1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Schützt die Kinder!"

Gabriel Dominguez / Srinivas Mazumdaru10. August 2015

Fast 300 Kinder sollen in Pakistan jahrelang sexuell misshandelt und gefilmt worden sein. Trotz des öffentlichen Aufschreis werde sich am verbreiteten Kindesmissbrauch so bald nichts ändern, befürchten Experten.

https://p.dw.com/p/1GCrU
Pakistan: Festnahmen im Skandal um Kindesmissbrauch (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images/AFP/A. Ali

Es handele sich um den größten Kindesmissbrauchsskandal, den es je in Pakistan gegeben habe, sagte der Leiter des Amts für Jugendschutz der Provinz Punjab, Saba Sadiq, gegenüber AFP. Laut lokalen Medienberichten wurden im Dorf Husain Khan Wala südwestlich von Lahore mindestens 280 Kinder von einer Bande von 25 Männern vor laufender Kamera sexuell missbraucht. Anschließend wurden die Eltern der Kinder mit der Drohung, die Videos zu veröffentlichen, erpresst. Die Kinder sollen auch zu sexuellen Handlungen untereinander gezwungen worden sein. Dorfbewohner erklärten gegenüber Reuters, dass eine "prominente Familie" des Dorfes Kinder jahrelang zu solchen Handlungen gezwungen habe.

Die Regierung in Islamabad hat eine entschlossene Reaktion angekündigt: "Wir werden dafür sorgen, dass die Täter dieses abscheulichen Verbrechens exemplarisch bestraft werden", so Premier Nawaz Sharif am Montag. Am Sonntag waren mindestens sieben Männer verhaftet worden, sie sollen Kinder misshandelt und entsprechende Videos verkauft haben.

Jugendliche in Rückenansicht, die nach Aussage ihrer Familien jahrelang missbraucht wurden
Diese Jugendlichen wurden nach Aussage ihrer Familien jahrelang missbrauchtBild: Reuters/M. Raza

Misstrauen gegenüber Strafverfolgungsbehörden

Shahbaz Sharif, Chefminister des Punjab und Bruder des Premiers, ordnete eine "unabhängige richterliche Untersuchung" des Falles an. Menschenrechtsaktivisten und mehrere betroffene Familien protestieren unterdessen gegen das vermeintlich zögerliche und hinhaltende Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden. "Die Polizei deckt diese Verbrecher, sie steckt mit ihnen unter einer Decke und hat dafür gesorgt, dass die das Dorf verlassen konnten", sagte Latif Ahmed Sara, ein Anwalt und Aktivist, der die Opfer vertritt, gegenüber der Presse. Einige der Videoaufnahmen stammten von 2007, so Sara.

Habiba Salman von der unabhängigen Kinderschutzorganisation Sahil in Islamabad sagte gegenüber der DW, dass solche Verbrechen in Pakistan nicht ungewöhnlich seien, sondern seit Jahren immer wieder geschähen. "Die Kinder werden von den Tätern mit verschiedenen Methoden angelockt, und sei es nur mit Süßigkeiten, und dann werden sie unter Druck gesetzt." Der jüngste Fall sei allerdings ein besonderer, weil er Hunderte von Kindern betreffe. Aber obwohl er weltweit für Schlagzeilen gesorgt habe, befürchtet Habiba Salman, dass der Fall schon bald vergessen sein werde, wie andere zuvor auch.

"Es gab schon viele ähnliche und spektakuläre Fälle, die für viel Medienwirbel sorgten und die Politiker zu Sprüchen veranlassten, dass sie das Problem anpackten würden. Bis jetzt ist aber noch nichts Konkretes passiert", sagt Salman und verweist auf den Fall eines fünfjährigen Mädchens, das in der Stadt Lahore missbraucht wurde. Auch hier habe es einen Aufschrei der Öffentlichkeit gegeben, aber bislang keine Verhaftungen.

Pakistan - Premierminster Nawaz Sharif (Foto: Getty Images)
Premier Sharif verspricht "exemplarische Bestrafung"Bild: Getty Images/S. Gallup

"Staat muss effektive Institutionen schaffen"

Die UNICEF-Vertretung in Pakistan sagte unterdessen gegenüber der DW, der Fall zeige erneut die Dringlichkeit von Reformen, damit die staatlichen Institutionen in die Lage versetzt würden, Kinder zu schützen und frühzeitig präventive Maßnahmen zu ergreifen. Zwar habe Pakistan gewisse Fortschritte gemacht, was die Einrichtung von Institutionen zum Schutz von Kindern gemäß internationaler Abkommen und Standards betrifft. Aber die Bemühungen auf den verschiedenen staatlichen Ebenen blieben bislang "unkoordiniert und inadäquat, insbesondere hinsichtlich der Prävention sexuellen Missbrauchs", so UNICEF-Sprecher Daniel Timme.

Die Frage, wie weitverbreitet der sexuelle Missbrauch von Kindern in Pakistan ist, lässt sich laut UNICEF unter Verweis auf die unzureichende Dokumentation durch die pakistanischen Behörden nicht genau beantworten. Habiba Salman von der NGO Sahil berichtet dagegen von 3508 Fällen von Kindesmissbrauch, die nach Recherchen der Organisation den Behörden 2014 gemeldet worden seien. Sahil geht davon aus, dass es sich nur um die Spitze des Eisbergs handelt. "In unserer konservativen Gesellschaft verschweigt man solche Vorfälle lieber."

"Gesetzgeber muss tätig werden"

Die Aktivistin weist auf die langfristigen Folgen für die Opfer solcher Verbrechen hin, die nicht allein ihre Psyche beträfen, sondern auch ihr späteres Leben in Ehe und Familie. Keine pakistanische Provinz habe ein Gesetz gegen Kinderpornografie. Die Regierungen auf nationaler und Provinzebene müsste dringend Gesetzgebung auf den Weg bringen, um den sexuellen Missbrauch von Kindern einzudämmen.

UNICEF-Sprecher Timme fordert mehr Anstrengungen von Pakistan, um seine Gesetzgebung in Übereinstimmung mit internationalen Standards zu bringen. Dazu gehörten auch bessere finanzielle Ausstattung und entsprechende Ausbildung, damit in Pakistan professionelles Personal für den Schutz von Kindern herangebildet werden kann.