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Politik

Kein Ausrufezeichen von Merkel für Klimaschutz

6. Mai 2021

Es war ihr letzter Auftritt als Bundeskanzlerin beim Petersberger Klimadialog - und auf der internationalen Klimabühne insgesamt. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an Angela Merkel. Sie wurden enttäuscht.

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Greenpeace-Aktivisten mit brennenden CO2-Buchstaben und einem Protestbanner vor dem Brandenburger Tor
Klimaprotest vor dem Brandenburger Tor: "Bevor Sie gehen, Frau Merkel: Recht auf Zukunft sichern!"Bild: Jörg Carstensen/dpa/picture-alliance

Es dürfte kaum eine deutsche Umweltorganisation geben, die sich die Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem diesjährigen Petersberger Klimadialog nicht angehört hat. Zwar gilt das digital abgehaltene Treffen mit Vertretern von rund 40 Staaten dieses Jahr in erster Linie als Vorbereitung für den UN-Klimagipfel COP 26 im November in Glasgow. Doch für Angela Merkel war es die letzte Rede in ihrer Amtszeit als Bundeskanzlerin auf einem internationalen Klimatreffen - zudem auf einem, welches sie vor zwölf Jahren selbst ins Leben rief.

Auch vor dem Hintergrund des jüngsten Urteils des Bundesverfassungsgerichts hofften Beobachter im Vorfeld, dass die Kanzlerin ein starkes Signal für mehr Klimaschutz setzen würde.

Angela Merkel beim digitalen Petersberger Klimadialog
Angela Merkel beim Petersberger Klimadialog - die Erwartungen von Klimaschützern erfüllte die Kanzlerin nichtBild: Filip Singer/Getty Images

"Mehr Führungsstärke in der internationalen Klimapolitik, mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz in Deutschland und mehr finanzielle Unterstützung für wirtschaftlich benachteiligte Länder im Kampf gegen die Klimakrise", formulierte die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Oxfam die Erwartungen an Merkel auf dem Klimadialog.

Von Merkel nichts Neues

An diesem Donnerstag dann also der Auftritt der Bundeskanzlerin. Nach dem Gastgeber der kommenden COP 26, dem britischen Premierminister Boris Johnson, ergriff Merkel das Wort. Wer auf neue Zusagen gehofft hatte, wurde jedoch enttäuscht.

Denn die Bundeskanzlerin machte sich für einen weltweiten CO2-Preis stark, verwies beim deutschen Klimaschutz aber in erster Linie auf das, worauf sie sich mit Umweltministerin Svenja Schulze und Finanzminister Olaf Scholz bereits am Vortag geeinigt hatte: die neuen, schärferen Klimaziele Deutschlands.   

Diesen zufolge sollen nun bis 2030 65 Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen werden als 1990. Ferner soll Deutschland bereits 2045 statt 2050 klimaneutral sein, der CO2-Ausstoß also fast auf null sinken. Der Gesetzentwurf soll möglichst schon in der kommenden Woche im Kabinett verabschiedet werden.  

Für Niklas Höhne, Leiter des NewClimate Institutes, ein Schritt in die richtige Richtung - allerdings ein zu kleiner Schritt.

Nur eine vage Hoffnung auf zwei Grad

Bei der Eröffnung des Petersberger Dialogs mit Schulze hatte der Wissenschaftler die neuesten Prognosen des Forschungsprojekts Climate Action Tracker (CAT) vorgestellt. Diese zeigen: Selbst wenn alle bislang geplanten Klimamaßnahmen greifen, wird die globale Erderwärmung Ende des Jahrhunderts immer noch bei 2,4 Grad liegen.

Infografik Erderwärmung DE

Die CAT-Analyse zeigt auch: Werden die Treibhausgas-Emissionen über das Geplante hinaus noch stärker verringert, ließe sich die Erderwärmung möglicherweise bei 2,0 Grad stoppen.

Um den Temperaturanstieg auf maximal 1,5 Grad zu beschränken, wie im Pariser Klimaabkommen vereinbart, "müssen bis 2030 alle globalen Emissionen halbiert werden", erklärte Höhne. Derzeit sehe es aber nicht danach aus. Ausreichende kurzfristige Reduktionsziele habe sich bislang kein einziges Land gesetzt.

Infografik Anteil Treibhausgas-Emissionen DE

Auch der Umweltschutzorganisation Greenpeace reichen die neuen deutschen Klimaziele nicht. In einem offenen Brief an Kanzlerin und Regierung forderte der deutsche Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser, Deutschland müsse deutlich vor 2040 Null-Emissionen erreichen.

Lisa Göldner, Klima-Expertin der Organisation, führt aus: "Deutschland muss den Ausstoß klimaschädlicher Gase bis 2030 um mindestens 70 Prozent verringern. Andernfalls wären so drastische Maßnahmen notwendig, dass sie die Freiheitsrechte der jungen Generation erheblich verletzten. An einem beschleunigten Kohleausstieg bis 2030, einem Ende der Neuzulassungen von PKW mit Verbrennungsmotor bis 2025 und an einer schnellen Abschaffung der Massentierhaltung führt kein Weg mehr vorbei."

