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Angst vor dem Coming-out

Jennifer Fraczek18. Mai 2013

Homosexuelle, Bisexuelle und Transgender werden nach wie vor diskriminiert. Das hat eine EU-Studie ergeben. Auch in Deutschland werden sie nicht selten beleidigt, benachteiligt und angegriffen.

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Transparent bei einer Demonstration für die Homo-Ehe in Frankreich (Foto: dpa)
Transparent bei einer Demonstration für die Homo-Ehe in FrankreichBild: picture-alliance/dpa

Die Diskriminierung fängt bei blöden Sprüchen auf Schulhöfen an, geht über Probleme bei der Jobsuche bis hin zu körperlicher Gewalt, so die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, im Gespräch mit der Deutschen Welle. Ihre Institution berät Menschen, die sich benachteiligt fühlen, unter anderem Homosexuelle, aber auch Transgender - also Menschen, die etwa als Mann geboren wurden, sich aber nicht als Mann fühlen - und Bisexuelle.

Die nun von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) vorgelegten Zahlen zu Homophobie findet Lüders "alarmierend". Sie seien eine ernste Mahnung an alle EU-Mitgliedstaaten, auch an Deutschland. Bei der nicht-repräsentativen Online-Befragung von April bis Juli 2012 gaben 47 Prozent der mehr als 93.000 Teilnehmer an, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten diskriminiert oder belästigt wurden, weil sie schwul oder lesbisch sind. In Deutschland waren es sogar 48 Prozent.

Ein Kuss in der Öffentlichkeit? Lieber nicht.

26 Prozent wurden demnach in den letzten fünf Jahren wegen ihrer sexuellen Orientierung Opfer von Gewalt oder es wurde ihnen mit Gewalt gedroht. Unter anderem damit erklärt sich ein weiteres Ergebnis: Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer zeigen ihre Zuneigung zu ihrem gleichgeschlechtlichen Partner nicht öffentlich. Diese Angst vor Anfeindungen gibt es offenbar schon in der Schulzeit: Fast alle Teilnehmer haben dort homophobes Verhalten erlebt,  67 Prozent haben ihre sexuelle Ausrichtung als Jugendlichen häufig oder immer verheimlicht.

Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, bei einer Pressekonferenz. (Foto: dpa)
Christine Lüders will mehr Aufklärung an den SchulenBild: picture-alliance/dpa

Christine Lüders sieht bei den Schulen einen wichtigen Ansatzpunkt. "Solange Rufe wie 'schwule Sau' auf Schulhöfen das Standardschimpfwort sind, haben wir noch viel zu tun. Ich finde es sehr wichtig, dass wir sexuelle Orientierung und Vielfalt generell in die Lehrpläne aufnehmen und Lehrer in dieser Hinsicht schulen." Der Leiter der Geschäftsstelle des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD), Klaus Jetz, sieht das ähnlich. Das Thema müsse in der Schule fächerübergreifend behandelt werden, sagte er der Deutschen Welle.

Im Job fühlt sich laut der Studie jeder Fünfte wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert. So manches, was sie von Betroffenen höre, mache sie fassungslos, sagt Lüders. Etwa, wenn ein Homosexueller eine Frauenbluse als Arbeitskleidung anziehen solle oder einer lesbischen Frau bei einem Bewerbungsgespräch "recht deutlich" gesagt werde, dass sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht in das Unternehmen passe. Wie schwierig sich die Wirtschaft mit dem Thema tut, sehe man auch daran, "dass sich in Führungsetagen von Unternehmen noch nie ein Schwuler oder eine lesbische Frau geoutet haben".

"In Krisen werden die Menschen feindseliger"

Im EU-weiten Vergleich ist die Situation für Schwule und Lesben tendenziell in südost- und osteuropäischen Ländern problematischer als in Mittel-, Nord- und Westeuropa. Am wenigsten Schwierigkeiten haben sie demnach in den Benelux- und den skandinavischen Staaten.

Demonstration gegen die Homoehe in Paris (Foto: Reuters)
Gegen die Einführung der Homo-Ehe gab es in Frankreich wütende ProtesteBild: REUTERS

Homo- und Transphobie gebe es umso mehr, je religiöser Menschen seien, sagt Klaus Jetz, wobei er betont, dass nicht die Religion als solche diese Feindseligkeit in sich berge. Auch eine schlechte Wirtschaftslage befeuere das Misstrauen - gegenüber Minderheiten generell.

Ob nun durch die Wirtschafts- und Finanzkrise oder aus anderen Gründen: Aus Jetz‘ Sicht ist es mit der Gleichstellung und Toleranz gegenüber Homosexuellen und Transgendern in letzter Zeit nicht recht vorangegangen. "Um die Jahrtausendwende waren wir in Aufbruchstimmung - insbesondere, als die eingetragene Lebenspartnerschaft in Deutschland kam." In letzter Zeit gebe es aber europaweit einige negative Entwicklungen, etwa die Massenproteste gegen die Homo-Ehe in Frankreich oder die Ausbreitung evangelikaler Fundamentalisten an Hochschulen, die jungen Leuten "Therapien" gegen Homosexualität anböten.

Der Leiter der Geschäftsstelle des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland, Klaus Jetz. (Foto: LSVD)
"Die Aufbruchstimmung ist weg", sagt Klaus Jetz.Bild: LSVD/Caro Kadatz

Vom deutschen Gesetzgeber fordern Jetz und Lüders unter anderem, dass in den Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes ein Verbot der Diskriminierung von Homo- und Bisexuellen sowie Transgendern aufgenommen wird. Laut dem LSVD soll die neue Version so lauten: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seiner sexuellen Identität, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden."