1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Geduld am Ende"

Klaus Dahmann29. Mai 2012

Nach dem Massaker in Hula mit mehr als 100 Toten werden erneut Rufe nach einem internationalen militärischen Eingreifen laut. Klaus Dahmann hat mit dem syrischen Oppositionellen Ferhad Ahma gesprochen.

https://p.dw.com/p/153iv
Ferhad Ahma, Mitglied des Syrischen Nationalrates und der Partei Buendnis 90/Die Gruenen, sitzt am Mittwoch (04.01.12) in Berlin bei der Pressekonferenz "Zehn Monate Aufstand in Syrien" auf dem Podium. Ahma war in der Nacht zum zweiten Weihnachtsfeiertag (26.12.11) von zwei Maennern, die sich als Polizisten ausgaben, in seiner Wohnung in Mitte ueberfallen und zusammengeschlagen worden. (zu dapd-Text) Foto: Maja Hitij/dapd
Bild: dapd

Deutsche Welle: Herr Ahma, als Sie von den Ereignissen in Hula erfahren haben, was ging Ihnen da durch den Kopf?

Ferhad Ahma: Es ist schwierig über dieses Massaker zu sprechen, angesichts der immer neuen Bilder, die uns erreichen. Man muss aber auch sehen, dass das Massaker in Hula kein Einzelfall ist. Jeden Tag finden irgendwo in Syrien Massaker statt, und das nicht erst seit diesem Wochenende, sondern seit mindestens anderthalb Jahren, seit die friedliche Revolution begonnen hat.

The bodies of whom anti-government protesters say were killed by government security forces lie on the ground at Ali Bin Al Hussein mosque in Huola, near Homs May 26, 2012. A Syrian artillery barrage killed more than 90 people, including dozens of children, in the worst violence since the start of a U.N. peace plan to staunch the flow of blood from Syria's uprising, activists said on Saturday. REUTERS/Houla News Network/Handout (SYRIA - Tags: CIVIL UNREST POLITICS) FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS. THIS IMAGE HAS BEEN SUPPLIED BY A THIRD PARTY. IT IS DISTRIBUTED, EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS
Unter den mehr als 100 Toten in Hula waren viele Frauen und KinderBild: Reuters

Der Vorsitzende des Syrischen Nationalrats Burhan Ghaliun sagt, man müsse sich nun auf eine "Befreiungsschlacht" vorbereiten. Das sind ja schon ganz andere Töne als bisher...

Man hört ja in den vergangenen Tagen auch ganz andere Töne aus dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Zum ersten Mal haben sich die Mächte, sogar Russland, auf eine Erklärung geeinigt, die zwar nicht bindend ist, aber doch eine schärfere Verurteilung darstellt als je zuvor. Die Staatengemeinschaft bewegt sich langsam, sehr langsam.

Gleichzeitig sieht man aber auch, dass die syrische Regierung weiter die eigene Bevölkerung massakriert. Man hat also mit den bisherigen politischen Initiativen keinen Fortschritt in Syrien erreichen können. Die arabische Initiative ist gescheitert. Jetzt haben wir den Plan des UN-Sondergesandten Kofi Annan, mit dem wir aber auch nicht weiter gekommen sind. Selbst die internationalen Beobachter, die sich seit Wochen im Lande aufhalten, können die Massaker nur bezeugen und registrieren - aber tatsächlich verhindern können sie sie nicht.

Wann ist Ihre Geduld mit dem Annan-Plan, mit der UN-Mission zu Ende?

Ich bin mit der Geduld fast am Ende. Denn wenn man sieht, dass jeden Tag mindestens 100 Menschen auf diese grausame Art und Weise aus dem Leben scheiden und sich gleichzeitig die Staatengemeinschaft und Kofi Annan immer noch mit ganz einfachen Presseerklärungen begnügen, dann fragt man sich: Warum? Was ist der Unterschied, dass die Staatengemeinschaft in Syrien trotz so vieler Todesopfer weiter tatenlos zusieht, während man in anderen Ländern schon die Tötung nur weniger Menschen zum Anlass nimmt zu intervenieren?

epa03237299 A handout picture released by the Syrian Arab News Agency (SANA) shows members of the UN observers Mission in Syria during their visit to Duma in out-skirts Damascus, Syria, 26 May 2012. The UN observers confirmed after visiting a town in central Syria, that 92 people had died there - among them 32 children - in what activists said was shelling by government forces. The rebel opposition Free Syrian Army (FSA) called on the UN to meet its responsibilities and stop the violence in Syria. Otherwise, it said, the group could no longer commit to the ceasefire brokered by UN-Arab League envoy, Kofi Annan. EPA/SANA HANDOUT
UN-Mission in Syrien: "Massaker registrieren, aber nicht verhindern"Bild: picture-alliance/dpa

Die Staatengemeinschaft muss ihre Verantwortung wahrnehmen. Die Syrer haben ja sehr viel Geduld bewiesen, sie haben anderthalb Jahre größtenteils friedlich gekämpft gegen eine der brutalsten Diktaturen der Welt. Jetzt ist der Zeitpunkt da, dass die Staatengemeinschaft Einigkeit zeigt und handelt, damit die syrische Bevölkerung endlich die Chance bekommt, in Frieden, Demokratie und Menschenwürde zu leben.

Was meinen Sie konkret mit "handeln"? Militärisch eingreifen?

Wir haben in der syrischen Opposition immer gesagt: Wir wollen keine militärische Intervention. Wir wollen, dass die Syrer ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Wir wollen aber eine starke diplomatische Unterstützung aus der Staatengemeinschaft. Und das wurde uns bis jetzt verweigert. Russland hat jegliche bindende Resolution im UN-Sicherheitsrat blockiert, China hat nicht mitgespielt, und selbst die Europäische Union und die USA haben bis jetzt kein wirklich klares Wort gesprochen. Wenn tatsächlich bindende Resolutionen verabschiedet und Sanktionen umgesetzt werden, dann sind wir sicher, dass die Syrer auch ohne militärische Intervention in der Lage sind, einen demokratischen Wechsel in Syrien herbeizuführen.

Wenn Baschar al-Assad die Unterstützung Moskaus verliert, glauben Sie, dass er dann einem friedlichen Wechsel zustimmen wird?

Ohne die Unterstützung aus Russland wäre das Regime von Baschar al-Assad längst nicht mehr in der Lage, die eigene Bevölkerung so zu massakrieren. Assad hat sich auf internationaler Ebene nur auf Russland verlassen können - und natürlich auf die weitgehende Unentschlossenheit der Staatengemeinschaft. Aber Russland spielt hier eine sehr wichtige Rolle, es muss seine moralische und menschliche Verantwortung jetzt wahrnehmen.

Wenn Baschar al-Assad die Macht verliert - kommt dann die Anarchie?

Nein, wenn Assad weg ist, dann kommt wieder Leben zurück nach Syrien. Die Syrer werden in der Lage sein, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Ethnien und religiösen Gruppen zu erreichen. Das künftige Syrien wird auf jeden Fall viel humaner und demokratischer sein als das jetzige Syrien unter dem Regime von Baschar al-Assad.

Ferhad Ahma ist 1973 in der nordsyrischen Stadt Qamishli geboren und lebt seit 16 Jahren in Deutschland. Ahma ist Mitglied des Syrischen Nationalrates (SNC) und Mitbegründer der deutsch-syrischen Oppositionsbewegung "Adopt a Revolution". Außerdem ist er bei den Grünen in Berlin aktiv. Am 26. Dezember 2011 wurde Ahma in seiner Berliner Wohnung Opfer eines Überfalls. In Folge der Ermittlungen wies Deutschland mehrere Diplomaten aus, die nach Überzeugung des Auswärtigen Amtes Jagd auf Exil-Oppositionelle wie Ahma gemacht hatten.