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"Kondome sind noch immer wichtig zum Schutz vor HIV"

Gudrun Heise19. Juli 2015

Vorsorglich Medikamente gegen HIV zu nehmen sei kein Ersatz für das Kondom, sagt Professor Norbert Brockmeyer im DW-Interview. Dennoch seien sie eine wichtige Ergänzung.

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Kondome (Foto: dpa).
Bild: picture alliance / OLIVER BERG / APA / picturedesk.com

Deutsche Welle: Welches sind zurzeit die Hauptthemen, wenn es um HIV/Aids geht, auch im Hinblick auf den Internationalen Aids-Kongress in Vancouver?

Norbert Brockmeyer: Für mich ist das Hauptthema nach wie vor die Aufklärung aller Bevölkerungsschichten, vor allen Dingen in den am schlimmsten betroffenen Ländern. Es muss eine Doppelstrategie sein: Die Menschen müssen wissen, dass sie sich infizieren können und wie sie sich infizieren können. Sie müssen die Möglichkeit haben, zum Schutz Ihrer Gesundheit bei einer HIV-Infektion möglichst früh Medikamente einzunehmen. Diese verringern zudem das Infektionsrisiko von Sexual-Partnern und -Partnerinnen erheblich.

Die Bereitstellung von Medikamenten ist somit etwas ganz Wichtiges, und es ist sicher wieder ein Thema, das auf dem Kongress intensiv behandelt werden wird.

Prof. Norbert Brockmeyer (Foto: picture alliance).
Norbert Brockmeyer hält Aufklärung noch immer für das Hauptthema, wenn es um HIV gehtBild: picture-alliance/dpa

Welchen Stellenwert hat Prophylaxe?

Zwei europäische Studien zur Präexpositions-Prophylaxe, also die Behandlung von Nicht HIV-Infizierten als Schutz vor einer HIV-Infektion, waren sehr erfolgreich.

Diese werden sicherlich einen großen Diskussionsraum auf dem Kongress einnehmen und auch die Frage: Kann man die Daten, die in Europa gewonnen wurden, verallgemeinern? Wer kommt für diese Prophylaxe in Frage? An wen richtet sich eine solche Vorsorge? Mit welchen Schwierigkeiten haben wir es zu tun? Was bedeutet eine solche Präexpositions-Prophylaxe für die Betroffenen?

Da gibt es viele Fragen, und bisher wenig Antworten. Ganz wichtig aber bleibt das Kondom. Die Präexpositions-Prophylaxe ist kein Ersatz für das Kondom. Sie ist eine Ergänzung.

Wie weit ist die AIDS-Forschung?

Wir haben eine unglaublich große Forschungsaktivität, die sehr stark immunologische Funktionsbeeinflussungen untersucht. Wir wissen mittlerweile sehr viel mehr über Wechselwirkungen zwischen dem Immunsystem (Wirt) und dem Virus. Dadurch ist die Entwicklung ganz neuer therapeutischer Angriffspunkte denkbar. Wir sehen neue Möglichkeiten einer wirksamen Impfung gegen HIV. Aber das muss weiter untersucht werden. Das Gute ist, dass es keine nur auf HIV bezogene Forschung ist, sondern dass die gesamte Forschung profitiert. Der Gewinn für die Therapie anderer Erkrankungen und Infektionen ist erheblich.

Welche Länder sind in Europa noch immer besonders betroffen?

In Europa ist Osteuropa, also Russland, aber auch die Ukraine, sehr stark betroffen. Das hängt teilweise mit den wirtschaftlichen Verhältnissen zusammen, teilweise aber auch mit der politischen und gesellschaftlichen Einstellung zu HIV-Infektionen. Es zeigt sich - gerade auch in Russland: Solange man nicht offen mit Infektionen umgeht, solange man Infektionen und deren Träger ächtet und als Menschen zweiter Klasse ansieht, solange kann eine Präventionsstrategie nicht greifen. Solange kann auch keine Vorsorge greifen. Das hat sich in China gezeigt: Vor Jahren wurde HIV offiziell dort eher nicht wahrgenommen, HIV-Infizierte wurden ausgegrenzt. Dann haben die Chinesen eine sehr offene Politik betrieben und damit sind sie auch erfolgreich.

Wir müssen mit diesen Problemen offen und liberal umgehen, nur dann können wir erfolgreich sein. Solange wir Druck ausüben, solange wir die Leute durch Repressalien in den Untergrund treiben, solange werden wir gegen HIV verlieren.

Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer ist Direktor für Forschung und Lehre und Leiter des Zentrums für Sexuelle Gesundheit der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Ruhr-Universität Bochum. Er ist Sprecher des Kompetenznetzes HIV/AIDS und Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft (DSTIG).

Das Interview führte Gudrun Heise.