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20 Jahre nach der Revolution

1. Februar 2011

Vor 20 Jahren gab es in Albanien eine Revolution gegen die Diktatur. Derzeit brodelt es im Land. Was sind die Gründe und wie demokratisch ist das Land jetzt? DW-Albanien-Experte Fabian Schmidt analysiert die Situation.

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Schmidt Fabian DW-Albanien-Experte

DW-WORLD.DE: Herr Schmidt, in Albanien brodelt derzeit wieder. Am 21.1.2011 gab es in der Hauptstadt Tirana eine Demonstration der Opposition mit rund 20.000 Albanern, und da eskalierte dann die Situation: 3 Tote, über 100 Verletzte, es waren die schwersten Proteste seit 1998. Warum kam es denn zu dieser Eskalation?

Fabian Schmidt: Jetzt unmittelbar kam es dadurch zu dieser Eskalation, dass die Opposition bereits seit über anderthalb Jahren, nämlich seit Herbst 2009 das Wahlergebnis nicht anerkennt und immer wieder Straßenproteste gegen die derzeitige Regierung von Premierminister Sali Berisha durchführt. Allerdings hängt das Ganze mit einer viel älteren Tradition der Polarisierung zusammen. Auf der einen Seite gibt es die rechtskonservative demokratische Partei, das sind Antikommunisten. Auf der anderen Seite gibt es die sozialistische Partei, die aus der altkommunistischen Partei hervorgegangen ist und sich dann in Richtung einer sozialdemokratischen Partei reformiert hatte. Viel hängt dabei aber auch mit den Persönlichkeiten zusammen. Derzeitigen spitzt sich der Konflikt zwischen Premierminister Sali Berisha und seinem Herausforderer Edi Rama zu. Edi Rama war ein künstlerischer Freigeist. Seit seinem Eintritt in die Politik hat er jedoch zunehmend Geschmack an der Macht gefunden. Er forciert diesen Konflikt derzeit ganz massiv.

Zwanzig Jahre nach dem Ende des Kommunismus könnte man ja eigentlich erwarten, dass sich da eine Zivilgesellschaft entwickelt hat, eine demokratische Kultur oder ist das nur ein Wunsch?

Die demokratische Kultur leidet darunter, dass die Menschen, die letztlich Träger der politischen Auseinandersetzung sind, im Kommunismus sozialisiert wurden. Deshalb gibt es eigentlich sehr wenig seriösen Diskurs, der auf eine Problemlösung abzielt. Der Diskurs ist oft rechthaberisch und dient dazu seine politischen Ziele zu erreichen, gerade auch dann, wenn man auf demokratischem Wege sie nicht durchsetzen kann. Im Prinzip sollte der demokratische Prozess in Albanien eigentlich funktionieren da alle dafür notwendigen Institutionen geschaffen wurden. Aber die Legitimität der Entscheidungen wird immer wieder von der Opposition infrage gestellt. Das ist mal die eine, dann die andere Partei. Das ist eine konfrontative politische Kultur.

Mag das auch daran liegen, dass es noch keine so langjährige demokratische Kultur in Albanien gibt? Zwei Jahrzehnte ist ja vergleichsweise wenig.

Natürlich hat das auch damit zu tun. Wir dürfen nicht übersehen, dass Albanien nicht nur erst seit zwei Jahrzehnten eine Demokratie hat, auch in der Vergangenheit gab es ja keine demokratische Erfahrung. Albanien wechselte 1912 eigentlich direkt aus dem Osmanischen Reich durch Monarchie. Es gab nur für wenige Monate eine zivile bürgerliche Regierung und das war es. Danach gab es dann absolutistisch geartete Monarchien und eben diese stalinistische Diktatur in seiner schlimmsten Ausprägung.

Kommen wir auf die aktuelle Situation. Hätte denn die EU an der einen oder anderen Stelle mehr Hilfestellung geben sollen oder sogar müssen?

Im Prinzip haben EU, Europarat und OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Albanien sehr viel Hilfe gegeben. Das Paradox ist eigentlich, dass man manchmal das Gefühl hat, es ist ein bisschen zuviel Hilfe und sie führt dazu, dass letztlich die politische Kultur sich ein bisschen abhängig macht von der internationalen Gemeinschaft. Das heißt, dass man gerne darauf zurückgreift wenn man seine politischen Ziele nicht mehr so durchsetzen kann, dass man dann quasi nach dem externen Vermittler schreit, internationale Gemeinschaft, Europa hilf uns, wir werden unterdrückt. Dabei sind viele der Dinge die dort stattfinden in einer Demokratie ganz normal, dass man eben nicht immer der Sieger sein kann.

Albanien will ja in die Europäische Union, die EU aber sagt, Ihr müsst mehr bei der Korruptionsbekämpfung tun, Eure Demokratie muss besser funktionieren, reicht das denn?

Es wird ohnehin noch ein langer Weg in die Europäische Union sein. Natürlich muss Albanien mehr im Bereich der Korruptionsbekämpfung tun. Auslöser der jüngsten Proteste war ja nicht zuletzt der Rücktritt eines stellvertretenden Premierministers, eines Koalitionspartners von Herrn Berisha wegen Korruptionsvorwürfen. Das heißt, das Thema ist und bleibt akut. Darüber hinaus hat die Korruption auch damit zu tun, dass das Land einfach grundsätzlich sehr arm ist. Insofern ist die Aufnahme in die Europäische Union noch ein weiter Weg.

Die aktuelle junge Generation, die jetzt heranwächst, die jetzt langsam erwachsen wird, hat den Kommunismus selbst gar nicht mehr miterlebt. Mag das auch eine Hoffnung sein für das Land Albanien?

Ganz zweifellos, allerdings dürfen wir auch nicht vergessen, dass natürlich auch die junge Generation in dem System aufwächst und sich da irgendwie durchschlagen muss. Das heißt, auch sie werden sich natürlich der Mechanismen bedienen, die ihnen zur Verfügung stehen. Zu hoffen wäre, dass irgendwann diese junge Generation auch die Chance ergreift, sich so politisch zu organisieren, dass sie wirklich einen Wandel in Gang setzen kann. Allerdings zeigt auch die Erfahrung, dass viele dieser jungen Leute eben selbst in der Denkweise dieser Konfrontation sehr verhaftet sind. Edi Rama selber, der eine Protagonist dieser Auseinandersetzung jetzt, nämlich der Oppositionsführer, ist ja auch so ein Beispiel. Als Künstler und Freigeist hat er sich sozusagen profiliert, aber er ist eben in diese Falle der Parteipolitik getappt, aus der er jetzt nicht mehr herauskommt.

Das Interview führte Tobias Oelmaier

Redaktion: Gero Rueter