Stocker: "In vielen Teilen von Kundus gibt es heute sehr viele Milizen, die keinem offiziellen Kommando mehr unterstehen."

Wechselnde Fronten

Für die Zivilbevölkerung sei es heute kaum noch möglich zu erkennen, wer gegen wen kämpfe. Neben den internationalen Truppen und den offiziellen afghanischen Sicherheitskräften gebe es eine Vielfalt von rivalisierenden Milizen, die sich jeder formalen Kontrolle entzögen. Diese lokalen Kräfte kämpfen nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes nicht nur gegen aufständische Gruppen wie die Taliban, sondern auch gegeneinander. "Lokale bewaffnete Truppen haben sich verbreitet, die Zivilbevölkerung steht zwischen den verschiedenen bewaffneten Akteuren und es ist immer schwieriger, die Menschen medizinisch zu versorgen, wenn sie verletzt oder krank sind", zieht Stocker eine ernüchternde Bilanz.

Fahrzeuge des Internationalen Roten Kreuzes in Afghanistan (Foto:ap)
Auch für die Mitarbeiter des Roten Kreuzes wird die Arbeit in Afghanistan gefährlicher.Bild: AP

Auch positive Eindrücke

Selbst für das streng neutrale Internationale Rote Kreuz gebe es immer mehr Distrikte, die auf Grund der Gefahrenlage nicht mehr zugänglich seien. Dennoch verlässt der IKRK-Chef Afghanistan nach sieben Jahren auch mit positiven Eindrücken. Es ist heute nicht mehr möglich, sagt Reto Stocker, Zivilisten zu töten, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt. Die Zivilbervölkerung sei selbstbewusster geworden. Immer mehr Menschen würden erkennen, dass sie Rechte hätten. Es werde viel mehr und offener über Gewaltexzesse und zivile Kriegsopfer gesprochen. "Die Menschen sind sich ihrer Rechte bewusst“, sagt der Mediziner: "Und sie trauen sich, über diese Rechte zu reden, wenn sie verletzt werden." Es mache ihm Hoffnung, so Reto Stocker, dass das Land nach dem Abzug der internationalen Kampftruppen Ende 2014 nicht zurückfallen werde in die unvorstellbare Brutalität des ungelösten Bürgerkriegs. Eine neue Studie der International Crisis Group malt genau dieses Szenario an die Wand.