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Politik

Nawalnys Straßburger Beschwerdekarussell

Roman Goncharenko
15. November 2018

In Russland wurde Alexej Nawalny oft festgenommen oder verurteilt. Deshalb ist er erneut vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen. Jetzt erwartet Nawalny das Urteil.

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Frankreich Nawalny im Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg
Bild: Reuters/V. Kessler

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entscheidet am Donnerstag über eine Beschwerde des prominenten russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Der 42-Jährige wirft Russland vor, ihn zwischen 2012 und 2014 aus rein politischen Motiven sieben Mal bei Demonstrationen festgenommen und stundenlang verhört zu haben. 

Es ist der 5. März 2012 in Moskau. Einen Tag zuvor hat Wladimir Putin zum dritten Mal die Präsidentenwahl gewonnen. Seine Rückkehr in den Kreml wird seit Monaten von Massenprotesten begleitet, die es in Russland lange nicht gegeben hat. Einer der führenden Köpfe dabei heißt Alexej Nawalny, damals 36 Jahre alt, oppositioneller Blogger und Kämpfer gegen Korruption. Auch an diesem Abend versammeln sich Tausende am Puschkin-Platz. Als die Kundgebung zu Ende ist, bleiben einige hundert Demonstranten. Die Polizei räumt den Platz mit Gewalt, auch Nawalny wird festgenommen und erst nach Mitternacht freigelassen. Er muss eine geringe Geldstrafe zahlen.

Von einem Blogger zum Oppositionsführer

Gegen diese und sechs weitere Festnahmen klagt Nawalny. Der Kreml-Kritiker kommt persönlich nach Straßburg, um dabei zu sein, wenn die Große Kammer am Donnerstagmorgen die Entscheidung verkündet. Seine Teilnahme stand unerwartet auf der Kippe, als der Oppositionspolitiker Anfang der Woche angeblich wegen einer offenen Entschädigungszahlung nicht ausreisen durfte. Nachdem das Geld überwiesen wurde, durfte er fliegen.

In den vergangenen Jahren entwickelt sich der inzwischen 42-jährige Nawalny von einem wegen früherer nationalistischer Ansichten nicht unumstrittenen Aktivisten zu einem starken Oppositionsführer. Es gelingt ihm vor allem junge Menschen für Proteste zu mobilisieren. Mit seinen aufwendig produzierten Enthüllungsvideos, in denen Kreml-nahe Eliten angeprangert werden, erreicht er ein Millionenpublikum im Internet. Bei der Präsidentenwahl im März wurde er wegen einer früheren Verurteilung nicht zugelassen. Nawalny glaubt, die Verurteilung war politisch motiviert, sein Anwalt legt Berufung vor dem EGMR in Straßburg ein, Nawalny konnte die Richter des EGMR zwar in diesem Punkt überzeugen. Sie bestätigten ihm aber unter anderem, dass er ein Anrecht auf ein faires Verfahren habe.

Russland - Russischer Oppositionspolitiker Alexey Navalny im Gerichtsaal in Moskau
In Russland steht Nawalny regelmäßig vor Gericht - er wirft Moskau vor, die Verhaftungen seien politisch motiviertBild: DW/E. Barysheva

Beschwerden in Straßburg sind für Nawalny fast wie ein Karussell, das sich immer schneller dreht. Während zu Hause in Russland die Gerichte fast immer gegen ihn entschieden oder seine Beschwerden abgelehnt hatten, stellten sich die Straßburger Richter meist auf seine Seite, wenn auch nicht in allen Punkten.

Ein Urteil wird kassiert und wieder bestätigt

In November hat er bereits wieder Klage eingereicht. Sie richtet sich gegen die Teilsperrung seiner Webseite, wo es um Enthüllungen über den russischen Oligarchen Oleg Deripaska ging. Davor klagte Nawalny gegen eine frühere Festnahme bei Demonstrationen und bekam Recht. Er klagte gegen seine Verurteilung in zwei Prozessen, auch mit Erfolg. Im Mai hat Nawalny die Klage gegen den russischen Migrationsdienst gewonnen, der ihm 2015 die Ausstellung eines Reisepasses verweigerte.

Sein bisher größter Sieg vor dem EGMR war 2016. Die Straßburger Richter urteilten, dass der Prozess gegen Nawalny im so genannten Fall "Korowles" aus dem Jahr 2013, bei dem es um angeblichen Betrug eines Forstbetriebes ging, unfair war. Das Oberste Gericht Russlands hob daraufhin die Verurteilung zu einer Bewährungs- und Geldstrafe auf. Doch ein neuer Prozess bestätigte das Urteil.

Festnahmen politisch motiviert?

In der jetzigen Klage, in der am Donnerstag das Urteil erwartet wird, bezieht sich Nawalny auf insgesamt fünf Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention. Er hat wohl gute Chancen, in den meisten Punkten Recht zu bekommen. Bevor die Klage auf Wunsch Nawalnys und Russlands an die Große Kammer als höhere Instanz überwiesen wurde, urteilte im Februar 2017 ein EGMR-Gericht in drei Punkten im Sinne von Nawalny. Es attestierte Russlands Verstöße gegen Artikel 5 (Recht auf Freiheit und Sicherheit), Artikel 6 (Recht auf ein faires Verfahren) und Artikel 11 (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit).

Doch das Gericht sah es als nicht notwendig an, die Beschwerde im Bezug auf Artikel 14 (Diskriminierungsverbot) und Artikel 18 (Begrenzung der Rechtseinschränkungen) zu untersuchen. Dabei sind diese Punkte für Nawalny besonders wichtig. Der Oppositionspolitiker versucht damit zu beweisen, dass Handlungen russischer Behörden "politisch motiviert" gewesen seien.

In seinem damaligen, noch nicht endgültigen Urteil entschied das Gericht, dass Russland Nawalny mehr als 60.000 Euro als Entschädigung und Kostenerstattung zahlen soll. Ähnlich dürfte die Große Kammer auch jetzt entscheiden.

Tritt Russland aus dem Europarat aus?

Auch wenn Nawalny in den meisten Punkten wieder Recht bekommen sollte, stellt sich die Frage, wie lange er und tausende Russen auf den EGMR als letzte Instanz hoffen dürfen. Russland drohte zuletzt immer öfter, den Europarat zu verlassen. Hintergrund ist der Streit über den Ausschluss der russischen Delegation aus der Parlamentarischen Versammlung wegen der Krim-Annexion. Daraufhin stellte Russland seine Zahlungen an den Europarat ein. 2019 droht der Streit zu eskalieren und Russland könnte dann den Europarat ganz verlassen. In diesem Fall würde es auch Entscheidungen des EGMR nicht mehr anerkennen.