Qualmender Autoauspuff
Keine neuen Verbrenner ab 2025 - fordern Umweltschutzorganisationen Bild: picture-alliance/chromorange/C. Ohde

Keine neuen Zahlen für die Klimahilfen 

Im Pariser Klimaabkommen hatten sich die Staaten nicht nur verpflichtet, ihre Treibhausgas-Emissionen auf Null zu senken, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. "In dem Vertrag haben die reichen Industrienationen zugesagt, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Klimaanpassungsmaßnahmen in ärmeren Staaten bereitzustellen", erinnert David Ryfisch, Leiter des Teams Internationale Klimapolitik der Nichtregierungsorganisation Germanwatch. "Doch diese Zusage ist bis jetzt noch nicht vollständig umgesetzt", so Ryfisch.

Dies kritisierten auf dem Petersberger Klimadialog zwar sowohl Premier Boris Johnson als auch die deutsche Bundeskanzlerin. Doch auch hier kam von Merkel lediglich die Zusage, Deutschland werde auch nach 2025 weiterhin einen "fairen Beitrag" leisten. Konkrete Zusagen in Zahlen aber vermied Merkel.

Frauen und Kinder befüllen Wasserkanister in den Resten einer fast ausgetrockneten Wasserstelle in Äthiopien
Wassermangel in Äthiopien - Klimahilfen der Industrienationen sollen bei der Klimaanpassung im Globalen Süden helfenBild: DW/M. Gerth-Niculescu

Genau diese hatten Entwicklungsorganisationen aber gefordert. So hatte die Präsidentin der evangelischen Organisation Brot für die Welt, Dagmar Pruin, im Vorfeld des Klimadialogs an die Bundeskanzlerin appelliert: "Deutschland muss seine Gelder aus dem Bundeshaushalt für die benachteiligten Länder verdoppeln - bis zum Jahr 2025 von derzeit vier auf mindestens acht Milliarden Euro." Eine Forderung, der sich ein breites Bündnis aus Nichtregierungsorganisationen angeschlossen hatte. 

Tricksereien bei den Klimazahlungen?

So berichtet ein aktuelles Gutachten des internationalen kirchlichen Netzwerkes ACT Alliance EU, dass einzelne EU-Mitgliedsstaaten ihre Klimahilfen für die ärmeren Staaten schönrechneten. Demnach stellen Deutschland, Frankreich und Spanien die Hilfen zum Großteil als Kredite aus, teilweise sogar zu marktüblichen Konditionen.

"Das ist unfair, denn Kredite müssen von den Empfängerländern zurückgezahlt werden und an Krediten mit marktüblichen Zinsen verdienen die Geberländer", kritisiert Sabine Minninger, Referentin für Klimapolitik bei Brot für die Welt. Es sei eine Augenwischerei, wenn die Kanzlerin von fairen Klimahilfen in Höhe von 7,6 Milliarden Euro spreche, da fast die Hälfte davon als Kredit gewährt werde, so Minninger zur DW.

Ein Mann watet durch eine überflutete Straße in Karatschi, Pakistan
Die Auswirkungen des Klimawandels treffen vor allem ärmere Länder, wie etwa Pakistan, besonders starkBild: picture-alliance/AP Photo/F. Khan

"Die ärmsten Staaten leiden jetzt schon massiv unter den Auswirkungen des Klimawandels. Die Folgen der Corona-Pandemie sowie die steigende Staatsverschuldung verschärfen die Armut", so Minninger. In Folge dieser Dreifachkrise hätten viele Staaten keinerlei finanzielle Spielräume mehr, so dass dringend erforderliche Investitionen in die Widerstandskraft gegen den Klimawandel nicht getätigt werden könnten.

Auf der COP 26 in Glasgow müsse man möglicherweise über neue Ziele für die internationalen Hilfen sprechen, merkte die Bundeskanzlerin dazu lediglich an.

"1,5-Grad-Ziel klappt nur gemeinsam"

Bei den Klimahilfen gehe es aber eben nicht nur um eine moralische Verpflichtung der reichen Industrienationen, die ihren Wohlstand vor allem dem CO2-intensivem Wirtschaften verdankten, sagt Wissenschaftler Höhne der DW. "Wenn wir 1,5 Grad erreichen sollen, funktioniert das nur, wenn alle Staaten ihre Emissionen halbieren und da brauchen die Entwicklungsländer eben Hilfe." 

Gemäß dem Pariser Klimaschutzabkommen sind alle Staaten aufgefordert, spätestens bis zur COP im November neue, ambitioniertere Ziele vorzulegen. Für die Bundesregierung scheint das mit der bereits angekündigten Verschärfung getan zu sein. Doch die ist vor allem den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und den höheren EU-Klimazielen geschuldet, eigene Ambitionen der Regierung lassen sich nicht erkennen.

Der letzte internationale Klima-Auftritt der Bundeskanzlerin hätte ein großer werden können. Doch von einem neuen deutschen Klima-Ehrgeiz war dabei nichts zu spüren.

DW-Redakteurin Jeannette Cwienk
Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin mit Fokus auf Klima- und Umweltthemen