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Alte Bekannte kehren zurück

Michael Brückner4. September 2002

Aus mehreren europäischen Ballungsräumen werden beunruhigende Zahlen über die Zunahme von Syphilis-Erkrankungen gemeldet. Auch andere, von manchen Ärzten fast vergessene Infektionskrankheiten treten wieder häufiger auf.

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Galt als ausgerottet und ist nun wieder auf dem Vormarsch: TBCBild: AP

Das Robert Koch-Institut schlug schon im vergangenen Jahr Alarm. Der Grund für die Warnung der Spezialisten zur Erforschung von Infektionskrankheiten: eine drastische Zunahme von Syphilis-Fällen in mehreren deutschen Bundesländern.


Geschlechtskrankheiten auf dem Vormarsch

Weitere alarmierende Berichte folgten in diesem Jahr aus Paris. Eine von Experten als äußerst zuverlässig angesehene Langzeituntersuchung in England und Wales zeigt einen anhaltenden Anstieg der sexuell übertragbaren Krankheiten seit Mitte der 90er Jahre. In der Altersgruppe der 16 bis 19-Jährigen nahmen zum Beispiel die Erkrankungen an Gonorrhoe (auch Tripper genannt) seit 1995 bei Frauen um 129 Prozent, bei Männern sogar um 169 Prozent zu. Insgesamt wurden in England und Wales im Jahr 2000 20.190 Fälle von Gonorrhoe registriert, 1999 waren es noch 15.874.

Auch die weitaus gefährlichere und seltenere Syphilis nahm von 1999 bis 2000 um rund 55 Prozent zu. Gerade bei dieser Erkrankung ist nach Ansicht von Experten der Anteil homosexueller Männer mit 46 Prozent besonders hoch.

Neue Sorglosigkeit

Schuld an den alarmierenden Steigerungsraten bei den sexuell übertragbaren Infektionskrankheiten sind nicht Prostitution oder Sextourismus. Das Risikobewusstsein im Sexualverhalten scheint drastisch abzunehmen, nachdem der AIDS-Schock der 80er Jahre vorbei ist und sich die Behandlungsmöglichkeiten für HIV zumindest in den reichen Ländern verbessert haben. Besonders bei homosexuellen Jugendlichen, so die einhellige Meinung von Epidemologen und zahlreichen AIDS-Aktivisten, mache sich eine "neue Sorglosigkeit" breit.

Im Klartext heißt das: Ohne Kondom steigt nicht nur die Rate der HIV-Neuinfektionen, sondern auch die aller anderen Geschlechtskrankheiten stark an. Diese waren Anfang der neunziger Jahre dank der breiten AIDS-Präventionskampagnen sozusagen "nebenbei" mit zurückgegangen. "Es gibt deutliche Hinweise, dass die Syphilis in den letzten 2 Jahren in einigen Großstadtregionen zugenommen hat. Das bringt man besonders mit dem Sexualverhalten der schwulen Männer in Zusammenhang," sagte Dr. Osamah Hamuda vom Robert-Koch-Institut im Gespräch mit DW-WORLD.

Gefährlicher Wochenendtourismus

Für Finnland führt der Wissenschaftler eine ähnliche Tendenz auf andere Ursachen zurück. Dort sei die Nähe zu St. Petersburg sowie der Wochenend- und Sextourismus nach Russland eine wesentliche Ursache für die Verbreitung der Geschlechtskrankheit.

Denn auch in der ehemaligen Sowjetunion ist die Zahl der Syphilisfälle in bestimmten Regionen geradezu explodiert: Von 10 Fällen pro 100.000 Einwohner 1990 auf 700 pro 100.000 Einwohner im Jahr 2000.

Tuberkulose bald unbesiegbar?

Noch viel bedrohlicher ist eine andere alte, längst vergessen geglaubte Seuche: Wer denkt heute noch an Schwindsucht? In Westeuropa kennen die meisten Menschen Tuberkulose nur noch aus alten Romanen, wie etwa Thomas Manns Zauberberg. Oder aus der Oper, wo oft schwergewichtige, pralle Soprane eine schwindsüchtige Mimi oder La Traviata darzustellen versuchen.

Dabei ist die Tuberkulose heute wieder weltweit die Todesursache Nummer eins. Die meisten HIV-Patienten sterben letztlich an einer Tuberkulose, die ihr Immunsystem nicht mehr bewältigen kann. 95 Prozent aller Tuberkulose-Fälle treten in den sogenannten Entwicklungsländern auf, doch besonders in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion ist TBC durch den Zusammenbruch des Gesundheitssystems nach 1990 zu einem ernsten Problem geworden.

Durch den uneinheitlichen und inkonsequenten Einsatz von Antibiotika haben sich dort auffallend viele multiresistente Erreger entwickelt, denen kein Antibiotikum mehr etwas anhaben kann. Eine kleinere Untersuchung in Gefängnissen der Ex-Sowjetrepublik Aserbaidschan kam zu dem alarmierenden Ergebnis, dass bereits die Hälfte der dortigen TBC-Patienten auf die Behandlung mit Antibiotika nicht mehr reagierten.