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Angeschlagener Riese Indien

Hans Spross30. August 2013

Indien ist von den aktuellen Turbulenzen an den Währungs- und Kapitalmärkten der Schwellenländer besonders stark betroffen. Strukturelle Probleme treten schärfer zu Tage, manche sehen hierin auch eine Chance.

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Symbolbild Indien Rupie (Foto: Mivr - Fotolia.com)
Bild: Fotolia/Mivr

Die drittgrößte Volkswirtschaft Asiens ist besonders stark von den Kapitalabflüssen internationaler Anleger betroffen. Die indische Rupie verlor seit April 2013 gegenüber dem US-Dollar knapp 20 Prozent, der stärkste Wertverlust von allen asiatischen Währungen in den gegenwärtigen Turbulenzen. Ende August rutschte die Rupie mit 68,8 auf ihren niedrigsten Wert überhaupt gegenüber dem Dollar. Die indischen Börsenverluste betrugen von Ende Mai bis Ende August neun Prozent in lokaler, und 28 Prozent bei den in Euro gelisteten Werten.

Indien in Währungskrise

Bernhard Steinrücke, Leiter der Deutsch-Indischen Handelskammer in Mumbai, sieht solche Zahlen nicht so dramatisch: "Dass die Börse so runtergegangen ist, ist nur natürlich. Noch im Juli stand die Börse mit über 20.000 Punkten im Leitindex Sensex. Völlig überteuert, wenn man sieht, wie schlecht einige Firmen in Indien im Moment dastehen", kommentiert der deutsche Wirtschaftssprecher in Indien. Er zieht einen Vergleich mit 2009 heran, als Indien immerhin noch mit 5,7 Prozent wuchs im Vergleich zu fünf Prozent jetzt, und damals stand die Börse bei 8.300 Punkten. "Die heiße Luft geht jetzt raus, eigentlich ein gesunder Vorgang."

Deutsche Firmen gut gerüstet

Umso positiver sei dagegen das Abschneiden der etwa 15 an der indischen Börse gelisteten deutschen Firmen, wie Bosch, BASF, Blue Dart (DLH-Tochter) und andere. "Deren Kurse sind z. T. runter, z.T. raufgegangen. Und im ersten Quartal hat nur eine von diesen Firmen Verlust gemacht, bezogen aufs letzte Geschäftsjahr haben nur zwei kleine Verluste gemacht, die anderen solide Gewinne." Steinrücke macht noch eine andere Rechnung auf: Von Juli 2003 bis Juli 2013 sei der Wert dieser gelisteten Firmen - ihre Marktkapitalisierung - dramatisch hochgegangen. Der Wert von Bosch zum Beispiel, der größten deutschen Firma in Indien, sei in dieser Zeit um das 27fache gestiegen. Ähnliches konnten Siemens und andere Firmen verbuchen. "Das ist in letzten Tagen etwas runtergegangen, aber immer noch sehr gut", bilanziert Steinrücke.

Börse von Mumbai (Foto: picture-alliance/ dpa)
Indien ist auf Kapitalzuflüsse an der Börse von Mumbai angewiesenBild: picture-alliance/ dpa

Leistungsbilanzdefizit verschärft die Lage

Deutsche Firmen mögen gut für die aktuellen Turbulenzen gerüstet sein. Für Indien ist der Kapitalabfluss besorgniserregend wegen des Leistungsbilanzdefizits, das seit Jahren kontinuierlich größer wird und auf 2013 hochgerechnet vier bis fünf Prozent der Wirtschaftsleistung beträgt. Vereinfacht gesagt, das Land exportiert weniger als es importiert und ist zur Finanzierung dieses Defizits auf ausländisches Kapital angewiesen. Die Devisenreserven reichen nach Angaben der indischen Zentralbank für die Bezahlung der Importe für sieben Monate. Vor allem die Öl- und Kohleimporte zur Stromerzeugung belasten den Außenhandelssaldo. Dabei könnte Indien reichlich Kohle fördern, der Bergwerkssektor ist aber in einem Sumpf aus Korruption und Ineffizienz lahmgelegt, sogar offiziell per Beschluss des Obersten Gerichts ("Coalgate-Skandal").

Manche indischen Beobachter sehen bereits wieder die Notwendigkeit für Indien, sich wie 1991 an den IMF um Finanzhilfen zu wenden. Maßnahmen zur Entspannung der Lage, wie schmerzhafte Kürzungen von Subventionen von Treibstoff, sind angesichts der im kommenden Mai anstehenden Parlamentswahlen nicht zu erwarten.

Indiens Wachstum - von durchschnittlich acht Prozent im ersten Jahrzehnt 2000 auf jetzt knapp fünf Prozent - und sein zu schwacher industrieller Sektor (15-17 Prozent der Wirtschaftsleistung) reichen nicht aus, um eine nennenswerte Exportwirtschaft zur Generierung von Deviseneinnahmen auf die Beine zu bringen. Hinzu kommen als Wachstumshemmnisse und Investoren abschreckende Faktoren Korruption und ausufernde Bürokratie.

Finanzminister Chidambaram mit dem Haushalt 2013 (Foto: AFP/Getty Images)
Steinrücke: "Die Märkte glaubten nicht mehr an die Versprechungen von Finanzminister Chidambaram (M), dass er das Haushaltsdefizit reduzieren werde."Bild: Prakash Singh/AFP/Getty Images

Indien bietet weiterhin Chancen

Insofern sehen Experten wie Friedolin Strack vom Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft in den aktuellen Problemen auch eine Chance: "Das ist der Aufrüttler und die Chance, die Indien braucht. Die indische Wirtschaftspolitik des Durchwurstelns scheint jetzt ihr Ende zu finden“, meint der Asien-Experte. Er sehe das als Chance an, dass die indische Regierung jetzt begreift, dass sie mit Wahlversprechen wie billige Nahrungsmittel für alle und ähnliches nicht weiterkommt: "Jetzt muss man an die 'fundamentals' ran."

Immerhin biete Indien nach wie vor große Chancen und großes Potential: Indien habe eine große kaufkräftige Mittelschicht, die schon immer ein großes Potential barg, sagt Strack. "Das schmilzt ja nicht weg, wir sprechen nicht von einer plötzlichen rapiden Verarmung der indischen Mittelschicht, die ist ja sehr groß, und die Chancen sind nach wie vor da."

Mitarbeiter in Call Center in Mohali im Punjab (Foto: AFP/Getty Images)
Großes Potential: Die gebildete MittelschichtBild: STR/AFP/Getty Images

Ins gleiche Horn stößt auch Steinrücke: "Langfristig gesehen ist die Situation eigentlich gar nicht so schlimm. Dass das im Moment schwierig ist, steht außer Frage, wir haben Wahlen in Indien, mit allen Problemen und Unsicherheiten." Nach einer "sicher übertriebenen" Boomphase werde im Moment vielleicht die negative Phase etwas übertrieben, aber eins sei klar: "Indien wird langfristig wachsen, das geht überhaupt nicht anders."