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Interview mit Alex Ross

6. Februar 2012

Der New Yorker Autor Alex Ross bekam für sein Buch "The Rest is Noise. Das 20. Jahrhundert hören" den renommierten Belmont-Preis 2012 für zeitgenössische Musik zugesprochen.

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Alex Ross(Foto:@ddp images/AP Photo/Seth Wenig)
Alex RossBild: AP

Ross arbeitet als Musikkritiker bei der Zeitschrift "The New Yorker". Sein preisgekröntes Buch hat er im Romanstil verfasst; dabei verzichtet er größtenteils auf Fachbegriffe und widmet sich kenntnisreich und unterhaltsam der Musik des 20. Jahrhunderts. Über die Grenzen von Klassik, Jazz, Rock und Pop hinweg eröffnet Ross einen neuen Einblick in die Kulturgeschichte von Gustav Mahler bis Lou Reed, von Arnold Schönberg bis hin zu Michael Jackson. Spannend erzählt der Autor ebenso von den musikalisch Goldenen Zwanziger Jahren in Berlin wie von der Woodstock-Ära und den dramatischen Veränderungen durch neue Techniken.

Mit seinem 2007 erschienenen Buch wurde Ross schon als Anwärter des Pulitzer-Preises gehandelt; es erhielt einen amerikanischen Kritikerpreis und wurde in fünfzehn Sprachen übersetzt. Die DW sprach mit dem Preisträger über Vorurteile und Akzeptanz gegenüber der Neuen Musik.

DW: Herr Ross, Sie haben in München den Belmont-Preis für zeitgenössische Musik erhalten, mit 20.000 Euro einer der bestdotierten deutschen Musikpreise. Zum ersten Mal wurde kein Musiker, sondern ein Musikjournalist, ein Musikkritiker, ausgezeichnet. Waren Sie sehr überrascht?

Alex Ross: Ich war in der Tat sehr überrascht, dass mir diese Ehre zuteil wurde. Natürlich fühle ich mich sehr geehrt. Der Preis ist für diejenigen bestimmt, die auf die eine oder andere Weise die Sache der Neuen Musik vorangebracht haben. Schon als ich vor ungefähr 20 Jahren mit meiner Arbeit als Kritiker in New York begann, habe ich so oft wie möglich versucht, die Musikszene des 20. Jahrhunderts nicht nur zu beobachten und über sie zu schreiben, sondern den Gesamtzusammenhang besonders einem größeren Publikum zu vermitteln und die Bedeutung der Neuen Musik herauszustellen.

Es wunderte mich immer, warum die moderne Musik immer noch ihren Kampf mit dem Publikum ausfocht. Gerade als Kritiker fand ich es wichtig, nicht nur einzelne Werke und Komponisten vorzustellen und zu besprechen, sondern einen Überblick über die Szene als Ganzes zu geben. Dabei wollte ich von Anfang an die Newcomer an die Hand nehmen, die zum ersten Mal das Abenteuer wagen, in dieses Labyrinth der Neuen Musik einzudringen.

Ich kann mir vorstellen, dass es alles andere als einfach ist, die Geschichte der Musik des 20. Jahrhunderts zu erzählen. Man muss sich wohl auf einige wichtige Komponisten konzentrieren. Welche Kriterien haben Sie angelegt?

Ja natürlich, ich musste selektiv vorgehen. Ganz viel Musik, durchaus bedeutende, habe ich in meinem Buch gar nicht berührt. Entstanden ist eine Reihe von Erzählungen, die grob der Chronologie folgen, die aber nicht nur von der Musik im engeren Sinne handeln, sondern von ihrem sozialen und politischen Kontext und von ihrem Wechselverhältnis zu den anderen Künsten.

Buchcover: The Rest is Noise. Das 20. Jahrhundert hören

Hinzugenommen habe ich einige Erörterungen, die die Beziehungsgeschichte zwischen der E- und der U-Musik des 20. Jahrhunderts erhellen sollen. Ich habe also versucht, die Musik in einen größeren kulturellen und historischen Zusammenhang zu bringen. Vor diesem Hintergrund habe ich ganz bestimmte Einzelpersonen bzw. Personengruppen ausgesucht, mit denen ich diese Beziehungen beispielhaft verdeutlichen konnte. In gewisser Weise handelt das Buch vom 20. Jahrhundert selbst.

Wie erklären Sie sich den enormen Erfolg Ihres Buchs?

Ich glaube, das hat mit einer noch unverbrauchten Neugier auf die Musik des 20. Jahrhunderts zu tun. Sie hat ja den Ruf, schwierig zu sein und - nach Meinung des Normal-Publikums - auch noch scheußlich zu klingen. Doch scheint es eine große Bereitschaft bei den Menschen zu geben, gerade diese Musik dennoch verstehen zu wollen und vor allem jene Fäden zu erkennen, die die Tradition der klassischen Musik mit der Gegenwart verbinden.

Natürlich gibt es Aspekte in dieser Musik, die uns durchaus vertraut sind. Nichts freut mich mehr, als wenn jemand zu mir kommt und sagt, er habe zum Beispiel noch nie Musik von Olivier Messiaen gehört, doch nun habe er in meinem Buch darüber gelesen und daraufhin das "Quatuor pour la fin du temps" (Quartett für das Ende der Zeit) gehört. Jetzt sei er mehr und mehr von dieser Musik fasziniert und versäume keine Aufführung mehr.

Arnold Schönberg komponierte seine "Drei Klavierstücke" (op. 11) im Jahre 1909. Die Neue Musik ist also schon über 100 Jahre alt. Sehen Sie eine Entwicklung, versteht das Publikum moderne Musik heutzutage besser?

Es ist geradezu absurd, dass ein Werk, das Schönberg im Jahre 1909 schrieb, vom Publikum immer noch als fremd, unvertraut oder sogar nervig wahrgenommen wird. Und doch sind es dieselben Menschen, die ins Museum gehen, um sich dort Bilder von Kandinsky anzusehen, die aus demselben Jahr stammen - abstrakte Kunst, die in gleicher Härte mit der vorausgehenden Tradition bricht.

Arnold Schönberg (@Alban Berg Society)
Arnold Schönbergs Musik versteht nicht jederBild: Alban Berg Society

Musik ist ein kraftvolles Medium, wohl die mächtigste aller Künste, wie Schopenhauer behauptet hat; eine, die mit größerer Kraft in unser Bewusstsein eindringen kann als alle anderen. Genau das ist einerseits das Problem der Neuen Musik, zugleich aber auch ihre Kraft, dass sie nämlich auch nach 100 Jahren noch die Fähigkeit besitzt, zu verstören.

Letztendlich, glaube ich, hat dies weniger mit den besonderen Merkmalen dieser Musik zu tun als vielmehr damit, dass die Leute zu einem frühen Zeitpunkt nicht ausreichend über diese Musik informiert worden sind, zum Beispiel in der Schule oder etwa im Konzertsaal. Sie ist einfach zu wenig präsent, und wenn, dann leider all zu oft in einem wenig hilfreichen Kontext.

New York hat bekanntermaßen ein sehr konservatives Publikum. Dennoch sehe ich große Fortschritte, wenn "Wozzeck" oder "Lulu" von Alban Berg an der Metropolitan Opera gespielt werden oder auch "Moses und Aaron" von Schönberg. Das Haus ist dann zwar nicht gerade ausverkauft, aber diejenigen, die kommen, sind sehr berührt von dieser Musik. In den letzten zwanzig Jahren erlebe ich beim New Yorker Publikum mehr und mehr Offenheit für die Musik des 20. Jahrhunderts. Es werden weniger Vorurteile gepflegt. Stattdessen gibt man den neuen Werken wirklich eine Chance. Wichtig ist dabei vor allem, dass man sie oft genug anhört. Erst dann wird sie quasi als natürlich empfunden.

Das Interview führte Tim Koeritz
Redaktion: Suzanne Cords