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Gespenstische Ruhe am Himmel

Andreas Spaeth
1. April 2020

Der weltweite Luftverkehr geht durch das Coronavirus massiv zurück, im südlichen Afrika um fast 100 Prozent. Ein nie dagewesenes Phänomen. Das wird die Branche nachhaltig verändern.

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Coronavirus | Flugzeuge | Flughafen  Tusla
Bild: Reuters/N. Oxford

Die kleinen gelben Flugzeugsymbole sprechen eine deutliche Sprache. Wer die Flugverfolgungs-Website Flightradar24 kennt, weiß, dass sich die Miniflugzeuge auf der interaktiven Weltkarte stets wie Insektenschwärme über den ganzen Globus verteilen. Es ist normalerweise faszinierend, die je nach Tageszeit auf verschiedenen Kontinenten pulsierenden Bewegungen der Verkehrsspitzen zu beobachten. Derzeit offenbart der Blick auf die Flüge weltweit ein gespenstisches Bild - denn die Schwärme sind verschwunden. Mit Klick auf die Symbole lässt sich erkennen, was hier noch stattfindet: In der Mehrzahl Frachtflüge oder Rückholungen gestrandeter Touristen plus wenige verbliebenen Linienflüge.

Genau 101 Jahre nach dem ersten internationalen Linienflug der Welt im Februar 1919 hat das Coronavirus das weltumspannende Transportsystem des Luftverkehrs praktisch lahmgelegt. Eine Unterbrechung, die es so nicht einmal während des Zweiten Weltkrieges gab.

Stillstand überall: Maschinen von American Airlines am Tusla International Airport im US-Bundesstaat Oklahoma
Stillstand überall: Maschinen von American Airlines am Tusla International Airport im US-Bundesstaat OklahomaBild: Reuters/N. Oxford

Stillstand vor allem im Süden Afrikas

Ein Blick auf die Südhälfte Afrikas ist besonders bestürzend - kein einziges gelbes Symbol ist hier mehr am virtuellen Himmel auszumachen, seit Südafrika und seine Nachbarländer radikal ihre Lufträume und alle Flughäfen geschlossen haben. Die Zahlen von Flightradar24 sprechen eine klare Sprache: Gibt es an einem typischen Tag Ende März weltweit normalerweise insgesamt etwa 180.000 Flüge, so waren es am 27. März nicht einmal 90.000 und am 28. März gerade 69.510 Flüge auf dem gesamten Globus.

Dies ist ein historischer Einschnitt von nie gekannter Tragweite. Auf dem Globus existieren etwa 25.000 Verkehrsflugzeuge, zu jeder Zeit sind sonst mehr als eine halbe Million Menschen gleichzeitig irgendwo über unseren Köpfen am Himmel unterwegs. Das entspricht etwa sechs Millionen Passagieren täglich oder fast 0,1 Prozent der gesamten Weltbevölkerung, die jeden Tag in ein Flugzeug steigt. Jetzt bereits ist der Flugbetrieb weltweit um 80 Prozent gesunken, in einigen Gegenden um 90 Prozent.

Stillstand auch in Peking: Maschinen von Air China auf dem Beijing Capital Airport
Stillstand auch in Peking: Maschinen von Air China auf dem Beijing Capital AirportBild: Getty Images/AFP/G. Baker

"Die Welt wird eine andere sein"

Lufthansa-Chef Carsten Spohr sieht die Sache mit großer Sorge: "Die Welt wird nach der Krise eine andere sein, und das gilt in besonderem Maße für die Luftfahrt." Niemand weiß, welche Airlines nach möglicherweise ein paar Monaten Zwangspause überhaupt noch existieren werden. Die Branche rechnet bisher, bei drei Monaten schwerwiegender Unterbrechungen des üblichen Luftverkehrs, mit Einnahmeverlusten von weltweit 252 Milliarden US-Dollar, davon 76 Milliarden allein in Europa, und fordert dringende Staatshilfen. "Im Durchschnitt können Fluggesellschaften das zwei Monate durchhalten", heißt es beim Linienluftfahrtverband IATA in Genf, "manche viel kürzer."

