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Auf dem kurzen Dienstweg

14. Juni 2010

In Świecko arbeiten deutsche und polnische Polizisten an einem Tisch zusammen. Die Kooperation gegen Kriminalität erlaubt schnellere Ermittlungserfolge - und bringt interkulturellen Wind in die Amtsstube.

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An einem Tisch sitzen sich blau und grün uniformierte Beamte gegenüber (Foto: Anna Corves)
Links sitzen die deutschen, rechts die polnischen BeamtenBild: Anna Corves

Ein langer ovaler Tisch, fünf Bürosessel auf jeder Seite: Links, in blauen Uniformhemden, sitzen deutsche Polizisten und Zollfahnder. Ihnen gegenüber, olivgrün gekleidet, ihre jeweiligen Pendants auf polnischer Seite. Sie arbeiten zusammen, tagtäglich im Schichtsystem rund um die Uhr, hier, im Lagezentrum des "Gemeinsamen Zentrums der deutsch-polnischen Polizei- und Zollzusammenarbeit Świecko", kurz: GZ.

Eine Wand des Lagezentrums ist verglast. Durch die Scheibe fällt der Blick auf die Häuschen ehemaliger Grenzposten, die heute Geldwechselstuben beherbergen. Das GZ Świecko liegt, etwa zehn Autominuten von Frankfurt/Oder entfernt, an der Hauptverkehrsader Berlin-Warschau-Moskau, direkt auf der Autobahn-Grenzbrücke zwischen Deutschland und Polen. Offiziell ist dies polnisches Hoheitsgebiet, doch seit dem 21.12.2007 ist das unwichtiger geworden: An diesem Tag endeten im Rahmen von Schengen die Grenzkontrollen zwischen beiden Ländern.

Eine neue Qualität der Zusammenarbeit

Jürgen Braun, Hauptkommissar bei der Bundespolizei, bezeichnet sich selbst als "alten Hasen" in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Schon 1998 arbeitete er in einer deutsch-polnischen Kontaktdienststelle, danach im Ermittlungsdienst eng mit den polnischen Kollegen zusammen – schließlich halte sich auch die Kriminalität in der Region nicht an Grenzen. Doch mit dem GZ wurde 2007 erstmals an der deutsch-polnischen Grenze eine Einrichtung geschaffen, in der alle relevanten Behörden mit ihren Datenressourcen zusammensitzen. "Zu unseren Aufgaben gehört in erster Linie der polizeiliche Informationsaustausch", erläutert Braun. Von Świecko aus werden keine Beamte auf Streife geschickt, sondern Informationen konzentriert und verteilt.

Jürgen Braun von der Bundespolizei (rechts) neben Sławomir Trzeciak vom polnischen Grenzschutz (Foto: Anna Corves)
Jürgen Braun von der Bundespolizei (rechts) neben Sławomir Trzeciak vom polnischen GrenzschutzBild: Anna Corves

"Das Lagezentrum ist das Herz des GZ", sagt Braun. Per Fax, E-Mail oder Telefon gehen hier die Anfragen von Polizeidienststellen aus dem gesamten Grenzgebiet ein. Bei der Bundespolizei geht es oft um Reisende, die ohne Papiere aufgegriffen werden und deren Identität geklärt werden muss. Die Landesebene wiederum behandelt Straftaten und schaltet sich beispielsweise ein, wenn eine mecklenburgische Dienststelle gegen Autodiebe ermittelt und wissen will, ob der polnische Fahrer eines Fahrzeugs auch als sein Halter gemeldet ist.

Amtshilfe einfach über den Schreibtisch hinweg

"Im GZ kann mit einem Gespräch über den Tisch die polnische Seite abgefragt werden. Dadurch haben sich Anfragezeit und -wege wesentlich verkürzt und somit auch die Aufklärungszeit", sagt Norbert Schicht, Hauptkommissar beim Landeskriminalamt Brandenburg. So konnte das GZ zum Beispiel mithelfen, eine Diebstahlserie von Kleintransportern rechtzeitig aufzuklären: Ein Fuhrunternehmer hatte den Diebstahl eines Kleintransporters mit GPS-System bei der Berliner Polizei gemeldet. Die verständigte die deutschen Beamten im GZ, die die GPS-Daten aufnahmen und an die polnischen Kollegen vis à vis weitergaben. Das Auto wurde rasch lokalisiert und die polnische Polizei im Zuständigkeitsgebiet alarmiert, die vor Ort eine ganze Reihe von gestohlenen Kleintransportern fand – teilweise schon mit ukrainischen Kennzeichen versehen.

Rund 14.500 Mal im Jahr wird das GZ von deutscher oder polnischer Seite um Hilfe ersucht. Wie viele Fälle davon erfolgreich abgeschlossen werden, wissen Schicht und seine 63 Kollegen nicht, da sie als Hilfsinstanz meist nur zwischengeschaltet sind. "Aber ab und zu bekommen wir ein Dankschreiben von einer Dienststelle, oder wir fragen selbst nach, wie ein Fall ausgegangen ist", sagt Jürgen Braun. Häufiger bekommen sie Besuch: Von ausländischen Delegationen, für die eine grenzüberschreitende Kooperation wie im GZ Modellcharakter hat.

Zwei Länder – verschiedene Sitten – kein Problem

Mehrere Polizeibehörden und zwei verschiedene Rechtssysteme institutionell unter einem Dach zusammenzubringen, birgt durchaus Tücken. "Zum Beispiel gelten bestimmte Taten bei uns als Straftaten, in Polen aber nicht", erzählt Norbert Schicht. Die Rechtsharmonisierung innerhalb der EU sei im Strafrecht noch nicht so weit. So ist Fahrerflucht in Polen nur eine Straftat, wenn Personen zu Schaden gekommen sind – bei reinem Sachschaden gilt sie lediglich als Ordnungswidrigkeit. "Und die bearbeitet in Polen die Staatsanwaltschaft, nicht die Polizei. Da stoßen wir dann an unsere Grenzen und können der ermittelnden deutschen Dienststelle nicht weiterhelfen."

Unkomplizierter läuft es auf der zwischenmenschlichen Ebene: Im Flur des GZ tönt ein Mix aus polnisch-deutschem Kauderwelsch, die Kollegen duzen sich, manche treffen sich in der Freizeit zum Sport, die eine oder andere Freundschaft ist entstanden. Dabei hilft, dass jeder, der im GZ arbeiten will, polnisch und deutsch sprechen muss – oder zumindest bereit sein muss, die jeweils andere Sprache für den Alltagsgebrauch zu lernen. Ob es kulturelle Unterschiede gibt? Danuta Łazarczyk lacht. Die junge Polin koordiniert die Arbeit der verschiedenen polnischen Behörden im GZ. "Klar gibt es die!", sagt sie. "Zum Beispiel wollen die deutschen Kollegen immer schon um 12 Uhr zum Mittagessen gehen, in Polen ist eher 15 Uhr üblich. Da muss man schon etwas kompromissbereit sein, wann man das Essen bestellt." Aber letztlich esse man trotzdem zusammen, mal so, mal so. Dass man aus zwei unterschiedlichen Ländern kommt, spiele in der täglichen Arbeit ohnehin keine Rolle, sagt Sławomir Trzeciak, ein Kollege vom polnischen Grenzschutz: "Wir sind hier eine Familie."

Autorin: Anna Corves

Redaktion: Dеnnis Stutе