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Politik

Angriffe auf türkische Kurden nehmen zu

Pelin Ünker
23. Oktober 2019

Ein Mann wird in einem türkischen Krankenhaus attackiert, weil er kurdisch spricht. Doch der Täter kommt nicht vor Gericht. Offenbar kein Einzelfall. Menschenrechtler sehen einen Zusammenhang mit der Nordsyrienoffensive.

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Ekrem Yaslı
Angegriffener Ekrem Yaslı: Im Krankenhaus mit einer Glasflasche niedergeschlagenBild: Mezopotamya Agency

Die vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan befohlene Nordsyrien-Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG trifft in der türkischen Gesellschaft auf viel Zustimmung - nationalistische Gefühle kochen hoch. Diese Stimmung, sagen Kritiker, ebne den Weg zu Diskriminierung und Rassismus auch gegenüber kurdischen Bürgern in der Türkei. Die Zahl der Medienberichte über Übergriffe gegen Kurden nehmen zu.

Da ist beispielsweise der Fall des 74-jährigen Ekrem Yaslı. Als der Kurde am 15. Oktober im Universitätskrankenhaus von Çanakkale seine Frau zu einem Arzttermin begleitete, wurde er von einem Begleiter eines anderen Patienten attackiert, weil er mit seiner Frau kurdisch sprach. "Das hier ist die türkische Republik", hätte dieser dem Seniorenpaar zunächst entgegnet, das Zimmer verlassen und sei dann, mit einer Glasflasche bewaffnet, zurückgekehrt und zerschlug sie auf dem Kopf des älteren Mannes.

Täter wird freigesprochen

Zwar kam es zur Strafanzeige, doch ohne Erfolg. Es sei nicht erwiesen, dass Yaslı angegriffen wurde, weil er kurdisch sprach, so die Staatsanwaltschaft von Çanakkale. "Es gibt keine konkreten Beweise für diese abstrakte Behauptung". Die Anklage wurde abgelehnt.

Yaslıs Anwältin Necibe Inci Incesağir sagte der Deutschen Welle: "Er hat eine schwere Verletzung am  Kopf davongetragen." Weil keine Ermittlungsakte herausgegeben wurde, könne sie keine genauen Angaben zu den Ermittlungen machen. Nur eines wisse ihr Mandant: Der Angreifer sei angeblich psychisch gestört gewesen. Ob er festgenommen wurde, wisse er nicht.

Die Anwältin berichtet außerdem, dass auch der Gouverneur der Stadt Rassismus als Motiv ausschloss. "Dieser Mann ist geistig gestört, das hat mit Rassismus nichts zu tun", soll er sich zu der Tat geäußert haben. "Sobald es eindeutig ist, dass es sich um einen rassistischen Angriff handelt, müsste die türkische Justiz eigentlich ein Signal geben: 'Wir dulden das nicht!'", kritisiert Incesağir.

"Kein Patriotismus, sondern reiner Rassismus"

Aus Sicht von Yaslıs Anwältin nehmen diskriminierende und rassistische Übergriffen zu - vor allem durch die Militäroperation in Nordsyrien: "Immer wenn die Polarisierung zunimmt, wenn kurdische Politiker Haftstrafen erhalten, wenn die Kriminalisierung von Kurden zunimmt  steigt die Zahl solcher Angriffe." Statt weiter verbal für eine Spaltung der Gesellschaft zu sorgen, müsse eine versöhnliche Rhetorik einkehren.

Kadir Sakcı und Sohn
Mordopfer Kadir Sakci und sein Sohn: "Seid ihr Kurden oder Syrer?"Bild: Privat

Auch Mehmet Yaslıs Sohn hat sich zu dem Angriff gegen seinen Vater geäußert. "Meine Mutter spricht eben kein türkisch. Und das führte dazu, dass ein Mann meinen 74-jährigen Vater schlug. So etwas ist kein Patriotismus, das ist reiner Rassismus." Genau wie die Anwältin seines Vaters ist er der Meinung, dass der Staat solche Taten stützt, damit "Andersartige" einfacher ausgeschlossen werden können.

Ähnliche Fälle in der Türkei schockieren

Der Fall im Krankenhaus von Çanakkale erinnert an einen ähnlichen rassistischen Übergriff auf den 43-jährigen Kurden Kadir Sakci in Sakarya - nur, dass die Tat einen noch dramatischeren Ausgang hatte: Bei einem Angriff kam er am 16. Dezember ums Leben - sein 16-jähriger Sohn wurde dabei schwer verletzt. Vorausgegangen war, dass sich Vater und Sohn auf der Straße kurdisch unterhielten.

Der Angreifer fragte erst: "Seid ihr Kurden oder Syrer?" Als sie antworteten, dass sie Kurden sind, eröffnete der Mann das Feuer auf die beiden. Der Vater kam sofort ums Leben, der Sohn erlitt schwere Verletzungen und wird bis heute im Krankenhaus behandelt. Auch bei diesem Vorfall äußerte sich der Gouverneur relativierend zu der Tat: "Der Vorfall hatte keinen ethnischen Hintergrund".

Şirin Tosun
Mordopfer Şirin Tosun: Tod nach 50 Tagen auf der IntensivstationBild: Mezopotamya Agency

Der Anwalt Veysi Eski, der den Fall in Zusammenarbeit mit der Menschenrechtsorganisation IHD beobachtet, sagte der DW: "Nachdem wir die Ermittlungsakte einsahen, stellte sich für uns heraus, dass die Staatsanwaltschaft zunächst versuchte, den Vorfall wie einen normalen Mord aussehen zu lassen. Denn der Staatsanwalt berücksichtigte nicht, dass der Täter zunächst fragte, ob die Opfer einen kurdischen Hintergrund haben. Wir warten immer noch auf die Entscheidung - die wird voraussichtlich am 6. Dezember fallen."

"Taten werden nicht konsequent bestraft"

Auch Eski sieht eine Zunahme diskriminierender Sprache in der Türkei, die solche Taten begünstigt. "Solche Morde bleiben im Verborgenen. Es ist es eine Schande für die Justiz", beklagt sich der Jurist.

Kurz nach Beginn der Militäroperation in Nordsyrien machte ein weiterer blutiger Vorfall Schlagzeilen in der Türkei: Am 13. Oktober erlag Şirin Tosun seinen schweren Verletzungen. Der 19-Jährige wollte Ende August mit seiner Familie in Adapazarı Haselnüsse sammeln, als er von sechs Personen grausam attackiert und am Ende auch noch angeschossen wurde - offenbar, weil er kurdisch sprach. Nach 50 Tagen auf der Intensivstation verstarb er im Krankenhaus.

Eren Keskin, Co-Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation IHD, ist sich sicher: Hassreden und Rassismus in der türkischen Gesellschaft seien der Nährboden für solche brutalen Attacken. Laut Keskin nehmen solche Angriffe vor allem zu, weil der Staat die Täter nicht konsequent bestraft. Gewalt gegen Kurden habe es schon immer gegeben. Besonders in den 1990er-Jahren sei der Staat mit Gewalt gegen Kurden vorgegangen, habe dies jedoch verschleiert. Heutzutage werde Gewalt gegen Kurden ganz offen ausgeübt, sagt die Menschenrechtlerin.