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"Blockade beim Datenschutz"

Ralf Bosen5. Mai 2014

Mit der EU-Datenschutzreform geht es nur in Mini-Schritten voran. Der für die Reform zuständige Parlamentarier, Jan Philipp Albrecht, wirft Deutschland im DW-Interview vor, eine Einigung verhindern zu wollen.

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Ein Porträtaufnahme von Jan Philipp Albrecht
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Herr Albrecht, das Europaparlament hat den Reform-Vorschlägen zwar am 12. März zugestimmt, aber es gibt Widerstand von den Mitgliedsstaaten, die ja auch noch grünes Licht geben müssen. Wie sehr wird ihre Geduld auf die Probe gestellt?

Jan-Philip Albrecht: Ich glaube nicht, dass unsere Geduld auf die Probe gestellt wird, sondern es geht schlicht und einfach um die Frage des politischen Willens. Wozu man sich durchringen kann und will. Die Bürgerinnen und Bürger in Europa erwarten von uns, dem Europäischen Parlament, aber auch von den Regierungen in der EU, dass sie Nägel mit Köpfen machen und dass sie ihre Rechte effektiv durchsetzen.

Sie werfen vor allem Deutschland vor, eine Einigung zu verzögern. Können sie Ihren Vorwurf erläutern?

Das Problem ist, dass wir seit zwei Jahren an dieser Reform verhandeln und das Europäische Parlament nach anderthalb Jahren zu einer Einigung gekommen ist, obwohl es sehr, sehr viele Änderungsanträge und Wünsche gegeben hat und wir sehr in die Tiefe gegangen sind. Nach diesen zwei Jahren ist der Ministerrat zu keiner Einigung gekommen. Es gibt auch keine gemeinsame Position der Minister. Das liegt vor allen daran, dass eine kleine Minderheit an Mitgliedsstaaten - und leider ist darunter auch Deutschland - seit Monaten eine Einigung blockiert und eine Abstimmung nicht will. Offenbar will man beim Datenschutz kein EU-Gesetz mittragen, sondern vielleicht ganz grundsätzlich den Datenschutz in Frage stellen.

Gegenwind kommt auch aus Irland. Ein Land, das wegen seiner Steuergesetzgebung internationale Firmen anzieht und deshalb die Internetriesen nicht vergraulen will. Haben Sie Verständnis für deren Position?

Es ist gar nicht mal so, dass aus Irland Gegenwind kommt. Die Regierung von Irland weiß, dass sie nur dann wieder beim Datenschutz ernst genommen wird, wenn die EU-Datenschutzverordnung europaweit für Sicherheit sorgt. Es ist schon überraschend, dass gerade die irische Regierung, die davon profitiert, dass sie mit niedrigen Datenschutzstandards große Unternehmen wie Facebook und Google in ihr Land holt, jetzt für eine EU-Datenschutzverordnung auf hohem Niveau eintritt; während die Bundesregierung sagt, uns ist das im Grunde genommen egal, wir brauchen das nicht. Da steckt entweder der Wille dahinter, den IT- und Medienkonzernen mehr Möglichkeiten zu bieten. Oder es macht sich die ignorante Meinung breit, dass man die deutschen Regeln auch weltweit durchsetzen möchte. Dass das aber nicht der Fall sein kann, das zeigt das Internet und das zeigt auch die Globalisierung. In Deutschland muss endlich mal über den Schatten gesprungen werden.

Nun verändert sich die Internet-Welt in rasendem Tempo. Noch ist ein Inkrafttreten der Reform nicht in Sicht. Kann es sein, dass sie bei Inkrafttreten schon überholt ist?

Es gibt natürlich immer die Gefahr, dass technische Weiterentwicklungen gesetzliche Bestimmungen überholen. Auf der anderen Seite sind die Regeln, die wir heute haben, im Prinzip gar nicht so falsch, obwohl die 20 bis 30 Jahre alt sind. Auch die Definition, die wir für personenbezogene Daten haben, ist gar nicht so schlecht. Wir müssen eigentlich nur dafür sorgen, dass sie durchgesetzt und angewendet werden. Dann kann man mit solchen Prinzipien gut arbeiten. Denn die lassen sich eigentlich auf alle technischen Innovationen und alle technischen Entwicklungen gut anwenden. Wir sorgen jedenfalls im Europäischen Parlament dafür, dass das künftige Gesetz nicht nur auf bestimmte technische Szenarien anwendbar, sondern auf jeden Datenverarbeitungsprozess übertragbar ist.

