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Angst vor zuviel Eigenständigkeit

Andreas Noll7. April 2013

Am Sonntag entscheiden die Elsässer per Referendum über eine Verwaltungsreform ihrer Region. Das Ziel: effizientere Strukturen und mehr Einfluss in Paris und Europa.

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Wahlplakate in Schilitgheim bei Straßburg (Wahlkampf zum Elsass-Rat) Aufnahmedatum 26.04.2013, Andreas Noll (Autor)
Bild: DW/Andreas Noll

Gelöste Stimmung im Hörsaal 324 des Instituts für Politikwissenschaften der Universität Straßburg. Gut 100 Studenten haben sich an diesem Abend versammelt, um mit einem Befürworter und einer Gegnerin über den neuen Elsass-Rat zu diskutieren. Seit Wochen herrscht Wahlkampf in der ostfranzösischen Region. In den Innenstädten kleben Plakate, im Regionalfernsehen laufen Wahlwerbespots, und alle Haushalte wurden mit einem Info-Paket versorgt.

Der Elsass-Rat soll nach dem Willen seiner Befürworter politische Prozesse in der Region vereinfachen und die Verwaltung effizienter machen. Drei Parlamente und drei Präsidenten kümmern sich bislang um die Belange der fast zwei Millionen Elsässer: die beiden Vertretungen der Departements Ober- und Niederrhein sowie die Versammlung der Region Elsass. Nach dem Zusammenschluss soll es dann nur noch ein Parlament und eine Exekutive für die von der Fläche kleinste Region Frankreichs geben.

Blick auf Straßburg, im Hintergrund rechts das Münster.
Sitz des zukünftigen Elsass-Rats: StraßburgBild: dpa

Das Ziel: eine moderne Verwaltung

Jacques Fernique von den Grünen gehört zu den Anhängern des Projekts. Leidenschaftlich verteidigt er auf dem Podium in der Straßburger Uni das von den konservativen Präsidenten von Region und Departements angestoßene Reformvorhaben. Mit dem Elsass-Rat werde endlich das historisch gewachsene Kompetenzwirrwar zwischen Departement und Region beendet, glaubt der Abgeordnete und bringt ein Beispiel. So sind die noch aus der Zeit Napoleons stammenden Departements für soziale Belange zuständig, während die Region die berufliche Weiterbildung organisiert. Auch im Regionalverkehr verweist Fernique auf Doppelstrukturen: Zugverbindungen betreut die Region, Buslinien die beiden Departements. Im Wahlkampf zum Elsass-Rat ist daher viel von Einsparungen die Rede. Auch für die politische Klasse. Gut zehn Prozent weniger Abgeordnete sollen im fusionierten Parlament sitzen. Zudem erhofft sich Fernique von dem Zusammenschluss ein größeres politisches Gewicht – in Paris, aber auch bei den europäischen Partnern.

Symbolfoto Elsass
Wechselte mehrfach zwischen Deutschland und Frankreich: das ElsassBild: picture-alliance/World Picture

Ein Vorstellung, die die Sozialistin Pernelle Richardot für übertrieben hält. Sie wirbt vor den Studenten für ein Nein. Vor allem die politischen Kompromisse, die im Laufe der Verhandlungen gemacht wurden, bringen sie in Rage. So soll die neue Institution zwar in Straßburg ihren Sitz haben und die Abgeordneten auch in der Hauptstadt der Region tagen, aber als Ausgleich für das Süd-Elsass gehen Präsident und Exekutive nach Colmar.

Wahlplakate in Schilitgheim bei Straßburg (Foto: Noll)
"Ich will ein französisches Elsass - ich stimme Nein" - der Slogan des Front NationalBild: DW/Andreas Noll

Angst vor einem französischen Föderalismus

Es ist eine sehr kleinteilige Kritik an dem Projekt, die Richardot den Straßburger Studenten präsentiert. Deutlich aggressiver werben die Parteien der politischen Extreme für eine Ablehnung. Der rechtsradikale Front National war zwar zunächst für die Fusion, wirbt nach einem Machtwort der Pariser Zentrale nun aber für das Gegenteil. Als "Alptraum" bezeichnete FN-Chefin Marine Le Pen den Elsass-Rat. Die Fusion sei ein Anschlag auf die Einheit der Nation – unterstützt von der Europäischen Union, die keine Gelegenheit auslasse um die Nationen zu schwächen.

Doch nicht nur die FN-Chefin wettert gegen die Verwaltungsreform. Rechtsextreme Kräfte aus Südfrankreich, berichtet Kai Littmann, Chefredakteur des grenzübergreifenden Internetmagazins eurojournal.net, sollten im Elsass Kampagne machen, um die Bevölkerung davon zu überzeugen, sich nicht "in die Arme der bösen Deutschen zu flüchten". Irrationale Ängste entdeckt der Journalist immer wieder während des Wahlkampfes. Dabei sei die Idee eines von Frankreich losgelösten Elsass eine absurde Vorstellung, die heute allenfalls "eine Handvoll Idioten" verfolgten.

Auch der Straßburger Jura-Professor Robert Hertzog reibt verwundert die Augen, mit welchen Argumenten die Parteien über eine Verwaltungsmodernisierung streiten. Das gilt für die Kampagne der im Elsass starken extremen Rechte genauso wie auf der linken Seite des politischen Spektrums.

FN-Chefin Marine Le Pen bei einer Kundgebung zum 1. Mai (Foto: Reuters)
"Der Anfang vom Ende Frankreichs" - FN-Chefin Le PenBild: Reuters

"Nein zur Austerität", begründet die Linksfront ihre Ablehung zur Fusion. Dahinter steckt unter anderem die Angst, eine politisch mächtigere Region könne von Deutschland inspirierte Arbeitsmarktreformen einführen. "Mit der Verwaltungsreform hat das alles nichts zu tun", sagt Hertzog. Mit dem Elsass-Rat werde Frankreich nicht über Nacht zu einem Föderalstaat. "Wir haben keinen Gesetzgeber im Elsass, also können wir auch nicht unsere eigenen Gesetze machen." Über das Arbeitsrecht entscheide selbstverständlich Paris, stellt der Jurist fest. Das gilt im Übrigen auch für die Organisation der neuen Institution. Die Zahl der Abgeordneten, die Struktur und die genauen Kompetenzen des Elsass-Rats - über alles entscheidet am Ende das Parlament in Paris – falls die Elsässer denn am Sonntag zustimmen.

Plenarsaal der Nationalversammlung in Paris (Foto: dpa)
Entscheidet über die Details des Elsass-Rats: die Nationalversammlung in ParisBild: picture-alliance/dpa

Umfragen prognostizieren eine Zustimmung von 60 bis 70 Prozent

Scheitern könnte das Referendum vor allem an einer festgelegten Beteiligungshürde: Mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten müssen in jedem Departement zustimmen. Bei der erwarteten niedrigen Beteiligung könnte daher sogar eine Zustimmung von 60 bis 70 Prozent den Elsass-Rat scheitern lassen.

Im Straßburger Hörsaal sind am Ende der Diskussion zwar viele Fragen geklärt, aber die alten Fronten geblieben. "Ich werde am Sonntag mit Nein stimmen", sagt ein mit den Sozialisten sympathisierender Jura-Student. Die 20 Jahre alte Studentin Mathilde Karceles wirbt dagegen weiter für ein Ja: "Der 'Parisianismus' in Frankreich gefällt mir nicht. Es wäre besser, wenn die Regionen mehr Macht und Kraft bekommen", erklärt die in der Zentrumspartei aktive Jungpolitikerin. Wie viele andere Politiker sieht sie in der Reform ein Vorbild für alle 22 Regionen in Frankreich – die Zukunft gehöre schließlich einem "Europa der Regionen". In der Normandie und der Bretagne haben die Parteien mit der Debatte über eine vergleichbare Fusion bereits begonnen.