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Algeriens Trauma

Anne Allmeling13. August 2012

Algerien hat von der Arabellion kaum etwas zu spüren bekommen. Das größte Land Afrikas unternahm vor zwei Jahrzehnten einen Demokratisierungsversuch. Dessen Scheitern zeichnet das Land bis heute.

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Jugendliche in Algerien (Foto: DW)
Jugendliche in AlgerienBild: DW/Bouadma

Er ist nicht unbedingt der beliebteste Politiker seines Landes. Trotzdem darf sich Abd al-Aziz Bouteflika bestätigt fühlen. Schließlich ist es dem Präsidenten Algeriens und seiner Partei gelungen, bei den Parlamentswahlen im Mai 2012 die stärkste politische Kraft zu bleiben. Die Front de la Libération Nationale (FLN) konnte im Gegensatz zu anderen Parteien sogar noch Stimmen hinzugewinnen. 

Autoritär und einflussreich

Keine Selbstverständlichkeit für eine Partei, die seit der Unabhängigkeit des Landes 1962 an der Macht ist und meist autoritär regiert. Zumal ein großer Teil der Bevölkerung mit der algerischen Politik unzufrieden ist. Denn das Land, das über große Öl- und Gasvorkommen verfügt, bleibt weit hinter seinen Möglichkeiten zurück.

Algeriens Präsident Bouteflika (Foto: AP)
Seit 13 Jahren an der Macht: Algeriens Präsident BouteflikaBild: AP

"Man spürt die Unzufriedenheit tagtäglich", sagt Sebastian Hempel von der Friedrich-Naumann-Stiftung (FNS) in Algier. "Die Algerier wissen, dass sie ein sehr reiches Land haben. Aber dieser Reichtum kommt bei den Menschen nicht an." Korruption ist an der Tagesordnung, und das Geld aus der Ölförderung kommt noch immer hauptsächlich den Kreisen in Partei, Militär und Verwaltung zugute, die seit der Unabhängigkeit das Sagen haben.

Angst vor neuem Bürgerkrieg

Dennoch ist es in Algerien bislang nicht zu Massenprotesten gegen die Regierung gekommen. Zwar gibt es Forderungen nach mehr Freiheit, Wohlstand und Demokratie. Doch von der Arabellion ist Algerien weitgehend unberührt geblieben. Der Bürgerkrieg der 1990er Jahre, bei dem Hunderttausende Menschen getötet wurden, ist den meisten Algeriern noch viel zu deutlich in Erinnerung, als dass sie einen Regimewechsel erzwingen wollten.

Algerier in einem Wahllokal (Foto: AP)
Warten im Wahllokal: Im Mai war die Wahlbeteiligung niedrigBild: AP

Bereits vor 20 Jahren hatte das Land einen Demokratisierungsprozess begonnen. Denn der nach der Unabhängigkeit praktizierte Sozialismus war Anfang der 1990er Jahre gescheitert. Angesichts von Massenarbeitslosigkeit und einem hohen Bevölkerungswachstum versuchten viele Algerier auszuwandern. Als sich vor den Parlamentswahlen 1992 dann ein Sieg der Islamischen Heilsfront (FIS) abzeichnete, schritt das Militär ein. Die Folge: Das Land schlitterte in einen Bürgerkrieg zwischen den um ihren Wahlsieg betrogenen Islamisten und den Sicherheitskräften. Hunderttausende Menschen wurden umgebracht.

Trauma des "dunklen Jahrzehnts"

Noch heute verfolgt die Algerier das Trauma des "dunklen Jahrzehnts". In den 1990er Jahren wiederholte sich in Algerien jene Spirale der Gewalt, die bereits den Unabhängigkeitskrieg von 1954 bis 1962 gegen die französische Kolonialmacht gekennzeichnet hatte. Die Furcht der Algerier vor einem erneuten Gewaltausbruch und die Möglichkeit, ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit mithilfe der Ölmilliarden zu gewährleisten, stabilisieren das Regime bislang.

Zwei Panzer und Soldaten der algerischen Armee stehen im Dezember 1960 in den Straßen von Algier in Bereitschaft (Foto: DPA)
Blutiger Befreiungskrieg: Algerien in den 1960er JahrenBild: picture-alliance/dpa

Zumal es Abd al-Azia Bouteflika war, der nach fast einem Jahrzehnt Bürgerkrieg eine langsame Befriedung des Landes erreichte. Die Politik des seit 1999 amtierenden Präsidenten führte allerdings auch zu einer politischen und wirtschaftlichen Erstarrung: politischem Engagement wird mit Misstrauen begegnet, wirtschaftliche Initiativen werden weiterhin durch Bürokratie und Korruption erschwert. "Das Schreckgespenst des Bürgerkriegs wird auch heute noch vom Regime benutzt, um Forderungen nach politischem Umbruch mit dem Ausbruch neuer Gewalt gleichzusetzen", sagt Sebastian Hempel von der FNS.

Terroristische Herausforderung

Auch der islamistische Terror ist noch präsent. Zwar haben sich die meisten Islamisten inzwischen in den politischen Prozess integriert. Doch einige hundert Terroristen machen sich immer wieder mit blutigen Anschlägen bemerkbar. Sie haben sich vor einigen Jahren als Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM) dem Terrornetzwerk Al-Qaida angeschlossen und dehnen ihren Einflussbereich immer weiter in die Sahara nach Niger, Mali und Mauretanien aus.

Während Reformen wie in Marokko oder mehr oder weniger blutige Revolutionen wie in Libyen und Tunesien diese drei Länder des Maghreb auf einen Reform- und Demokratisierungskurs gebracht haben, bleibt die Lage in Algerien weiter angespannt. "Die Revolten, Straßensperren und Plünderungen spielen sich auf lokaler Ebene ab", sagt Werner Ruf, Algerien-Experte und emeritierter Professor für Politologie an der Universität Kassel. "Das sind soziale Revolten, die nicht politisch sind – und damit kommt das Militär immer noch einigermaßen zurecht." Angesichts der politischen und wirtschaftlichen Spannungen ist es aber durchaus möglich, dass die derzeitige Stabilität – anders als in den meisten Golfstaaten – nicht von Dauer sein wird. Darauf muss sich auch Präsident Abd al-Aziz Bouteflika gefasst machen.

Protest gegen steigende Lebensmittelpreise (Foto: AP)
Protest gegen steigende Preise: soziale Revolten im Januar 2011Bild: dapd