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Oleg Senzow: "Er wird nicht schweigend sterben"

Laura Döing
21. August 2018

Seit 100 Tagen hungert Oleg Senzow. Wir haben mit der Filmemacherin Agnieszka Holland über die aussichtslose Lage des Regisseurs gesprochen und über die Ohnmacht, ihm beim Hungerstreik zusehen zu müssen.

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Protest Oleg Senzow Berlin
Bild: picture alliance/dpa/P. Zinken

Senzow: 100 Tage Hungerstreik

Weil der russische Staat Oleg Senzow vorwirft, auf der Krim eine terroristische Vereinigung gebildet und Anschläge geplant zu haben, sitzt der ukrainische Filmemacher seit dem Frühjahr 2014 in Haft.

Lesen Sie hier ein ausführliches Porträt über Oleg Senzow.

Er ist zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Senzow beteuert, unschuldig zu sein; Amnesty International spricht von einem "unfairen Prozess und politisch motivierten Anschuldigungen". Auch die Europäische Filmakademie (EFA) ist von seiner Unschuld überzeugt. Als Vorsitzende der EFA hat die polnische Regisseurin und Drehbuchautorin Agnieszka Holland viele Protestaktionen für Senzows Freilassung begleitet.

Deutsche Welle: Oleg Senzow befindet sich nun schon seit dem 14. Mai im Hungerstreik. Haben Sie aktuelle Informationen über seine Lage?

Agnieszka Holland: Nein, habe ich nicht. Wir hatten gehofft, dass auf das Treffen von Angela Merkel und Wladimir Putin am Samstag eine Reaktion folgt. Aber wir wissen nichts Neues über den Zustand von Oleg Senzow. Alle versuchen, etwas zu erreichen: die Europäische Union, die Bundesregierung, Emmanuel Macron. Aber es sieht so aus, als hätte Wladimir Putin beschlossen, dass es nicht nötig ist, ein freundliches Gesicht aufzusetzen. Er will, dass Oleg sich beugt, dass er gedemütigt wird. Und wenn Oleg nicht mitmacht, nicht gedemütigt werden will, nicht um Entschuldigung für Taten bittet, die er gar nicht begangen hat, wird Putin ihn sterben lassen.

Vergangene Woche hat der Kreml das Gnadengesuch von Oleg Senzows Mutter abgewiesen...

Genau, der Kreml hat gesagt, Oleg solle selbst um Gnade bitten. Das sei die Regel, aber das stimmt nicht. Bei Pussy Riot oder Chodorkowski gab es Fälle, in denen die betreffenden Personen nicht selbst um eine Begnadigung gebeten hatten. Denn um eine Begnadigung zu bitten, heißt auch, dass man seine Schuld eingesteht und Oleg hat immer beteuert, dass er unschuldig ist. Und durch Amnesty International und andere Organisationen wissen wir, dass er die Taten, die ihm vorgeworfen wurden, nie begangen hat. Es ist ein Teufelskreis.

Agnieszka Holland und Alexander Sokurow bei der Verleihung des Europäischen Filmpreises 2017
Agnieszka Holland 2017 bei der Verleihung des Europäischen Filmpreises. Auch Regisseur Alexander Sokurow (r.) hat sich für Senzows Freilassung bei Wladimir Putin eingesetzt.Bild: picture-alliance/dpa/AFP-POOL/T. Schwarz

Oleg wird sicher nicht um Gnade bitten und seine Freilassung nicht akzeptieren, wenn nicht seine Mitgefangenen ebenfalls freigelassen werden. Putin denkt aber nicht, dass es einer symbolischen Geste bedarf, um der Welt zu zeigen, dass er kein brutaler und grausamer Herrscher ist. Und wenn er glaubt, dass er das nicht braucht, passiert auch nichts: All seine Handlungen basieren auf politischen Interessen und Putin glaubt nicht, dass der Westen stark genug ist, um ihn für seine Taten zu bestrafen. Also bin ich, was Oleg Senzow betrifft, ziemlich pessimistisch. Andererseits liegt jetzt alles in den Händen eines Mannes, der unberechenbar ist. Wir müssen darauf hoffen, dass sich seine Unberechenbarkeit diesmal positiv auswirkt.

Sie sprachen gerade an, dass Senzow die Freilassung aller politischen Gefangenen aus der Ukraine fordert...

Ja, bei Olegs Hungerstreik geht es nicht nur um seine Haft, sondern um die Internierung von allen ukrainischen politischen Gefangenen. Die meisten von ihnen sind nur Geiseln der aktuellen politischen Lage. Sie haben die Taten nicht begangen, die ihnen zur Last gelegt werden. Oleg will sich solidarisch mit ihnen zeigen, in dem Wissen, dass er kein anonymer Gefangener ist. Er ist Regisseur, hat Freunde in mehreren Ländern, ist Mitglied der Europäischen Filmakademie. Er wird zumindest nicht schweigend sterben. Auf diese Weise bringt er ein Opfer für diejenigen, die nicht bekannt sind. Und so hofft er, ein Licht auf die Lage politischer Gefangener aus der Ukraine werfen zu können, die nach Russland entführt oder in Russland festgenommen worden sind.

Die Europäische Filmakademie hat sich mehrere Male und auf verschiedenen Wegen öffentlich für seine sofortige Freilassung eingesetzt und sammelt Spenden zur Deckung der Rechtskosten und die Unterstützung seiner Kinder, die zurzeit von der Großmutter betreut werden. Sind weitere Aktionen geplant?

Wir warten nun ab, unser Handlungsspielraum ist begrenzt. Wir können offene Briefe schreiben und Protest-Aktionen planen - das haben wir auch bereits auf vielen Filmfestivals und bei unseren Veranstaltungen gemacht. Wir sind die Europäische Filmakademie und haben Kontakte - auch zu Regierungen in unterschiedlichen Ländern. Wir versuchen unseren Einfluss auf die lokale Politik zu nutzen. Wir sammeln Geld, wir benutzen Social Media, um so weit wie möglich zu verbreiten, wie es Oleg geht, und um Unterstützung zu bitten. Das ist alles, was wir tun können. Wir können die Meinung des Tyrannen nicht ändern. Danach müssen wir beten, dass all das einen Effekt hat und dass es nicht schon zu spät ist.

Und Sie sind immer noch der festen Überzeugung, dass öffentlicher Druck im Fall von Oleg Senzow hilft?

Ich weiß keinen anderen Weg. Am besten ist die Kombination von öffentlichem und diplomatischem Druck. Diese Mischung hat sich auch in der Vergangenheit als die wirkungsvollste erwiesen. Außerdem ist es für Oleg selbst wichtig, zu wissen, dass wir ihn nicht vergessen haben, dass Menschen in unterschiedlichen Ländern an ihn denken und versuchen, ihm zu helfen. Und darüber hinaus steckt dahinter eine Art moralisches Statement. Wir werden unseren Kollegen, der in Not und zu Unrecht verhaftet ist, nicht vergessen. Wir tun das alles auch für uns selbst. So fühlen wir uns nicht vollkommen machtlos.

Das Interview führte Laura Döing.

Die renommierte Regisseurin und Drehbuchautorin Agnieszka Holland (*1948) ist seit 2014 Vorsitzende der Europäischen Filmakademie (EFA). Der Verein versammelt mehr als 3000 europäische Filmschaffende mit dem Ziel, den europäischen Film besser zu vertreten und verleiht jährlich den Europäischen Filmpreis.

Hollands Eltern kämpften während des Zweiten Weltkriegs gegen die Nazis; ihr Vater starb 1961 in Polen bei einem Verhör der kommunistischen Besatzer nach einem Sturz aus dem Fenster. Hollands politisches Engagement führte dazu, dass sie 1981 von Polen nach Frankreich ins Exil übersiedelte.

Unter anderem für ihre Filme "Hitlerjunge Salomon" (1990), "Bittere Ernte" (1985), "In Darkness" (2011) und "Pokot" (2018) erhielt sie internationale Auszeichnungen, darunter den Golden Globe für den besten fremdsprachigen Film, den Silbernen Bären der Berlinale und mehrere Oscar-Nominierungen.