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Afrika als Pandemie-Gewinner?

Nicolas Martin
13. Mai 2020

Die Folgen des Coronavirus sind für den afrikanischen Kontinent jetzt schon wirtschaftlich verheerend. Doch die Neuausrichtung der Lieferketten vieler westlicher Unternehmen könnte auch eine große Chance sein.

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Tunesien: Produktion des Textilunternehmen Sartex in Ksar Hella
Bild: Imago/Photothek

Die volle Wucht der Corona-Pandemie hat Afrika bisher nicht zu spüren bekommen. Laut der Afrikanischen Union sind mittlerweile 70.000 Menschen an COVID-19 erkrankt. Bei knapp 1,2, Milliarden Menschen auf dem Kontinent erscheint das noch vergleichsweise niedrig. Dennoch treffen die konsequenten Ausgangsbeschränkungen Bevölkerung und Wirtschaft in fast allen Ländern des Kontinents hart. Der Tourismus ist zum Erliegen gekommen. Und der Verfall der Rohstoffpreise belastet die meist verschuldeten Staatshaushalte zusätzlich.

Nur wenn Lockdowns und Einschränkungen im Handel und im Personenverkehr schnell endeten, könne man "ökonomisch mit einem blauen Auge" davonkommen, glaubt Christoph Kannengießer, Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft. Die Prognosen sind derzeit allerdings düster.

Christoph Kannengießer, Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft
Christoph Kannengießer, Afrika-Verein der deutschen WirtschaftBild: picture-alliance/dpa/Afrika-Verein/A. Koroll

So rechnet die Weltbank in diesem Jahr mit der ersten Rezession seit 25 Jahren. Laut der Afrikanische Union könnte Corona 20 Millionen Arbeitsplätze vernichten. Und nach UN-Angaben könnte sogar bald jeder zweite Job in Afrika wegfallen. Kannengießer vom Afrika-Verein sieht aber nach der Pandemie auch neue Chancen. Denn viele Unternehmen würden ihre Lieferketten stärker diversifizieren. "Da sollte Afrika auf jeden Fall in den Blick genommen werden", so Kannengießer im DW-Gespräch.

"Bisher kaum Integration in globale Lieferketten"

Stillstehende Bänder, weil Teile aus dem Ausland fehlten, solche Erfahrungen mussten etliche Betriebe in Deutschland machen. Laut einer Blitzumfrage des Verbands deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) haben Mitte April 89 Prozent der Mitglieder nennenswerte Beeinträchtigungen bei ihren Abläufen gespürt. "Viele Firmen sortieren sich gerade. Dann wird man vielleicht weg von China und weg von Indien gehen", sagt Friedrich Wagner, zuständig für Außenwirtschaft beim VDMA.

Zulieferbetriebe und Lieferanten in Afrika machten für die deutschen Maschinenbauer allerdings nur einen kleinen Teil aus. "Gerade bei nordafrikanischen Ländern ist die geografische Nähe aber ein großer Vorteil", so Wagner im DW-Interview. So seien beispielsweise mit Tunesien im Bereich Elektroteile und mit Marokko und Ägypten bei Metall- und Blechbearbeitungen bereits Beziehungen gewachsen.

Abfüll-Linie für Fruchtsäfte des Juhayna-Konzerns in Ägypten
Abfüll-Linie für Fruchtsäfte des Juhayna-Konzerns in Ägypten Bild: picture-alliance/dpa/M. Tödt

Tilmann Altenburg vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) erwartet durch die Corona-Krise keinen großen Schub für die afrikanischen Länder. Natürlich sei Diversifizierung wünschenswert, aber "der Grundbefund ist, dass es kaum eine Integration in globale Lieferketten gibt", so Altenburg im DW-Gespräch.

"Die meisten afrikanischen Länder nehmen gar nicht am globalen Handel teil - außer als Importeure von Konsumgütern und als Exporteure von Rohstoffen." Altenburg schätzt, dass derzeit nur zwei Prozent der Erwerbsbevölkerung auf dem Kontinent in exportorientierte Wertschöpfungsketten eingebunden sind.

"Nord- und Ostafrika werden Pandemie-Gewinner sein"

Das sieht Alexander Demissie von der Beratungsfirma AfricaRising anders. Afrika sei bereits in vielen Ländern durch Sonderwirtschaftszonen und günstiger Investitionsbedingungen Teil globaler Wertschöpfungsketten. "Deutsche Unternehmen haben Afrika aber einfach nicht auf dem Schirm", so Demissie. Vielmehr seien es Chinesen, aber auch Niederländer, Franzosen und Briten, die zunehmend Länder wie Tunesien, Marokko, Äthiopien, Ghana, Senegal und die Elfenbeinküste in ihre Lieferketten integrierten.

"Vor allem Nord- und Ostafrika werden als Pandemie-Gewinner hervorgehen", ist Demissie überzeugt. Diese seien mit vier bis sechs Flugstunden beispielsweise nach Deutschland ideal für eine zuverlässige Belieferung von europäischen Betrieben.

Alexander Demissie von AfriaRising
Alexander Demissie von AfricaRisingBild: Privat

Einen gewissen Trend zur Diversifizierung kann auch Tilman Altenburg vom DIE ausmachen. Er hat die globale Textilindustrie analysiert und dabei festgestellt, dass Firmen zunehmend auch in afrikanischen Ländern wie Äthiopien fertigen lassen. "Obwohl die Produktion in Bangladesch günstiger wäre, sagen sie sich: Machen wir was in Afrika, um unsere Risiken zu streuen." Diesen Trend habe es allerdings schon vor Corona gegeben. "Die Diversifizierungslogik, die ist da. Aber das betrifft dann wenige Branchen, die nicht komplex sind und keine Just-in-Time-Lieferungen benötigen."

"Pläne für die Zeit nach der Pandemie"

Demissie von der Beratungsfirma AfricaRising sieht neben der Textilbranche auch andere Bereiche, in denen Afrika global eine Rolle spielen könnte. So produziere zum Beispiel Ägypten im Bereich der Pharmaindustrie verstärkt Generika für den afrikanischen Markt. Und es gebe auch schon Verbindungen nach Europa. "Natürlich könnte das Land davon profitieren, dass europäische Länder sich bei Medizinprodukten unabhängiger von China machen wollen", sagte Demissie im DW-Gespräch. Auch die deutsche Automobilindustrie produziert bereits in einigen Ländern des Kontinents für die lokalen Märkte. Der Fokus liegt dabei auf Südafrika - und seit einiger Zeit auch auf Ruanda.

Montagelinie im VW-Werk in Ruanda
Montagelinie im VW-Werk in RuandaBild: Getty Images/AFP/C. Ndegeya

Christoph Kannengießer vom Afrika-Verein beobachtet, dass viele deutsche Unternehmen in Afrika derzeit noch mit Krisenmanagement der laufenden Projekte beschäftigt seien. Es sei aber wichtig, Pläne für die Zeit nach der Pandemie zu entwerfen. "Industrielle Wertschöpfung in Afrika könnte ein ganz neues Thema mit ganz neuer Dynamik nach Corona werden."