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Tuvia Tenenbom erkundet die USA

Sarah Hucal lf
26. Dezember 2016

Tuvia Tenenbom durchstreifte für seine humorvollen Reiseberichte Deutschland, Israel und zuletzt die USA. Sein Bild vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten und von "der Heimat der Tapferen" bekam dabei arge Risse.

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Tuvia Tenebom Schriftsteller
Bild: Getty Images/AFP/J. Eisele

Als er sich auf den Weg in die USA machte, um seinen aktuellen Reisebericht "Allein unter Amerikanern" zu schreiben, hatte der Journalist Tuvia Tenenbom den Grundtenor seines neuen Werks schon im Kopf. "Ich wollte ein Buch schreiben, das Amerika glorifiziert", sagt er. Schon im Vorfeld positiv über ein Land zu urteilen, ist eigentlich ein Kardinalfehler für einen Journalisten. Das musste auch Tenenbom feststellen.

Buchcover Allein unter Amerkikanern von Tuvia Tenebom
"Allein unter Amerikanern" ist in Deutschland ein BestsellerBild: suhrkamp nova

Der  israelisch-stämmige Autor hat während der vergangenen 35 Jahre immer mal wieder in den USA gelebt - vor allem in Downtown Manhattan. Als Sohn eines orthodoxen Rabbis kam Tenenbom einst selbst mit nur 400 Dollar in der Tasche in New York an. Für ihn verkörperten die USA die Ideale von Freiheit, Demokratie und unendlichen Möglichkeiten. "Wenn du willst, kannst du mit nichts starten und alles daraus machen", dachte Tenenbom: Er hatte das Klischee vom amerikanischen Traum verinnerlicht. 

Ein nihilistisches Porträt der USA

Doch bei seiner monatelangen Reise durch die USA hatte es sich schnell ausgeträumt. Unterwegs interviewte er jeden, der ihm über den Weg lief - von Waffen-tragenden Frauen, die Trump unterstützten, bis hin zu Indianer-Häuptlingen, Evangelikalen, Superreichen und Obdachlosen. Tenenbom gab sich fast theatralisch, als er im Zuge eines kürzlich erschienen Interviews ein nihilistisches Porträt der USA zeichnete: "Ich sah ein Amerika, das ich nicht kannte", sagt er. Eines, das "extrem und auf eine schmerzhafte Weise rassistisch ist und sich nicht um seine Schwächsten kümmert, die Armen und Kranken."

USA America seen from abroad
Dieser Plakatslogan ist auch in Amerika umstrittenBild: Getty Images/S. Platt

Tenenbom durchquerte das Land, von dem er einst dachte, dass er es so gut kannte - begleitet von seiner Frau Isi, die die Reise dokumentierte. Der Ansatz des Autors war, einfach dorthin zu gehen, wohin ihn seine Füße trugen. Er schlenderte durch Straßenviertel, vor denen man ihn ausdrücklich gewarnt hatte. Er wagte sich in Chicagos Süden vor, wo Obama einst arbeitete. Die Gegend ist berüchtigt für ihre Banden - das hat sich auch in den acht Jahren der Präsidentschaft Obamas nicht geändert, berichten die Anwohner. Im Nobelviertel der Stadt erteilte ihm der Pressesprecher des Bürgermeisters Rahm Emanuel eine Abfuhr für eine Interviewanfrage, indem er Tenenbom eine falsche Visitenkarte gab.

Tenenbom, der auch als Theaterregisseur, Dramatiker und künstlerischer Leiter des Jüdischen Theaters in New York arbeitet, ist ein Provokateur, der schon mit dem US-amerikanischen Filmemacher Michael Moore verglichen wurde. Nicht jeder ist ein Fan. Der Autor wurde in Israel bereits für sein freimütiges Judenbild in früheren Büchern kritisiert. Ein "Spiegel"-Artikel verreißt seine letzte Veröffentlichung. Unter anderem wirft er ihm vor, viele der Schlussfolgerungen des Autors seien falsch, weil er sie auf Grundlage erster Eindrücke ziehe.

Soziale Unruhen und Rassismus

Zweifelsohne können 463 Seiten das komplexe Innenleben eines Landes mit 318 Millionen Einwohnern, in dem die Lohnungerechtigkeit auf dem Höchststand ist und soziale Unruhen, besonders nach der Präsidentschaftswahl, zu eskalieren scheinen, wohl kaum vollständig beschreiben. Einer aktuellen Erhebung zufolge wurden in den ersten zehn Tagen nach Donald Trumps Wahl 900 Belästigungs- und Einschüchterungsdelikte gemeldet. Tenenbom streift diese Spannung im Vorfeld der Wahl am Rande. "Als Trump gewonnen hat, machte es total Sinn", sagt Tenenbom. "Die Menschen hatten genug; sie hatten einfach genug."Laut Tenenbom sind rassistische Vorurteile allgegenwärtig. So beschreibt er ein Gespräch mit einem wohlhabenden afro-amerikanischen Anwalt in Texas, dem Besitzer eines schnittigen Mercedes: "Ich fragte ihn, wie es sich anfühlt, Amerikaner zu sein, und er sagte, er sei von der Polizei bereits 129 Mal aus dem Verkehr gewunken worden. Alle sagen, wie sehr sie einander lieben, aber eigentlich ist es allen egal."

USA Präsidentschaftswahl Anti-Trump Proteste vor Trump Tower in New York
Viele Amerikaner gingen auf die Straße, um gegen den Wahlsieg Donald Trumps zu protestierenBild: Getty Images/AFP/K. Betancur

Preis für "ehrlichen Journalismus"

Für seine Berichte wurde Tenenbom mit dem "Preis für ehrlichen Journalismus" der "Jüdischen Rundschau" ausgezeichnet. Ehrlicher Journalismus, so Rafael Korenzecher, Herausgeber der Zeitung, sei nicht länger selbstverständlich.

"Niemand sollte einen Geldpreis bekommen, nur weil er ehrlich ist", sagt Tenenbom, der den Verlag anwies, die 7000 Euro Preisgeld an einen wohltätigen Zweck zu spenden. Er gibt aber zu, dass es ein gutes Gefühl sei, wenn die eigene Arbeit anerkannt wird.

Identitäten eines Chamäleons

Dennoch stellen einige von Tenenboms Methoden die journalistische Ethik auf die Probe. Er und seine Frau leben und pendeln zwischen New York City, Israel und Hamburg. Wie ein Chamäleon nimmt Tenenbom unterschiedliche Identitäten an, wenn er als Reporter arbeitet. Als er Interviews für sein aktuelles Buch führte, stellte er sich als Deutscher vor. Weil er in Deutschland wohnt, erschien ihm das legitim: "Wenn du sagst, du bist Deutscher, denkt der Rest der Welt, dass du ein guter Mensch bist."

Seine israelische Herkunft preiszugeben, war er sich sicher, würde zu Kontroversen führen. Er testete seine Theorie, als er einen Mann interviewte, der in Georgetown, einem wohlhabenden Stadtteil von Washington D.C., mit seinem Hund spazieren ging. Das Ergebnis? Ein anscheinend gut betuchter Anwalt nannte ihn einen "Aussiedler" und verweigerte die Aussage, sobald er auf Mikrofon aufgenommen werden sollte.

Buchcover The Lies They Tell von Tuvia Tenebom
"DIe Lügen, die sie erzählen": Die englischen Titel sind deutlich provokanter als die deutschen ÜbersetzungenBild: Gefen Publishing House

Geduld ist gefragt

Der Unwille vieler seiner Interviewpartner, über kontroverse Themen wie Politik und Religion zu sprechen, sei eine Herausforderung gewesen, so Tenenbom: "Ich fand es seltsam, dass in Amerika, 'dem Land der Freien und der Heimat der Tapferen' (Auszug aus der Nationalhymne, Anmerk. d. Redaktion), die Menschen Angst haben zu sagen, wen sie wählen."

Doch worüber jemand nicht während der ersten fünf Minuten eines Gesprächs spricht, darüber kann er schon nach 15 Minuten offen sprechen, fand er heraus: "Umso mehr Zeit du mit einer Person verbringst und umso wohler sich eine Person fühlt, umso mehr wird sie dir erzählen, was sie wirklich denkt."

Teneboms neuestes Werk über seine USA-Reise ist eine Fortsetzung seiner zwei vorherigen Bücher "Allein unter Deutschen" und "Allein unter Juden" - eine Momentaufnahme von einer siebenmonatigen Reise durch Israel und Palästina. Tenenboms  nächstes Buch "Allein unter Flüchtlingen" kommt 2017 auf den Markt.