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Politik

Alles unter Kontrolle!

Hilal Köylü
11. März 2019

Journalistenverbände und Opposition in der Türkei schlagen Alarm: Vor den Kommunalwahlen Ende März wachse der Druck auf türkische Medien. Diese seien quasi gleichgeschaltet. Die Regierung weist den Vorwurf empört zurück.

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Zeitungskiosk in Istanbul
Bild: Getty Images/C. McGrath

"Die AKP als Regierungspartei kontrolliert 95 Prozent der Medien", warnt die größte Oppositionspartei der Türkei: "Der Bevölkerung verschweigt sie die Wahrheit. Gleichzeitig steigt die Zahl der Nachrichtensperren", so die Republikanische Volkspartei CHP, die aus Anlass der Kommunalwahlen am 31. März eine Studie dazu in Auftrag gegeben hatte. Der Titel: "Die autoritäre Türkei und die Verödung der Medien". Kurz nach ihrer Veröffentlichung begann in der Türkei die Diskussion hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen den Kommunalwahlen und der Unabhängigkeit der Medien. Verschiedene Journalistenverbände sind gar der Ansicht, dass die Regierung den Druck auf die Medien bis zu den Wahlen am 31. März noch weiter erhöhen wird.

In der Studie im Auftrag der CHP sind Umfrageergebnisse der Kadir Has Universität aus dem vergangenen Jahr enthalten. Demnach sind 60 Prozent der  Befragten der Ansicht sind, dass in der Türkei die Pressefreiheit nicht existiert.

Diese Einschätzung wird auch vom Pressefreiheitsindex des "Reuters Institut für Journalismus-Studien" an der Oxford Universität gestützt: Demnach rutschte die Türkei von 2002 bis 2018 auf dem Index um 99. Plätze abwärts und rangiert nun am unteren Ende: auf Platz 157 von 181.

Seit dem Putschversuch im Sommer 2016 verhängte die Regierung immer wieder Nachrichtensperren - zum "Schutz der Nationalen Sicherheit", wie es aus Ankara heißt. Von 2011 bis 2018 wurde diese Maßnahme 468 ergriffen. Besonders bedenklich: Allein in den ersten beiden Monaten des laufenden Jahres wurde die Berichterstattung in 34 Fällen unterbunden.

"Dutzende Tageszeitungen drucken wortgleiche Schlagzeilen"

Auch der Vorsitzende der Türkischen Journalistenverband (TCG), Nazmi Bilgin, zeigt sich besorgt: "Die Medien sind nur noch in einer Hand. Wir sind in einem Mediensystem, das zu über 90 Prozent zugunsten der Regierung berichtet", sagt Bilgin. Oppositionelle Stimmen seien nahezu verstummt. Dutzende Tageszeitungen würden wortgleiche Schlagzeilen drucken. "Das Vertrauen der Bürger in die Medien ist erschüttert."

Präsident Erdogan mit Journalisten in der Regierungsmaschine
Präsident Erdogan mit Journalisten in der Regierungsmaschine: Schere im Kopf?Bild: picture-alliance/dpa/AP Photo/Presidential Press Service

Nach Ansicht Bilgins, haben die Menschen im Hinblick auf die Kommunalwahlen keine Chance sich eine eigene, objektive Meinung zu bilden.

Im letzten Bericht des türkischen Journalistenverbands stand besonders die Berichterstattung während des Ausnahmezustands nach dem Putschversuch im Fokus. Ergebnis der Analyse: Die Vielfältigkeit der Medienlandschaft sei plötzlich verschwunden. Allein 2018 mussten 105 Journalisten vor Gericht, so der Verband, mehr als 80 wurden zu Schadensersatz, Geld- oder gar Gefängnisstrafen verurteilt.

Haftstrafen für Journalisten wegen "Beleidigung des Präsidenten"

Nazmi Bilgin erinnert daran, dass bis heute noch über 150 Redakteure und Reporter in Haft sind und seit 2014 insgesamt 53 Journalisten wegen "Beleidigung des Präsidenten" verurteilt wurden, also seit dem Zeitpunkt als Recep Tayyip Erdogan 2014 als Staatspräsident vereidigt wurde.

"Die Türkei ist von der Pressefreiheit weit entfernt. Die Regierung hat die Medien fest im Griff, die Restriktionen, die man den Journalisten auferlegt hat, schränkt das Recht auf Informationsfreiheit der Bürger ein!", so der Journalistenverbandsvorsitzende.

Die wenigen verbliebenen unabhängigen Medien würden von der Regierung regelrecht mundtot gemacht, sagt Bilgin. Der Vielfältigkeit werde bewusst ein Riegel vorgeschoben.

Um einen Eindruck von der ungleichen Wahlberichterstattung zu bekommen, reicht nach Ansicht des Vorsitzenden der türkischen Journalistengewerkschaft (TGS), Gökhan Durmuş, ein Blick in die einschlägigen Fernsehprogramme. Dort würden nur die Auftritte der Kandidaten der Regierungspartei gezeigt. Von den Wahlprogrammen der nationalistischen IYI Partei, der konservativen Saadet-Partei oder gar der prokurdischen HDP sei hingegen nichts zu hören, so Durmuş.

Ferner weist er darauf hin, dass von 24.000 türkischen Journalisten zu Beginn der Regierungszeit der AKP inzwischen rund 8000 ihren Job verloren haben. Nach Einschätzung des Gewerkschaftschefs haben viele Journalisten inzwischen eine Schere im Kopf, aus Angst ihren Job zu verlieren, "Wir bekommen keine objektiven Nachrichten. Wir wissen nicht wirklich, was im Land passiert und was los ist" sagt Durmuş.

"Absolut gelogen!"

Zu der Kritik, dass die Pressefreiheit eingeschränkt sei, sagen Regierungsvertreter nur, das sei "absolut gelogen!" Immer wieder verweisen sie darauf, dass die Türkei mit den Geschehnissen vom 15. Juni 2016 an einem Wendepunkt war. Seitdem bestehe das Hauptziel der Regierung darin, den Kampf gegen die Bewegung des Exil-Predigers Fethullah Gülen zu führen, die von Präsident Erdogan für den Putschversuch verantwortlich gemacht wird.

Laut Geheimdienstberichten seien weiterhin zahlreiche Gülen-Mitglieder in den Medien vertreten, so die gebetsmühlenartige Rechtfertigung der Regierungsvertreter: "Wir haben kein Problem mit der Pressefreiheit. Unser Problem ist die Bekämpfung des Terrorismus."