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Aids in Arabien: Zwischen Verdrängung und Bewusstsein

Das Interview führte Marianne Wagdy25. August 2006

Wie gehen muslimische Gesellschaften mit Aids um? Im DW-WORLD.DE-Interview spricht Osama Tawil, Leiter des UNAIDS-Büros für den Nahen Osten über Probleme und Fortschritte im Kampf gegen Aids im arabischen Raum.

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In vielen arabischen Ländern gilt Aids nach wie vor als Tabu-Thema.Bild: Montage DW/dpa/picture-alliance

DW-World: Steckt die arabische Welt immer noch in dem Dilemma, die Aids-Bedrohung aus vermeintlich moralischen Gründen nicht öffentlich diskutieren zu dürfen?

Osama Tawil: Früher gab es eine allgemeine Weigerung der Gesellschaft, sich mit Aids auseinander zu setzen. Mittlerweile gibt es unter den einzelnen arabischen Ländern wesentliche Unterschiede im Umgang mit der Bedrohung: Einige Gesundheitsbehörden spielen die Bedeutung von Prävention und Aufklärung immer noch herunter und leugnen, dass es in ihrem Land Menschen gibt, die sich selbst gefährden. In anderen Ländern hingegen steigt das Bewusstsein dafür, dass die Aids-Gefahr für die Bevölkerung über unmoralisches Verhalten weit hinaus geht – das eigentliche Problem wird zunehmend bei mangelnder Bildung, gesellschaftlicher Abgrenzung, unaufgeklärter Jugend und Entwicklungsrückständen angesiedelt. Wir hoffen, dass künftig auch ein Umdenken statt findet, dass Aids nicht mehr als Strafe für unmoralisches Handeln betrachtet wird.

Wie sieht ihre Bilanz für den arabischen Raum nach der Welt-Aids-Konferenz in Toronto aus?

Dr. Osma Tawil, Leiter von UNAIDS MENA
Osama Tawil: "Viel erreicht, doch noch mehr zu tun"

Die arabischen Länder sind bei diesen Konferenzen zum Thema Aids traditionell unterrepräsentiert, weil sich bei uns vergleichsweise wenige Menschen und Organisationen

mit dem Thema beschäftigen. Wir müssen einfach mehr Geld bereitstellen, um die Beteiligung der arabischen Länder an solchen Konferenzen zu fördern. Immerhin konnten wir

Regierungsvertreter zu der Konferenz schicken, aber es müssten auch mehr Betroffene und NGOs aktiv eingebunden werden. Gerade Letztere müssten in ihren jeweiligen Heimatländern in der Öffentlichkeit viel sichtbarer in Erscheinung treten und sie sind auch in der Lage, Risikogruppen wie Prostituierten, Drogensüchtigen oder Homosexuelle zu erreichen.

Es ist generell schwierig, Frauen in der arabischen Welt anzusprechen. Welche Bemühungen gibt es, Frauen aufzuklären gerade was die Mutter-Kind-Übertragung des Aids-Virus betrifft?

Die Mutter-Kind-Übertragung ist bei der Prävention zwar nur ein Aspekt, aber immerhin: Viele Länder haben erst vor kurzem dieses Problem in ihre nationalen Strategiepläne für den Kampf gegen Aids aufgenommen. Dies spiegelt sowohl das steigende Bewusstsein gegenüber Aids im Allgemeinen, als auch für die Bedürfnisse von Frauen im Speziellen wider. Und es gibt auch schon in Marokko und im Sudan durchaus erfolgreiche Bemühungen von NGOs, von Prominenten und auch Ministerien. Unser Ziel ist es, diese einzelnen Bemühungen auszuweiten.

Was für eine Rolle könnten religiöse Führer in Zukunft bei der Aids-Prävention spielen?

Diskussionen mit religiösen Führern sind absolut notwendig, da gerade sie in vielerlei Hinsicht zur Fürsorge und Unterstützung für Betroffene beitragen könnten. In Ländern wie zum Beispiel Algerien arbeiten sie bereits fest mit Ministerien und NGOs zusammen, um für mehr gesellschaftliche Akzeptanz und Unterstützung für Betroffene zu werben. Klärt man die Religionsführer dagegen nicht angemessen über Aids, seine Übertragungsarten und Präventionsmöglichkeiten auf, dann bleiben sie bei ihren Erklärungen, die auf moralische Verkommenheit und Verdammnis basieren. Das war und ist noch immer in vielen Teilen der Welt so.

Die Behandlung von Aids-Kranken kostet sehr viel Geld. Wie kann man eine Gesellschaft, die diese Gruppe von Menschen zutiefst verachtet, dazu bringen, für diese Kosten aufzukommen?

Auch in arabischen Ländern sind HIV-Infektionen nicht nur auf diese Personenkreise beschränkt sind. Aber dort ist es nach wie vor schwierig, über dieses Thema zu sprechen, auch wenn ein gewisser Wandel erkennbar ist, etwa in den Medien. Was den Drogenkonsum betrifft, haben sich viele Wissenschaftler und Experten in letzter Zeit dafür eingesetzt, dieses Thema nicht mehr nur unter gesetzlichen Aspekten zu diskutieren, sondern sich auch über die gesundheitlichen und sozialen Konsequenzen Gedanken zu machen. Auch bezüglich der Prostitution gibt es ein größeres Bewusstsein, allerdings ist da noch einiges zu tun.