1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Gesellschaft

Angriff auf jüdisches Restaurant in Chemnitz

8. September 2018

Während der Ausschreitungen in Chemnitz griffen Rechtsextreme auch ein jüdisches Restaurant an. Der Besitzer wendete sich an Sachsens Regierungschef Kretschmer. Der zeigt sich besorgt, versucht gleichzeitig zu beruhigen.

https://p.dw.com/p/34XJ8
Deutschland Angriff auf jüdisches Restaurant "Schalom" in Chemnitz
Eine neue Stufe der Eskalation: Rechtsextreme werfen Steine und schreiben antisemitische ParolenBild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Uwe Dziuballa arbeitete in seinem jüdischen Restaurant in Chemnitz, als er auf einmal merkwürdige Geräusche hörte. Der Gastwirt ging nach draußen. Dort traf er auf zehn bis zwölf teils vermummte Menschen, die Gegenstände auf sein Restaurant warfen. "Judensau, verschwinde aus Deutschland", sollen sie gerufen haben. Die Polizei sei dann "eine Minute später" gekommen und habe seine Aussage aufgenommen, erinnert sich der jüdische Wirt. Sein koscheres Restaurant "Schalom" wurde an diesem Montagabend zum Ziel von mehreren Neonazis. Es war der zweite Tag von Protesten und Ausschreitungen nach dem gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen in Chemnitz.

"Nicht typisch für Chemnitz"

Der Wirt erstattete Anzeige, das Landeskriminalamt ermittelt. Ein Sprecher des sächsischen Innenministeriums erklärte, dass in dem Fall "derzeit eine politisch motivierte Tat mit einem antisemitischen Hintergrund naheliege". Die Ermittlungen dazu seien allerdings noch nicht abgeschlossen. Auch der sächsische Staatsschutz und das polizeiliche Terrorismus- und Extremismus- Abwehrzentrum seien mit dem Fall befasst. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte, derzeit laufe noch die Auswertung der gesicherten Spuren. Er würden auch Gäste des Lokals befragt, zudem werde Bildmaterial ausgewertet.

Restaurantbesitzer Dziuballa ist geschockt, lässt sich aber nicht einschüchtern: "Das ist nicht typisch für Chemnitz", sagt er. "Seit das Restaurant im Jahr 2000 eröffnet wurde, ist es das erste Mal, dass ich so etwas erlebe." Aufgeben sei keine Option für ihn. "Wir werden weiter arbeiten", sagt er. "Damit versuche ich, die Gesellschaft positiv zu prägen."

Chemnitz jüdisches Restaurant Schalom
Uwe Dziuballa (links) in seinem koscheren Restaurant "Schalom"Bild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus kritisierte, die Behörden hätten diesen "gewaltigen Fall von Antisemitismus" zeitnah öffentlich machen müssen. "Es ist ungeheuerlich, dass in Chemnitz ein vermummter Mob das einzige jüdische Restaurant attackiert, antisemitische Parolen ruft und die Öffentlichkeit erst Tage später von dem Fall erfährt", erklärte Vereinssprecher Levi Salomon.

Brief an den Ministerpräsidenten

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, zeigte sich alarmiert: "Sollten die Berichte zutreffen, haben wir es mit dem Überfall auf das jüdische Restaurant in Chemnitz mit einer neuen Qualität antisemitischer Straftaten zu tun. Hier werden die schlimmsten Erinnerungen an die dreißiger Jahre wachgerufen." Klein forderte die sächsische Polizei und Staatsanwaltschaft auf, "nun unverzüglich und umfassend zu ermitteln und mit aller Härte" gegen die Täter vorzugehen. Der Staat müsse mit aller Deutlichkeit zeigen, "dass antisemitische Straftaten unverzüglich geahndet werden".

Dziuballa hat nach dem Angriff einen Brief an Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) geschrieben. Darin schilderte er die Attacke auf sein Lokal am 27. August. Kretschmer reagierte erschüttert auf den Brief des Restaurantbetreibers. "Das
ist eine ganz schändliche Tat. Es zeigt, wie sehr sich da die Gewalt Bahn bricht", sagte der Regierungschef. Mittlerweile habe Kretschmer mit Dziuballa telefoniert und seine Unterstützung zugesichert. "Wir sind dabei, diese Sache aufzuklären. Ich hoffe, dass es gelingt, die Täter dingfest zu machen und zu verurteilen." Der CDU-Politiker wolle sich demnächst auch mit dem Wirt treffen. Ein Termin stehe aber noch nicht fest.

Unterdessen rief Kretschmer die Menschen in Sachsen dazu auf, sich nicht von den Ereignissen von Chemnitz einschüchtern zu lassen: "Eine Minderheit in Chemnitz versucht, das Land mit Worten und Hass zu prägen. Dem werden wir uns entgegenstellen", sagte der CDU-Politiker bei einem Volksfest.

Landtag Sachsen - Michael Kretschmer
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer gibt eine Regierungserklärung zu den Vorfällen in Chemnitz abBild: picture-alliance/dpa/M. Skolimowska

War es eine Hetzjagd?

In Chemnitz war vor zwei Wochen ein 35-Jähriger getötet worden. Zwei aus Syrien und dem Irak stammende Männer wurden wegen des Tötungsdelikts in Untersuchungshaft genommen. Nach einem dritten Tatverdächtigen wird gefahndet. Seit der Gewalttat hat es in Chemnitz mehrfach Kundgebungen auch rechter Gruppen gegeben, die teilweise in Ausschreitungen mündeten. Dabei wurden auch Ausländer und Journalisten angegriffen. Die Vorfälle lösten eine bundesweite Debatte über Rechtsextremismus in Sachsen und die Verwendung des Begriffes "Hetzjagd" für die rechtsextremen Übergriffe in Chemnitz aus.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte zunächst, dass es aus Chemnitz Bilder gebe, "die sehr klar Hass und damit auch Verfolgung von unschuldigen Menschen deutlich gemacht haben". In einer Regierungserklärung sagte Ministerpräsident Kretschmer hingegen: "Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd und es gab keine Pogrome in Chemnitz." Für Kretschmer sei das aber kein Widerspruch zur Kanzlerin: "Ich bin genauso entsetzt über die Bilder von Montag wie jeder andere." Eine andere Frage sei aber, welches Bild von Chemnitz und seinen Einwohnern teilweise gezeichnet wurde: "Ich lasse nicht zu, dass man eine Stadt oder ein ganzes Land unter Verdacht stellt, das ist ebenso abwegig wie fahrlässig, denn es nützt nur den Extremisten", sagte Kretschmer.

pgr/sam (afp, dpa)