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Politik

Algeriens unsichere Stabilität

17. September 2018

Mit Algerien besuchte Bundeskanzlerin Merkel ein enges Partnerland. Doch könnte die politische Stabilität des Landes eine auf Abruf sein - allzu sehr ist sie mit dem greisen Staatschef Bouteflika verknüpft.

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Algerien Besuch Bundeskanzlerin Merkel
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Nein, eine weitere Amtszeit sollte sich der Präsident nun wirklich nicht zumuten. Immerhin ist Abd al-Aziz Bouteflika bereits 81 Jahre alt. Seit beinahe 20 Jahren steht er Algerien dem Land nun vor, eine Zeit, die ihn sichtbar mitgenommen hat. Seit einem Schlaganfall im Jahr 2013 sitzt er im Rollstuhl, seit Jahren ist er in der Öffentlichkeit kaum mehr zu sehen. Im April 2016 veröffentlichte der damalige französische Premier Manuel Valls ein Foto von einem Treffen mit dem algerischen Präsidenten. Es zeigt einen schwer kranken, zu einem Gespräch offenbar kaum mehr fähigen Mann. Das Foto löste eine Diskussion aus: Darf man einen Menschen in einem solchen Zustand der Öffentlichkeit überhaupt noch zeigen? Eigentlich nicht. Was aber, wenn dieser Mensch ein öffentliches Amt, und dann noch das höchste des Landes bekleidet?

Es sind solche Fragen, verbunden mit der Hoffnung auf politische Erneuerung, die die Bewegung "Mouwatana" (Bürgerschaft) antreiben. "Mouwatana" spricht sich gegen eine fünfte Amtszeit Bouteflikas aus. Auch dafür gehen ihre Anhänger auf die Straße. Damit bringen sie sich in Gegensatz zu Teilen der politischen Landesspitze, die an Bouteflika festhält. Dessen körperlich bedingte Schwäche, so die Kritik von "Mouwatana", komme deren Interessen entgegen.

Die Angst der Regierung

Vorletztes Wochenende protestierten "Mouwatana"-Aktivisten in der Stadt Constantine im Westen des Landes. Sie wurden von den Sicherheitsbehörden massiv behindert. Einige der Verantwortlichen der Bewegung wurden kurzzeitig sogar verhaftet. "Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass die Regierung panische Angst davor hat, Demokraten auf die Straße gehen zu sehen", sagt Ali Benouari, ehemaliger Minister des Landes und nun eines der Gesichter von Mouwatana.

Wahlen in Algerien Präsident Abd al-Aziz Bouteflika
Bereit zu fünfter Amtszeit? Der algerische Präsident Abd al-Aziz BouteflikaBild: picture-alliance/dpa/S. Djarboub

Ja, das Regime sei nervös, bestätigt der an der Universität Marburg lehrende Politologe Rachid Ouaissa. Insgesamt seien die politischen Freiheiten relativ zufriedenstellend. "Wir haben es nicht mit einer Diktatur zu tun wie etwa im Falle Tunesiens vor dem Arabischen Frühling oder im heutigen Ägypten." Von Regierungen dieser Art unterscheide sich die algerische, so Ouaissa im Gespräch mit der DW. Sie könne es sich leisten, individuelle politische Freiheiten bis zu einem gewissen Grad zuzulassen.

Allerdings habe die Regierung Bouteflika die Bürger zu großen Teilen entpolitisiert. Viele Menschen hätten es aufgegeben, sich für ihre politischen Vorstellungen zu engagieren. "Das politische Personal hat seine Glaubwürdigkeit weitgehend verspielt. Das gilt auch für die politischen Parteien - sie wurden unter Bouteflikas Herrschaft in den letzten 15 Jahren entmachtet. Die Folge davon ist, dass sich junge Menschen ins Private zurückziehen."

Rückbesinnung auf die Religion

Derzeit laufen in Algerien die Vorbereitungen für ein international wohl viel beachtetes Ritual. Im Dezember werden insgesamt 19 katholische Geistliche seliggesprochen, die während des Kriegs zwischen der algerischen Regierung und verschiedenen islamistischen Gruppen, allen voran der Islamischen Heilsfront (FIS) in den 1990er Jahren getötet worden waren. Der Papst wird zu der Zeremonie zwar nicht zugegen sein, er schickt aber einen hochrangigen Vertreter.

Dass es zu diesem Akt kommt, kann man als Ausdruck der - relativen - ideologischen Entspannung sehen, die in dem Land knapp 20 Jahre nach Ende des Krieges wieder möglich geworden ist. Die politische Enttäuschung habe weite Teile der Bevölkerung dazu gebracht, sich auf die Religion zu besinnen, sagt Rachid Ouaissa. Das sei ein relativ junges Phänomen, so der 1971 in der Kabylei im Nordosten Algeriens geborene Ouaissa. "Ich selbst wuchs in einem Algerien auf, das noch weitestgehend sozialistisch geprägt war. Religiöse Kleidung, wie viele Menschen sie heute tragen, kannte ich damals nicht." Anders als zu Beginn der 1990er Jahre sei der heutige Islam aber im Wesentlichen unpolitisch. "Schließlich haben es die islamistischen Parteien nie vermocht, dem Land gangbare politische Alternativen anzubieten."

