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Politik

"Alle sind vorsichtiger geworden"

William Yang
9. Juli 2019

In China vertraten sie vor Gericht Regimekritiker, Bürgerrechtler und gerieten selber in Gefahr. Vor vier Jahren wurden in einer Welle mehr als 300 Menschenrechtsanwälte festgenommen. Ex-Anwalt Teng Biao erinnert sich.

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Wang Quanzhang Prozess Protest Menschenrechtsanwalt Prozess
(Archiv) Aktivisten forderten 2018 in Hongkong die Freilassung vom Rechtsanwalt Wang Quanzhang Bild: picture-alliance/Zuma/S.C. Leung

Vor vier Jahren, am 09.07.2015, begann in China die Welle von Verhaftungen von über 300 Rechtsanwälten, ihren Assistenten sowie weiteren Aktivisten. Die betroffenen Juristen hatten nicht das Gesetz gebrochen, sondern unbequeme Mandanten vor Gericht vertreten: Regimekritiker, Bürgerrechtler, Unterstützer der Religionsfreiheit, einfache Bürger. Von daher die Bezeichnung "Menschenrechtsanwälte". Die Kampagne wurde später in den betroffenen Kreisen "709-Razzia" genannt.

Deutsche Welle:  Wie hat sich die Rolle der Menschenrechtsanwälte in China entwickelt?

Teng Biao: Die überschaubare Gruppe der Menschenrechtsanwälte kämpfte vor der 709-Razzia juristisch für den Rechtsstaat und für den Schutz der Bürgerrechte. Durch die Berichterstattung der internationalen Presse erfuhr die Welt, wie wir uns engagierten und wie China die Menschenrechte und den Rechtsstaat verletzte.

Treffen Aktivisten und Zeugen des Tiananmen Massakers  1989 China Präsident Tsai Ing Wen
Ex-Anwalt Teng BiaoBild: Taiwan Presidential Office

Nach der Machtübernahme von Xi Jinping 2013/2014 wurde verstärkt die bis dahin aktive Zivilgesellschaft ins Visier genommen: Rechtsanwälte, Journalisten, Akademiker und religiöse Gruppen. Mit den modernen Überwachungsmethoden des Polizeistaats konnten Aktivisten immer besser überwacht werden, so dass viele Aktivitäten vorzeitig entdeckt und beendet wurden.

Welchen Raum hatten und haben Menschenrechtsanwälte in China?

Wang Quanzhang Prozess Protest Menschenrechtsanwalt Prozess
(Archiv) Demonstration in Hongkong gegen die Festnahme von MenschenrechtsanwältenBild: picture-alliance/Zuma/S.C. Leung

Die Justiz steht seit eh und je unter der Kontrolle der Kommunistischen Partei Chinas, seien es Polizei, Staatsanwaltschaft oder Rechtsanwälte. Unser Engagement fand zunächst Raum, weil sich die Machthaber nicht direkt herausgefordert sahen. Jetzt ist es anders. Alle sind vorsichtiger geworden. Die Anwälte lehnen Mandanten meistens ab, wenn diese in kritische Fälle verwickelt sind, die mit Bürgerrechten zu tun haben. Aber eine Handvoll Anwälte kann die Unabhängigkeit der Justiz auch nicht erkämpfen. Da müsste das ganze politische System verändert werden, um die Menschenrechte systematisch zu schützen. 

Erinnern Sie sich an die Reaktionen anderer Juristen in China nach der Massenverhaftung ihrer Kollegen?

Zu Beginn der Verhaftungswelle haben sich viele Juristen solidarisch erklärt und juristischen Beistand geleistet. Aber der Umfang und die Geschwindigkeit der Einschüchterungsmaßnahmen waren schneller als erwartet. Die Anwälte der Anwälte sowie die Aktivisten der Zivilgesellschaft wurden entweder von der Polizei geladen oder in Verwaltungshaft genommen. Schließlich wurde fast jeder eingesperrt, der sich noch traute, sich zu artikulieren.

China Guangzhou Volksgerichthof
Teng: "Justiz seit eh und je unter Kontrolle der KP"Bild: picture-alliance/AP Photo/P. Traynor)

Wie geht es den Menschenrechtsanwälten jetzt?

Nach der 709-Razzia zählten wir rund 50 Anwälte, die die Zulassung verloren oder die die jährliche Prüfung nicht bestanden haben. Viele von ihnen waren eben auf diese kritischen Fälle spezialisiert gewesen. Nach Verlust der Anwaltszulassung war ihre Lebensexistenz bedroht. Einige mussten sich andere Jobs suchen, um sich über Wasser zu halten. Einige der Ex-Anwälte, die nach der Haftstrafe wieder auf freien Fuß kamen, erhielten nach der Freilassung keine angemessene medizinische Versorgung, ihr gesundheitlicher Zustand ist schlecht.

Das Interview führte William Yang in Taiwan.

Dr. Teng Biao (46) war ein Menschenrechtsaktivist und Anwalt.  Er vertrat vor Gericht Regimekritiker und forderte die Abschaffung der Todesstrafe, bevor er seine Anwaltszulassung verlor. Vor der 709-Razzia floh er mit Familie ins US-amerikanische Exil. Derzeit ist er Visiting Scholar an der Harvard Law School.