Etwa 30 größere Airlines gelten weltweit als Wackelkandidaten, die schon vor der Coronakrise akut gefährdet waren. "Das Risiko ist, dass diesen Airlines schon das Geld ausgeht, bevor der Aufschwung kommt. Selbst am Ende dieses Jahres werden wir nicht wieder dort sein, wo wir waren", erklärte IATA-Chefökonom Brian Pearce am Dienstag. Allein im heute beginnenden zweiten Quartal 2020 werde die Luftfahrtbranche geschätzte 61 Milliarden US-Dollar an Bargeld verbrennen, wovon 35 Milliarden auf fällige Rückerstattungen von nutzlos gewordenen, bereits verkauften Flugtickets entfallen werden, so Pearce.

Auch am neuen Flughafen von Istanbul geht (fast) nichts mehr: Parkende Maschinen von Turkish Airlines
Auch am neuen Flughafen von Istanbul geht (fast) nichts mehr: Parkende Maschinen von Turkish AirlinesBild: Reuters/U. Bektas

Viel Arbeit mit parkenden Maschinen

Nach einem Gewinn der globalen Flugbranche von sieben Milliarden US-Dollar im zweiten Quartal 2019 erwartet die IATA für das gleiche Quartal in diesem Jahr einen Gesamtverlust von 39 Milliarden US-Dollar weltweit. Eine auf die Eindämmung des Coronavirus folgende weltweite, tiefe Rezession werde die Rückkehr zu üblichen Verkehrszahlen bis 2021 verzögern, den üblicherweise vier- bis fünfprozentigen jährlichen Passagierwachstum bis 2022.

Es entstehen den Airlines auch weiterhin laufende Kosten, selbst wenn ihre Flugzeuge nicht in der Luft sind, sondern allesamt am Boden. Da sind zum einen fällige Abschreibungen für die Flotten, Versicherungsraten und Leasingraten als Fixkosten, aber auch weiterlaufende administrative Aufwendungen und solche für die Flugzeug-Instandhaltung. Die sind entgegen landläufiger Vermutung auch für abgestellte Flugzeuge erheblich. Wenn ein Jet sieben Tage nicht in der Luft war, muss er für das Parken vorbereitet werden, wofür allein 60 Arbeitsstunden pro Maschine veranschlagt werden.

Abgestellte Airbus A380 am Frankfurter Flughafen
Abgestellte Airbus A380 am Frankfurter Flughafen Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Ein Dutzend Abdeckungen werden auf jede Öffnung gesetzt. Am wichtigsten ist das bei den Triebwerken, damit sie vor äußeren Einflüssen geschützt sind. Die Räder des Fahrwerks werden mit Schutzhüllen abgedeckt, um zu verhindern, dass die Bremsen der Feuchtigkeit ausgesetzt sind. Nach Beginn der Parkphase sind vom Hersteller nach jeweils sieben Tagen, 15 Tagen und einem Monat Überprüfungen vorgeschrieben. Etwa Funktionstests sowie alle zwei Wochen ein Standlauf der Triebwerke, wöchentlich wird jedes Flugzeug leicht hin- und her bewegt, damit die Reifen keine Flachstellen bilden. Nach drei Monaten muss jedes geparkte Flugzeug sogar einmal in die Luft.

Die nötigen Arbeiten beschäftigten einen Großteil der vorhandenen Wartungsmannschaft etwa der Lufthansa-Gruppe weiterhin, auch wenn sie wie der ganze Konzern auf Kurzarbeit umgestellt hat. Für knapp zwei Drittel der Beschäftigten - immerhin 87.000 Menschen - hat das Unternehmen jetzt Kurzarbeit beantragt, bestätigte ein Lufthansa-Sprecher am Mittwoch.