Algerien Erste Salafistische Partei
Flucht in die Religion? Straßenszene aus AlgierBild: Rahim Ichalalen

Algerien - ein sicheres Herkunftsland?

Der Besuch von Kanzlerin Merkel fand auch vor dem Hintergrund der Flüchtlingsdebatte in Deutschland und Europa statt. In den vergangenen Jahren hat Deutschland immer mehr Algerier in ihr Heimatland abgeschoben. Waren es 2015 noch 57 Menschen, erhöhte sich ihre Zahl 2017 auf 504. Im laufenden Jahr wurde einem Bericht der "Rheinischen Post" zufolge bereits etwa 350 Menschen abgeschoben. Jetzt will Algerien weitere Flüchtlinge zurücknehmen

Dennoch gilt Algerien in Deutschland nicht als sicheres Herkunftsland. Sollte es zu seinem solchen erklärt werden? Die Diskussion darüber sei unangebracht, sagt Rachid Ouaissa. Noch in der vergangenen Woche seien mehrere Internetaktivisten verhaftet worden. "Außerdem arbeitet die Justiz des Landes in Teilen willkürlich. Und noch in der letzten Woche hat die Polizei eingeräumt, dass Menschen gefoltert werden. Sobald sich Menschen politisch äußern, kann es gefährlich für sie werden." Gefährlich ist es zudem für Flüchtlinge aus Subsahara-Afrika geworden. Einige von ihnen wurden in der Wüste ausgesetzt.  

Algerien Geflüchtete in Wüste ausgesetzt
Im Niemandsland: Afrikanische Flüchtlinge werden in der Wüste ausgesetzt, Mai 2018Bild: picture-alliance/dpa/J. Dennis

Das Mittelmeer - umgeben von Konflikten

Anfang September hielt die russische Marine ein großes Manöver im östlichen Mittelmeer ab. 25 Schiffe und 34 Flugzeuge nahmen einem Bericht der französischen Zeitung "Le Monde" zufolge an dem Manöver teil. Dieses diente zwar vor allem der Vorbereitung eines möglichen Sturms auf die von überwiegend dschihadistisch orientierten Anti-Assad Rebellen in der syrischen Stadt Idlib.

Doch das Mittelmeer wird generell mehr und mehr zur Drehscheibe internationaler militärischer Aufgebote - die Region ist in weiten Teilen zu einem eigenen Krisenherd geworden. Der Krieg in Syrien hat Auswirkungen auf andere Mittelmeerländer - so etwa auf Israel, das sich durch die Präsenz iranischer Truppen wie auch der libanesischen Hisbollah in Syrien bedroht sieht. Die Türkei versucht an ihrer Grenze zu Syrien Dschihadisten ebenso wie Flüchtlinge abzuwehren. Weiter südlich, auf dem Sinai, stehen sich ägyptische Sicherheitskräfte und Dschihadisten gegenüber. Und Libyen droht als Staat zu scheitern. Auf der Nordseite des Mittelmeers wird derzeit über einen Ausbau der Grenzschutzorganisation Frontex diskutiert. Sie soll Flüchtlinge davon abhalten, nach Europa zu kommen. Hinzu kommt das Westsahara-Problem, das der algerischen Seite besonders wichtig ist. Der UN-Sondergesandte für diese Region ist der ehemalige Bundespräsident Host Köhler.

Krisen und Waffen

Eine ganze Reihe von Krisen also, die in Teilen miteinander verwoben sind. Auch darum haben die Amerikaner ihre Marinepräsenz im Mittelmeer, die im Wesentlichen in Spanien stationiert ist, ausgebaut. Algerien ist aus westlicher Sicht ein zumindest relativer Stabilitätsanker. Auch darum liefert Deutschland in großem Maße Waffen an das Land - im Jahr 2017 für 900 Millionen Euro. Damit ist Algerien der mit Abstand größte Kunde deutscher Rüstungsfirmen, gefolgt von Ägypten mit rund 450 Millionen Euro.

Diese Exporte seien unverantwortlich, kritisiert Rachid Ouaissa. "Wir wissen nicht, wer die Regierung übernimmt, wenn Bouteflika stirbt oder wenn es einen Konflikt zwischen unterschiedlichen Clans gibt. Dabei kann es zu ganz unterschiedlichen Szenarien kommen." Offen ist, ob Algerien dann noch jener stabiler Partner ist, als der er heute gehandelt wird.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika