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Gemeinsam gegen Mobbing

13. November 2011

Der Berliner Psychologe Prof. Herbert Scheithauer leitet die Initiative "fairplayer". Deutschlandweit soll Schülern vermittelt werden, wie Mobbing auf dem Schulhof und im Internet bekämpft werden kann.

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Porträt des Berliner Psychologen Prof. Herbert Scheithauer (Foto: Bernd Wannenmacher)
Prof. Herbert ScheithauerBild: Bernd Wannenmacher

DW-WORLD.DE: Herr Professor Scheithauer, wie genau funktioniert "fairplayer.manual"?

Prof. H. Scheithauer: "fairplayer.manual" ist ein Programm, das in den Schulklassen direkt mit den Jugendlichen durchgeführt wird. Wir haben entweder ausgebildete "fairplayer teamer" oder im Rahmen eines Multiplikatorenansatzes ausgebildete Lehrer, Schul-Sozialarbeiter oder andere Personen, die in den Schulklassen über mehrere Wochen zum Thema Zivilcourage, Fairplay und Mobbing mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten. Dabei verwenden wir sehr unterschiedliche Methoden. Einerseits muss man überhaupt auf die Problematik und die Jugendlichen zu einer eigenen Definition kommen lassen. Andererseits sollen die Jugendlichen bei "fairplayer" sehr aktiv teilnehmen und ihre eigenen Perspektiven einbringen. Das ist für uns sehr wichtig. Wir wollen möglichst nah an den Erfahrungen der Jugendlichen bleiben.

Wie sieht eine solche Unterrichtsstunde aus?

Wir haben verschiedene Kernelemente. Wir arbeiten zum Beispiel zum Thema "Soziale Rollen beim Mobbing oder Bullying" mit den Jugendlichen. Viele wissen gar nicht, dass es nicht nur Täter und Opfer beim Mobbing gibt, sondern dass jeder irgendwie im Schulkontext eine bestimmte Rolle einnimmt: Er ist zum Beispiel ein Verstärker des Täters, ein Assistent, der ihn unterstützt. Vielleicht ist er aber auch ein potentieller Verteidiger, er könnte also eingreifen, macht es aber nicht. Oder er empfindet sich als Outsider, der aber genau weiß, was dort passiert. Und wir arbeiten mit den Jugendlichen in einem Rollenspiel diese sozialen Rollen heraus, so dass die Jugendlichen sehen: "Hey, auch ich habe einen Anteil an dem, was hier in der Schulklasse passiert." Dann spielen wir im Anschluss mögliche Lösungsmöglichkeiten durch. Das Ziel soll sein, nicht wegzusehen, sondern Verantwortung zu übernehmen und für die Mitglieder in einer Klasse einzustehen.

Hat das sogenannte Bullying, also das Mobbing an Schulen, zugenommen?

Es ist so, dass zum Glück die Sensibilität unserem Thema gegenüber gewachsen ist. Es gibt tatsächlich Berichte bis weit ins letzte Jahrhundert hinein, in denen deutlich wird: Mobbing gab es schon immer. Aber die Formen von Mobbing verändern sich mit der Zeit. Wir haben in den letzten Jahren beispielsweise auch das Beziehungs-Mobbing untersucht, bei dem man andere systematisch aus den Gruppenaktivitäten ausschließt. Sie sind einfach nicht dabei, werden nicht eingeladen zur Party und stehen außen vor, was für Jugendliche besonders schmerzvoll ist. Und wir haben zum Beispiel auch Formen wie das sogenannte Cyber-Mobbing oder Cyber-Bullying, wo wir neue Medien, also das Handy oder das Internet, nutzen, um andere zu viktimisieren. Und über diese neuen Möglichkeiten durch Internet, Handy etcetera gibt es eine Zunahme an Mobbing-Fällen. Absolut gesehen würde ich aber sagen, dass insbesondere eine Steigerung der Sensibilität für die wahrgenommene Zunahme von Mobbing verantwortlich ist.

Sie haben gerade das Cyber-Mobbing schon angesprochen. Was sind die typischen Ausformungen von Cyber-Mobbing und wie kann man sich dagegen wehren?

