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Anhaltender Protest gegen Übergangsregierung

24. Januar 2011

Wieder flogen Flaschen und Steine: In Tunesien ist es erneut zu Zusammenstößen zwischen Gegnern der Übergangsregierung und der Polizei gekommen. Derweil werden weitere Vertraute des Ex-Machthabers Ben Ali inhaftiert.

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Ein Demonstrant vor dem von Soldaten bewachten Amtssitz von Übergangspremier Ghannouchi (Foot: dpa)
Ein Demonstrant vor dem Amtssitz von Übergangspremier GhannouchiBild: picture alliance/dpa

Nach Korrespondentenberichten schleuderten Demonstranten in der Nacht zum Montag (24.01.2011) in Tubus vor dem Amtssitz von Regierungschef Mohamed Ghannouchi Steine und Flaschen auf die Polizei und versuchten Regierungsbeamte am Betreten des Gebäudes zu hindern. Die Polizisten setzten Tränengas ein, um die Menge auseinander zu treiben. Verletzte gab es offenbar nicht.

Die Demonstranten hatten die Nacht über vor dem Amtssitz Ghannouchis kampiert. Sie fordern den Rücktritt des Regierungschefs und aller anderen Minister der Übergangsregierung, die bereits unter dem gestürzten Präsidenten Zine el Abidine Ben Ali im Amt waren. Ghannouchi war elf Jahre lang Premier des diktatorisch herrschenden Ben Ali.

Aufgebrachter Demonstrant in Tunis (Foto: dpa)
Aufgebrachter Demonstrant in TunisBild: picture alliance/dpa

Demonstranten aus verarmten Regionen

Die rund 1000 Menschen waren am Sonntag aus den armen Regionen Zentraltunesiens in die Hauptstadt gekommen. Dort hatte der Volksaufstand begonnen, der am 14. Januar zum Sturz und zur Flucht Ben Alis ins Exil in Saudi-Arabien führte. Viele Demonstranten hielten Bilder von Mohammed Bouazizi in die Höhe, dessen Selbstverbrennung in der Ortschaft Sidi Bouzid im Dezember zum Fanal für den Beginn der "Jasmin-Revolution" wurde.

Lehrer streiken

Erstmals seit dem Sturz Ben Alis öffneten in Tunesien am Montag offiziell wieder die Schulen. In zahlreichen Einrichtungen fiel der Unterricht nach Berichten von Korrespondenten jedoch aus, weil Lehrer aus Protest gegen die Übergangsregierung in den Streik traten.

Die Übergangsregierung geht unterdessen weiter gegen frühere Verbündete Ben Alis vor. Nach einem Bericht der amtlichen Nachrichtenagentur TAP wurden der frühere Präsident des Senats, Abdallah Kallel, und der ehemalige Ben-Ali-Berater Abdelaziz Ben Dhia, unter Hausarrest gestellt.

Fernseh-Chef in Haft

Der Besitzer des Privatsenders Hannibal TV, Nasra (Foto: dpa)
Der Besitzer des Privatsenders Hannibal TV, NasraBild: picture-alliance/dpa

Festgenommen wurde auch der Besitzer des größten privaten Fernsehsenders in Tunesien, Hannibal TV. Larbi Nasra werde "Landesverrat und Verschwörung gegen die Sicherheit des Staates" vorgeworfen, meldete die Agentur TAP. Nasra habe versucht, über seinen Sender "die Revolution des Volkes zu hintergehen und Chaos zu säen", zitierte TAP einen nicht näher bezeichneten Offiziellen. Damit habe Nasra einer Rückkehr Ben Alis den Weg ebnen wollen. Hannibal TV wurde abgeschaltet. Bereits vergangene Woche waren 33 Mitglieder von Ben Alis Familienclan festgenommen worden.

"Chance für Demokratie"

Der außenpolitische Experte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Deutschland, Ruprecht Polenz, sieht im Umsturz in Tunesien eine Chance für eine Demokratisierung in den arabischen Ländern. Der in Düsseldorf erscheinenden Zeitung "Rheinische Post" (Montagsausgabe) sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Bundestags-Ausschusses: "Wir hatten uns ja daran gewöhnt, notgedrungen auf die autoritären arabischen Regime zu setzen, weil wir in ihnen Bollwerke gegen das islamistische Chaos sahen." Inzwischen glaube er aber, "dass es eher umgekehrt ist, dass die autoritären Regierungen wie eine Art Treibhaus für Islamismus wirken"., sagte Polzenz.

Die EU müsse einen Demokratieplan für autoritäre Regime entwickeln, forderte der Bundestagsabgeordnete. "Wir brauchen eine Strategie, die Freiheit und Rechtsstaatlichkeit fördert." In Tunesien könne etwas entstehen, "was Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wesentlich näher kommt als alles andere, was wir bisher in der arabischen Welt gesehen haben", sagte der CDU-Politiker. Weil aber Länder wie der Iran oder Saudi-Arabien Einfluss auf die Entwicklung in Tunesien nehmen wollten, sei Europa in besonderer Weise gefordert.

Autor: Michael Wehling (dpa/afp/dapd/epd)
Redaktion: Eleonore Uhlich