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Angsträume in Deutschland

31. Dezember 2010

Parkhäuser, dunkle Unterführungen, U-Bahn-Stationen. Viele Menschen empfinden an solchen öffentlichen Orten Angst. Sogar dann, wenn eigentlich gar keine Bedrohung vorliegt.

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Blick durch Unterführung zu einem Innenhof. Über der Unterführung steht geschrieben: Fuck Police (Foto: DW)
"Fuck Police" steht über dieser UnterführungBild: DW

Es ist spät am Abend, eine Laterne wirft aus der Ferne mattes Licht auf den Asphalt. Da weiter vorn, die dunkle Unterführung: der einzige Zugang zur S-Bahn-Station. "Wenn mich jetzt einer überfällt, bin ich ausgeliefert", denkt man sich. Solche öffentlichen Orte - an denen sich Menschen bedroht fühlen - nennt man auch Angsträume. Nicht immer geht tatsächlich eine Bedrohung von ihnen aus. Dass die Menschen dennoch Angst empfinden, das hat verschiedene Gründe.

Doris Lucke ist Soziologin am Institut für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. Sie sagt, Angst werde schon in unserer Erziehung beeinflusst. Insbesondere Mädchen würden stark dazu angehalten, noch vor Einbruch der Dunkelheit heimzukommen: "Gerade, indem man vor der Bedrohung schützen will, überträgt man doch: Du, sei vorsichtig, dort ist es gefährlich!"

Die Soziologin Doris Lucke als Portraitaufnahme in ihrem Bonner Büro (Foto: DW)
Soziologin Doris LuckeBild: DW

Aber auch die Medien würden unsere Angstwahrnehmung prägen, sagt Doris Lucke. Orte, an denen in Fernseh-Krimis Übergriffe oder gar Morde passieren, erzeugten dann auch im realen Leben eine gewisse Angst bei manchen Menschen. Die Soziologin warnt deshalb vor dem Phänomen des sogenannten Victimismus. Demnach wird eine Person unbewusst zum Opfer, weil sie die entsprechenden Signale aussendet: "Wenn ich über meine Körpersprache zu verstehen gebe, ich bin angreifbar und verletzlich, dann reagiert der Andere."

Damit ein Überfall keine sich selbst erfüllende Prophezeiung wird, rät Doris Lucke insbesondere Frauen dazu, in der Öffentlichkeit selbstbewusster aufzutreten; das immunisiere gegen Angriffe.

Bauliche Maßnahmen zur Verbesserung

Inzwischen versuchen viele Städte, bewusst gegen Angsträume vorzugehen. Doch eine einheitliche Strategie ist schwierig: Jeder Mensch nimmt die diffuse Bedrohung anders wahr, je nach eigenen Erfahrungen. Trotzdem können schon bauliche Veränderungen Angsträume verhindern helfen.

Brigitte Rubarth, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Bonn, ist zufrieden mit den Änderungen in ihrer Stadt: "Inzwischen haben wir überall Frauenparkplätze eingerichtet, die Beleuchtung wurde verbessert und in U-Bahnhöfen gibt es nur noch Aufzüge, in die man hineinschauen kann."

Der Zugang zum S-Bahnhof in Tannenbusch-Mitte (Foto: DW)
Auch ein Angstraum: der Zugang zum S-Bahnhof in Tannenbusch-Mitte in BonnBild: DW

Obwohl die Stadt Bonn möchte, dass sich ihre Bürger sicher fühlen, stößt sie an Grenzen. Denn viele Angsträume befinden sich auf oder in der Nähe von Privatgrundstücken. Ist etwa eine Einfahrt zu einem Grundstück nicht beleuchtet, so kann die Stadt den Besitzer nicht dazu zwingen, Lichter anzubringen. Der Fußgänger muss dann wohl oder übel auf dem Gehweg an der uneinsehbaren Stelle vorbeilaufen. Gerade aber bei Wohnungsbaugesellschaften, denen ganze Wohnanlagen gehören, versucht die Stadt, die Eigentümer zu beraten.

Michael Isselmann von der Bonner Stadtplanung weiß, wie er die Besitzer motivieren kann. So sei es auch im Interesse von Wohnungsbaugenossenschaften, dass sich die Bewohner in ihren Wohnanlagen wohlfühlten: "Das steigert doch die Attraktivität und den Wert einer Immobilie", sagt Isselmann.

Jugendkontaktbeamte zur Kriminalprävention

Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf erhalten für den Umbau mitunter staatliche Fördermittel. So wird der Bonner Bezirk Neu-Tannenbusch vom bundesweiten Projekt "Soziale Stadt" unterstützt. Denn viele der hier lebenden Menschen - ein Großteil sind Migranten - fühlen sich nicht mehr sicher. Unter den Bewohnern der lieblosen 60er-Jahre-Plattenbauten herrscht hohe Arbeitslosigkeit. Jugendliche haben kaum Berufsperspektiven, einige rutschen schon früh in die Kriminalität ab.

Die Jugendkontaktbeamten Michael Hartmann und Ralf Jehring im Einsatz (Foto: Polizei Bonn)
Jugendkontaktbeamte: Michael Hartmann und Ralf Jehring im EinsatzBild: Polizei Bonn

Um die Situation zu entspannen, setzte die Stadt vor etwa dreieinhalb Jahren auf ein neues Konzept. Seitdem ziehen täglich die beiden Jugendkontaktbeamten Michael Hartmann und Ralf Jehring durch das Viertel. Über der Dienstwaffe und der kugelsicheren Weste tragen sie unauffällige Jeans und einen Kapuzenpulli. "Die Jugendlichen hier respektieren uns, weil wir nicht ihrem Klischee der Streifenpolizisten entsprechen und alle im Viertel in eine Schublade stecken", sagt Michael Hartmann.

Durch die genauen Personenkenntnisse und den regelmäßigen Kontakt können die Jugendkontaktbeamten neben kleinen Delikten auch schwere Straftaten nachweisen. Ein Raubüberfall an 13 umliegenden Tankstellen wurde so aufgeklärt: Michael Hartmann und Ralf Jehring erkannten den Täter auf einer Überwachungskamera wieder.

Doch auch die Prävention spielt eine wichtige Rolle. Die Polizisten versuchen bei ihrer Arbeit, sogenannte Schwellentäter - oft sind das die jüngeren Geschwister - vor der Kriminalität zu bewahren. Dabei ist der enge Kontakt zu den Familien wesentlich. Und so spielen die Polizisten schon mal den Postboten und überbringen schriftliche Vorladungen für die Jugendlichen höchst persönlich. So können sie sicher sein, dass diese auch bei den Eltern ankommen.

Das Konzept der Jugendkontaktbeamten zeigt Erfolg. Denn es führt nicht nur dazu, dass Straftaten nachgewiesen werden. Es stärkt auch die soziale Kontrolle im Viertel. Und die ist neben baulichen Merkmalen nach wie vor eine Vorraussetzung dafür, dass Angsträume in deutschen Städten gar nicht erst entstehen können.

Autorin: Elisabeth Jahn
Redakteur: Kay-Alexander Scholz