Betroffene wissen sich oft gar nicht zu helfen. Auch weil sie oftmals gar nicht wissen, wer der Verursacher ist. Man bekommt anonym übers Handy zum Beispiel ständig mehrmals am Tag eine SMS zugeschickt, in der man beleidigt wird und in der steht: "Du bist draußen, ich mag dich nicht, keiner wird dich je einladen." Oder jemand stellt verunstaltete Fotos eines anderen auf eine extra dafür gebaute Website und verbreitet sie über soziale Netzwerke, so dass alle seine Freunde diese Seite sehen. Und die betroffene Person kann sie nicht abstellen, weil es sehr lange dauert, bis man eine solche Seite aus dem Internet entfernen kann. Oder jemand stiehlt sich sozusagen meine Identität, hat mein Passwort und kann sich dann über soziale Netzwerke einloggen und mit anderen in meinem Namen reden und Gerüchte verbreiten.

Wie wehrt man sich dagegen?

Man darf so etwas nicht auf die leichte Schulter nehmen. Viele Jugendliche machen das übrigens auch aus Spaß und verstehen gar nicht, wie sehr das jemanden verletzen kann. Dennoch sollte man in einem solchen Moment reagieren: Wenn ich weiß, wer es war, muss ich die Person bitten, das abzustellen. Man sollte, wenn man so etwas in sozialen Netzwerken erlebt, sofort die Provider informieren und dafür sorgen, dass diese Website gesperrt wird. Man sollte die Polizei informieren, gerade wenn man nicht weiß, wer dahinter steckt. Und man sollte in jedem Fall auch mit den Eltern reden, dass die informiert sind, dass dort etwas passiert, was nicht in Ordnung ist.

Zurück zu der internet-freien "Bullying-Problematik" an Schulen. Wie wehre ich mich als Schüler, der angegangen wird? Rufe ich meine Eltern, rufe ich die Lehrer?

Als Betroffener findet man allein oft keinen Weg heraus. Mobbing kann sehr perfide sein. Und Mobbing ist ein gruppendynamisches Phänomen. Wenn es in der Klasse normal ist, andere zu viktimisieren, wird man schlecht aus dieser Dynamik herauskommen. Das wichtigste Hilfsmittel sind tatsächlich immer gleichaltrige Freunde, andere Peers, die man einbeziehen kann, die einem helfen, aus dieser Situation heraus zu kommen. Man sollte in jedem Fall auch mit Lehrern sprechen. Viele Lehrer wissen gar nicht, wie schlimm Mobbing ist und was man dagegen tun soll. Deshalb sollte man auch seine Eltern einbinden. Es gibt auch anonyme Beratungsangebote gegen Mobbing. Es gibt immer einen Weg heraus. Aber man sollte nicht versuchen, etwas alleine zu lösen, denn das wird man in der Regel wahrscheinlich nicht schaffen.

Mobbing ist ja kein auf Deutschland begrenztes Phänomen. Sie selbst sind bereits auf europäischer Ebene aktiv. Was genau haben Sie für Projekte?

Ich vertrete Deutschland in der europäischen Initiative "EU COST Action-Coping with Cyberbullying". Dort treffen sich Vertreter von mittlerweile annähernd 30 Nationen mehrmals im Jahr, um das Thema "Cyber-Mobbing" zu erforschen. Wir schauen uns an, inwiefern sich dieses Phänomen, die Ausprägung und die Häufigkeit in Deutschland von der in Großbritannien, in Italien und wo auch immer unterscheidet.

Welche Unterschiede oder Gemeinsamkeiten konnten Sie denn bislang feststellen?

Die Ähnlichkeiten in den Ländern sind ausgeprägter als die Unterschiede. Cyber-Mobbing gibt es in ähnlicher Weise in jedem Land. Auch die Auswirkungen von Cyber-Mobbing sind relativ gleich, unabhängig davon, ob ich nun Italiener, Grieche, Pole oder Deutscher bin. Und überall kommen wir zu dem Schluss, dass es nicht normal sein darf, dass Kindern und Jugendlichen so etwas passiert. Wir müssen hier Unterstützungsangebote geben, damit so etwas bestenfalls verhindert wird.

Das Interview führte Daphne Grathwohl.
Redaktion: Andrea Grunau