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Angst um den Diesel

Sabine Kinkartz, Berlin1. Dezember 2015

Verändert der VW-Skandal die deutsche Autoindustrie? Kaum, sagt Verbandspräsident Wissmann. Den Dieselantrieb lobt er in den höchsten Tönen, doch es klingt ein wenig wie Pfeifen im Wald.

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Bild: picture-alliance/dpa/Jan Woitas

2015 hätte für die deutschen Autobauer ein erfreuliches Jahr werden können. Es sind gute Zahlen, die der Verband der Automobilindustrie (VDA) zum Jahresende vorlegen kann: Mehr als 15 Millionen Autos haben die deutschen Hersteller in diesem Jahr gebaut, davon 5,7 Millionen in Deutschland. Bis September wuchs der Branchenumsatz um elf Prozent auf 300 Milliarden Euro. Allein die Deutschen haben vier Prozent mehr Autos gekauft, die Zahl der Neuzulassungen soll bis Jahresende auf 3,17 Millionen Fahrzeuge anwachsen. Das hat sich auch auf die Beschäftigtenzahl ausgewirkt. Die Stammbelegschaften in Deutschland wuchsen um 17.000 auf 800.800.

Es hätte also durchaus ein erfreuliches Jahr werden können, auch wenn die Aussichten für 2016 nicht ganz so rosig anmuten. "Der Gegenwind wird stärker, die Herausforderungen nehmen im kommenden Jahr zu", warnt VDA-Präsident Matthias Wissmann und verweist auf die Weltkonjunktur und die angespannte politische Lage. Zudem sei der Markt gesättigt, weltweit, so die Branchenprognose, werde es im nächsten Jahr wahrscheinlich 78,1 Millionen Fahrzeuge geben, das wäre ein Plus von zwei Prozent.

Diesel-Gate und die Folgen

Was der deutschen Automobilbranche derzeit jedoch mehr als nur eine Jahresbilanz verhagelt, sind die Abgas-Manipulationen des Volkswagen-Konzerns. "Diesel-Gate" hat der Branche mehr als nur ein handfestes Imageproblem verschafft. "Dieser Missbrauch hat Vertrauen gekostet – in das betroffene Unternehmen, in die gesamte Branche und nicht zuletzt in die Dieseltechnologie", räumt VDA-Präsident Matthias Wissmann ein und gibt sich alle erdenkliche Mühe, um den Skandal allein bei VW zu verorten. "Was wir wissen ist, dass es einen Defeat Device in anderen Unternehmen – nach dem, was die uns glaubwürdig sagen – nicht gibt und die haben inzwischen ja auch Zeit gehabt, das zu überprüfen."

Jahrespressekonferenz des VDA in Berlin - Matthias Wissmann
Bricht eine Lanze für den Diesel: VDA-Präsident WissmannBild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

Automobilindustrie und Diesel-Antrieb dürften jetzt nicht unter Generalverdacht gestellt werden, eine "Kollektivhaftung" dürfe es nicht geben. Dann bläst Wissmann zum Angriff. Im November seien knapp die Hälfte der neu zugelassen Autos Dieselfahrzeuge gewesen. "Wir haben keine Anzeichen, dass der Diesel am deutschen Markt einbricht", betont er, fügt aber hinzu, dass er sich ein endgültiges Urteil, wie sich das Geschäft mit Dieselfahrzeugen in Westeuropa entwickle, erst im Frühjahr zutrauen würde. Auch unter umwelt- und klimapolitischen Gesichtspunkten, sei der Diesel "kein Auslauflaufmodell", da er 20 Prozent weniger Kraftstoff als ein Benziner verbrauche und seine CO2-Emissionen im Schnitt um 10 Prozent niedriger seien.

Umweltkosten werden steigen

Ohne den Diesel seien die vorgegebenen Verbrauchs- und Emissionsziele in der Europäischen Union für 2020 und darüber hinaus nicht zu erreichen, warnt Wissmann. "Wäre in Europa alles, was Diesel ist, Benziner, würden wir nicht unter 130 g CO2/Kilometer liegen, sondern bei 137 oder 138 Gramm." Dazu kommt, dass der Diesel-Antrieb den deutschen Herstellern bislang gute Gewinne beschert hat. Jeder zweite Neuwagen, der in Westeuropa verkauft wird, ist ein Diesel. Und jeder zweite Diesel, der in Westeuropa verkauft wird, kommt von Audi, BMW, Mercedes oder VW. Selbst beim Sportwagenhersteller Porsche sind mittlerweile 39 Prozent der Neuwagen mit einem Dieselantrieb ausgestattet.

"Der bisherige Diesel-Wettbewerbsvorteil der europäischen Premiumhersteller wird in den nächsten Jahren zur Belastung", warnt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. Verschärfte Umweltrichtlinien wie die in der EU demnächst vorgeschriebenen Real Drive Emissions (RDE) würden den deutschen Herstellern in Zukunft das Leben schwerer machen. Die Richtlinie sieht vor, dass der Stickoxid-Ausstoß auf der Straße von den im Labor gemessenen Werten nur noch bedingt abweichen darf. "Dies ist für nahezu alle Autobauer eine sehr große Herausforderung, denn heute weichen selbst Euro 6 Diesel erheblich davon ab."

Wie lange lohnt sich der Diesel noch?

Die Hersteller müssen in den nächsten Jahren also Milliarden in die Abgasreinigung des Diesels stecken und das wird den Antrieb zwangsläufig verteuern. Angesichts immer höher gesetzlicher Anforderungen an den Dieselmotor werde "in Zukunft auch mal der Punkt kommen", wo er unwirtschaftlich werde, orakelt BMW-Vorstands-Chef Harald Krüger bereits folgerichtig. Dann werde Elektromobilität die entscheidende Rolle spielen. Der Autohersteller aus München bereitet derzeit eine neue Offensive bei Stromautos vor. Neben der Weiterentwicklung des 2013 eingeführten i3 werde es auch eine Cabrioversion des i8 geben, sowie ein weiteres Elektroauto der i-Familie, kündigte der BMW-Chef an.

Internationale Konferenz zur Elektromobilität in Berlin
Wie kann Deutschland den Anschluss schaffen? Die Kanzlerin rätselt nochBild: picture-alliance/dpa

Deutsche Elektroautos seien weltweit durchaus gefragt, freut sich auch VDA-Präsident Wissmann. Auf dem Weg zum "Leitanbieter" sei man "sehr gut vorangekommen". In den beiden wichtigen westeuropäischen Märkten für Elektrofahrzeuge, in den Niederlanden und in Norwegen, sind deutsche Hersteller mit 59 Prozent Anteil beziehungsweise 55 Prozent Anteil Marktführer. Ähnlich sieht es in Deutschland aus. In den USA, dem weltgrößten Markt für Elektrofahrzeuge, konnte der Marktanteil von acht auf 20 Prozent mehr als verdoppelt werden.

Kommt die Kaufprämie?

Vom zweiten Ziel, Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität zu machen, sei man jedoch "noch weit entfernt", bedauert Wissmann. Der VDA sieht die Politik am Zug, auch wenn sich die Bundesregierung bislang vehement gegen Kaufanreize für Elektroautos gewehrt hat. "Ohne wirksame Impulse durch die Politik hat noch kein Land der Welt den Markthochlauf gemeistert", kontert der VDA-Präsident, der sich sowohl eine staatliche Förderung, Kaufzuschüsse, Steuererleichterungen oder Hilfe beim Aufbau der Ladeinfrastruktur vorstellen kann.