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Aktenzeichen EM.TV

Detlev Karg7. November 2002

Der Gründer des Medienkonzerns EM.TV, Thomas Haffa, steht seit Montag (4.11.) in München vor Gericht. Zusammen mit seinem Bruder Florian Haffa, der Finanzchef von EM.TV war, muss er sich wegen Kursbetruges verantworten.

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Die Brüder HaffaBild: AP

Mit falschen Zahlen und geschönten Angaben über den Geschäftsverlauf sollen die Haffa-Brüder den Kurs der EM.TV-Aktie hoch gehalten haben. Beide Angeklagte hatten die Vorwürfe bisher bestritten. Das Unternehmen wurde durch den Kauf der Rechte an Produktionen wie der "Muppet Show" und der "Sesamstraße" sowie an der Formel 1 zu einem internationalen Medienkonzern. Auf diese Weise wurde in den Boomzeiten des Neuen Marktes, als Blütenträume ins Kraut schossen, aus EM.TV einer der vielen Börsenlieblinge.

"Der Vorwurf gegen EM.TV und die früheren Vorstände ist, dass man viel zu spät über wahre Lage des Unternehmens und die Umsatz- und Ertragsentwicklung informiert hat", sagte Rechtsanwältin Daniela Bergdolt, die auch Chefin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) in Bayern ist, gegenüber DW-WORLD.

"Das Geschäft läuft sehr, sehr gut, super."

Im Jahr 2000 hatte Haffa einen Jahresgewinn von über 600 Millionen Mark versprochen. Tatsächlich machte EM.TV da bereits fast 2,8 Milliarden Mark Verlust. Als erster Manager des Neuen Marktes muss Haffa sich nun wegen falscher Darstellung und Kursbetrugs in einem Strafprozess verantworten. Im voll besetzten Zuschauersaal wurden vereinzelt Pfui-Rufe laut, als die Angeklagten erschienen. Der Staatsanwalt Peter Noll warf den Brüdern Haffa vor, sie hätten im Jahr 2000 wissentlich falsche Halbjahreszahlen bekannt gegeben und die wahre Lage des Unternehmens "unrichtig wiedergegeben oder verschleiert. Der Staatsanwalt zitierte Florian Haffa wörtlich: "Wir stehen ganz, ganz fest zu unseren Prognosen. Das Geschäft läuft super."

Thomas Haffa wies alle Vorwürfe zurück. Sein Bruder und er hätten "die Lage des Unternehmens jederzeit nach bestem Wissen dargestellt". Das Lizenzgeschäft verlaufe nicht kontinuierlich, sondern hänge von einigen wenigen großen Abschlüssen ab. "Mit einem einzigen großen Vertrag hätten wir die Prognose noch erreichen können." Die Fehlbuchungen erklärte sein Verteidiger, der Frankfurter Professor Rainer Hamm, mit der komplizierten Umstellung auf die internationalen Bilanzregeln.

Weitere Prozesse stehen an

Der Prozess gegen die Haffas ist der Auftakt einer Serie von Verhandlungen gegen einstige Vorzeigemanager des Neuen Markts, wie etwa den früheren Comroad-Chef Bodo Schnabel, dem schon in wenigen Tagen ebenfalls in München der Prozess gemacht wird. Auch Michael Kölmel, Gründer der mittlerweile insolventen Filmfirma Kinowelt und vor zwei Jahren so gefeierte wie Thomas Haffa, wurde jüngst von der Polizei aus seiner noblen Villa am Starnberger See abgeholt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm im Zusammenhang mit der Pleite von Kinowelt Untreue und Insolvenzverschleppung vor. Mittlerweile ist er gegen Kaution auf freiem Fuß und will die Konkursreste der Kinowelt aufkaufen, um neu anzufangen.

Musterprozess mit ungewissem Ausgang

Das EM.TV-Verfahren mit dem Aktenzeichen 4 Kls 305 Js 52.373/00 hat Symbolcharakter für die Pleiten und Skandale rund um den Neuen Markt. "EM.TV ist deshalb ein Präzedenzfall, da erstmals Vorstände einer börsennotierten Gesellschaft wegen falscher Informationen der Aktionäre vor Gericht stehen", sagt Anwältin Bergdolt. Die Börsenkriminalität ist zudem juristisches Neuland für die Gerichte.

Die Vorsitzende Richterin Huberta Knöringer erklärte, dass nach dem neuen 4. Finanzmarktförderungsgesetz bei einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe, aber auch eine bloße Geldbuße wegen einer Ordnungswidrigkeit in Betracht komme. Das neue Gesetz verlangt aber den genauen Beweis, dass die Angeklagten den Aktienkurs nicht nur manipulieren wollten, sondern auch tatsächlich manipuliert haben. Früher genügte schon die bloße Absicht. Was aber können die Anleger nun erwarten? "Der Schadensersatz für Anleger würde sich ähnlich wie bei der Prospekthaftung an der Differenz zwischen eingesetztem Kapital und Abzug des momentanen Wertes der Aktie berechnen", sagt die bayrische DSW-Vorsitzende Bergdolt.

Straftat oder Kavaliersdelikt?


Verteidiger Hamm sagte zu Prozessauftakt indes, selbst eine Geldbuße sei nur theoretisch möglich, denn die für das neue Gesetz notwendige Verordnung des Bundesfinanzministers sei noch nicht erlassen worden. Es bestünden "gravierende verfassungsrechtliche Bedenken". Der Prozess dürfte also langwierig werden. Die Kammer hat die Termine bereits bis Januar 2003 geplant. Das Gesetz macht eine Verurteilung nicht einfach: "Die deutschen Anleger sind durch die bisherigen klageabweisenden Urteile verunsichert. Sie haben nicht das Gefühl, dass die deutschen Gesetze die Anleger ausreichend schützen. Die Verbesserungen durch das 4. Finanzmarktförderungsgesetz sind nur ein erster, aber kleiner Schritt in die richtige Richtung. Es fehlt an einer Beweislastumkehr dort und an der Haftung der Vorstände für falsche Mitteilungen. Auch die Schadensberechnung ist nicht klar niedergelegt", kritisierte Daniela Bergdolt im Gespräch mit DW-WORLD.
Misslingt der Staatsanwaltschaft also der Nachweis, dass Äußerungen der Haffa-Brüder den Kurs wirklich bewegt haben, bliebe von der Anschuldigung des Kursbetrugs nicht mehr übrig als eine Ordnungswidrigkeit. Also ein Kavaliersdelikt statt einer Straftat. Die mögliche Geldbuße von 1,5 Millionen Euro können sich die Haffas dann auch noch leisten.