Im Zusammenhang mit der Datenschutzreform ist immer wieder von einem "Lobby-Krieg" die Rede. Die Versuche von Interessenvertretern, Einfluss zu nehmen, soll bei der Diskussion um die Reform besonders massiv gewesen sein. Wie ist Ihre Erfahrung?

Meine Erfahrung ist, dass große Unternehmen gerade aus dem Silicon Valley sehr, sehr viel Geld investieren, um nicht reguliert zu werden. Um den Verbrauchern, ihren Kunden möglichst wenig Rechte eingestehen zu müssen. Man versucht sowohl die Abgeordneten im EU-Parlament als auch die Regierung und deren Ministeriumsmitarbeiter massiv zu beeinflussen. Mit Texten, mit Anrufen, mit Veranstaltungen und sehr hohem Aufwand. Das kann natürlich am Ende dazu führen, dass deren Einfluss und deren Meinung viel präsenter sind, als die Meinungen der Verbraucher. Auf diese Gefahr müssen wir reagieren. Meines Erachtens kann nur eine größere öffentliche Debatte helfen, in der die Menschen sagen, was sie eigentlich von den Abgeordneten und von den Politikern erwarten.

Eine öffentliche Debatte hat es auch über die NSA-Affäre gegeben. Der Aufschrei ist groß gewesen und hält noch an. Inwieweit hat die Wut über die Spähaktionen den Datenschutz-Verhandlungen einen Schub geben?

Natürlich hat die Debatte über die Snowdon-Veröffentlichungen und die Überwachungsskandale dafür gesorgt, dass die Aufmerksamkeit für die Themen Überwachung, Datenschutz, Grundrechte und Selbstbestimmung im Internet viel größer geworden ist. Die Menschen haben gemerkt, wie viele Daten von ihnen mittlerweile verarbeitet werden und wie wichtig es ist, dass wir internationale, grenzübergreifende Regeln finden, weil das Internet grenzenlos ist. Insofern hoffe ich, dass die Affäre den Willen bei politischen Entscheidungsträgern, Abgeordneten und Ministern stärken wird, diese Regeln zu verabschieden und die Menschen besser zu schützen. Zumindest ist der Druck geworden, glaube ich, sich bei Wahlen auch dafür zu rechtfertigen.

Nach der Europawahl ändert sich die Zusammensetzung des Europaparlaments und der EU-Kommission. Könnte das Auswirkungen auf die Novelle haben?

Natürlich kann es Auswirkungen darauf geben. Es wird eine spannende Entscheidung sein, wie viele Abgeordnete an der Willensbildung im neuen Europäischen Parlament beteiligt sind, angesichts der EU-Skeptiker und Populisten, die im Moment hoch im Kurs stehen. Auf der anderen Seite ist klar, dass wir diese Stellungnahme, diese Position des Europäischen Parlaments jetzt in erster Lesung relativ festgeschrieben haben und damit auch zur Verhandlungsgrundlage für die nächste Zeit gemacht haben. Die Abgeordneten, die das ausgehandelt haben, werden zum ganz großen Teil auch im neuen Parlament vertreten sein und entsprechend mit dem Rat verhandeln.

Wann wird die Reform als Gesetz verabschiedet und wann wird ein neuer Datenschutz tatsächlich greifen?

Wenn sich Minister und Mitgliedsstaaten bis zum Sommer auf eine Position einigen würden, wobei es massiv auf die Bundesregierung ankommt, dann könnten wir bis Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres eine gemeinsame Position zwischen Parlament und Ministerrat aushandeln und dieses Gesetz verabschieden. Dann dauert es noch mal zwei Jahre, bis sich alle dran gewöhnt haben und diese Verordnung dann tatsächlich als einheitliches EU-Gesetz gilt. Das heißt also, wir können es uns eigentlich nicht erlauben, noch länger rumzulavieren, sondern wir müssen dieses Gesetz jetzt unter Dach und Fach bringen.

Bei der Europawahl 2009 wurde Jan Philipp Albrecht von den Grünen (geboren am 20. Dezember 1982 in Braunschweig) in das Europäische Parlament gewählt. Albrecht ist Mitglied im Innenausschuss und stellvertretendes Mitglied im Rechtsausschuss des EU-Parlaments. Als Berichterstatter des Parlaments für die geplante Datenschutzverordnung verhandelt er mit der Europäischen Ratspräsidentschaft und der Europäischen Kommission über ein einheitliches Datenschutzrecht für die EU. Von Dezember 2012 bis Oktober 2013 war Albrecht auch Koordinator für den Sonderausschuss gegen organisiertes Verbrechen, Korruption und Geldwäsche.

Das Interview führte Ralf Bosen