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Albtraum statt Arbeit

9. Juni 2010

Armen Nepalesen wurde ein besseres Leben versprochen - in den USA. Aber statt in New York landeten sie im Irak. Dort mussten sie auf US-amerikanischen Militärbasen schuften.

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Internetseite: Militante Iraker bekennen sich zum Mord an zwölf nepalesischen Arbeitern
Im Internet bekennen sich militante Iraker zum Mord an zwölf nepalesischen ArbeiternBild: AP

Auf dem Podium im großen Menschenrechtssaal der Vereinten Nationen in Genf sitzt ein kleiner Mann im schwarzen Anzug und macht ein sehr ernstes Gesicht. Der 33-jährige Kumar Ramjali ist kein Diplomat, er ist auch kein Menschenrechtsaktivist. Er ist ein einfacher Bauer aus Nepal, der auf der Suche nach einem besseren Leben in die Fänge von Menschenhändlern geriet. Nach Genf ist er gekommen um mit anderen Opfern von Menschenhandel Zeugnis über sein Martyrium abzulegen.

"Für Leute wie mich, die keine richtige Schulbildung haben, gibt es eigentlich nur die Chance ins Ausland zu gehen und zu arbeiten", sagt er. "In meinem Dorf gibt es viele, die das gemacht haben. Sie konnten viel Geld verdienen und führen jetzt ein bequemes Leben."

Odysee in den Irak

Äußerlich ruhig und mit gesenktem Blick erzählt Kumar seine Geschichte: 2004 hatte er beschlossen, den Schritt ins Ausland zu wagen. Eine Arbeitsagentur in Kathmandu versprach ihm gegen eine Vermittlungsgebühr von umgerechnet 1300 US-Dollar einen Job in Amerika. Für nepalesische Verhältnisse ist das eine gigantische Summe, die dem Einkommen eines ganzen Jahres entspricht. Kumar konnte sich das Geld leihen. Die Agentur aber schickte ihn nicht wie versprochen nach Amerika, sondern zunächst nach New Delhi.

Dort musste er noch mal die gleiche Summe auftreiben und eine weitere Vermittlungsagentur bezahlen, in der Hoffnung, doch noch nach New York zu kommen. Die Agentur zog seinen Pass ein. Dann ließ sie ihn nach Jordanien transportieren. In Amman erfuhr Kumar schließlich, wohin die Reise wirklich gehen sollte: in den Irak. Freiwillig wäre er dort nie hingegangen, versichert er: "Ich hatte keine Wahl. Ich musste akzeptieren, was sie mir sagten. Sie hatten mir doch in Delhi meinen Pass abgenommen und ich hatte auch kein Geld. In dieser Situation konnte ich nur mit in den Irak gehen."

Reise wird zum Alptraum

Das Palais Wilson in Genf, Hauptsitz des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (Foto: DPA)
Das Palais Wilson in Genf, Hauptsitz des UN-Hochkommissariats für MenschenrechteBild: picture-alliance /dpa

Die Fahrt von der jordanisch-irakischen Grenze in Richtung Bagdad geriet zum Albtraum. Der Bus-Konvoi mit insgesamt etwa achtzig nepalesischen Männern wurde von Aufständischen angegriffen. Sie entführten einen der Busse und töteten alle zwölf Nepalesen an Bord. Kumar kam davon und erreichte seinen neuen Arbeitsplatz: B-1 Al Asad Base. Auf dieser US-Militärbasis im Westirak arbeitete er zunächst in der Wäscherei, dann im Tanklager und schließlich in der Müllsammelstelle. Statt der in Jordanien zugesagten 1200 US Dollar pro Monat verdiente er anfangs 280 US Dollar, später 500. Dafür hatte er zwölf Stunden am Tag und sieben Tage die Woche zu schuften.

Ausgenutzt, getäuscht, misshandelt

Kumar ist kein Einzelfall. Hunderte, wenn nicht Tausende von Arbeitsmigranten vornehmlich aus Südasien hat es in den vergangenen Jahren in den Irak verschlagen. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) ist wiederholt eingeschritten, um gestrandete Migranten von dort zurückzuholen. Die Leidensgeschichten der Geretteten gleichen sich, erklärt Jean-Philippe Chauzy von der IOM: "Es handelt sich dabei überwiegend um junge Männer, die während ihrer Arbeitssuche getäuscht wurden und so in den Irak gelangten. Sie arbeiten auf Baustellen und im Dienstleistungsbereich und schaffen es nur mit großer Mühe Hilfe zu mobilisieren und von dort wegzukommen."

Ausgetauscht gegen billigeren Ersatz

Nach vier Jahren Al Asad Militärbasis durften Kumar und seine Kollegen endlich gehen. Sie wurden durch neue Arbeiter ersetzt - noch billigere, wie Kumar vermutet. Er selbst ist überzeugt, Glück im Unglück gehabt zu haben. Denn er hat überlebt. Die Familien der zwölf im Irak ermordeten Wanderarbeiter haben sich inzwischen zusammengeschlossen und gemeinsam in Amerika Klage eingereicht gegen die Arbeitsvermittler.

Klassischer Fall von Menschenhandel

Die Washingtoner Rechtsanwältin Agnieszka Fryzsman vertritt die Familien. Sie klagen gegen Daoud & Partners – so heißt die jordanische Firma, die die Männer über die Grenze in den Irak gebracht hat. Und auch gegen KBR, den größten Militär-Dienstleister der USA, haben sie Klage eingereicht. "Wir gehen davon aus, dass KBR wusste, dass es sich hier um Menschenhandel handelte", sagt Fryzsman. Auch wenn es die Männer mit einer Vielzahl von Agenturen zu tun hatten, die sie untereinander weiterreichten. "Die Faktenlage ist erdrückend und wir haben Zeugen wie Kumar, die in der betreffenden Zeit da waren und berichten können, was passiert ist", so die Anwältin. "Diese Geschichte weist die klassischen Elemente von Menschenhandel auf: Verschuldung, Konfiszierung von Pässen und die Unmöglichkeit einfach wegzugehen. Das ist ein klassischer Fall von Menschenhandel."

Bei der Klage geht es um Entschädigungszahlungen. Kumar ist bereit, in diesem Verfahren als Zeuge aufzutreten. Er will Gerechtigkeit für seine ermordeten Landsleute. Er selbst kann nicht mit einer Entschädigung rechnen. Sein Traum vom besseren Leben ist irgendwo zwischen Kathmandu und B-1 Al Asad auf der Strecke geblieben.

Autorin: Claudia Witte

Redaktion: Anna Kuhn-Osius