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Geigerin Anne-Sophie Mutter über Corona, Musik und Rassismus

Gero Schließ
20. Oktober 2020

Gerade hat Anne-Sophie Mutter den Opus Klassik erhalten. Im DW-Interview appelliert sie an die Politik, Musiker in Not während der Pandemie zu unterstützen.

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Geigerin Anne-Sophie Mutter hält den Opus Klassik 2020 in der Hand
Anne-Sophie Mutter - 2020 ausgezeichnet mit dem Opus Klassik als "Beste Instrumentalistin"Bild: Jens Kalaene/dpa/picture alliance

Die Stargeigerin Anne-Sophie Mutter ist weltberühmt. Anlässlich des Beethoven-Jubiläumsjahres war sie mit Violinsonaten des Komponisten auf Welttournee. Die musste sie wegen Corona abbrechen, auch weil sie selbst erkrankt war. Gerade wurde ihr in Berlin der Opus-Klassik für ihre Einspielungen von John Williams' Filmmusiken verliehen.

Der US-amerikanische Komponist, der unter anderem die Filmmusiken für Blockbuster wie "Der Weiße Hai", "Star Wars" oder "Harry Potter" geschrieben hat, hielt bei der Preisverleihung auch die Laudatio auf Anne-Sophie Mutter. In ihrer Dankesrede wies die Geigerin auf die prekäre Lage der Musiker in Corona-Zeiten hin und appellierte an die Politik, mehr Hilfe zu leisten. Gero Schließ sprach mit der Star-Geigerin über Corona, ihr kulturpolitisches Engagement und ihre Hinwendung zur Filmmusik.

Deutsche Welle: Seit 40 Jahren gehören Sie zu den Stars der internationalen Musikwelt. Sie sind vielfach geehrt und kennen das Musikbusiness durch und durch. Wie haben Sie den Absturz des Musiklebens durch den Corona-Ausbruch erlebt?

Anne-Sophie Mutter: Im Februar, als ich noch in Japan gastierte, war ich die letzte internationale Künstlerin, die das Land besuchte, da gab es Corona schon. Wir hatten schon gespielt vor einem Publikum, das völlig maskiert war. Die Disziplin der Zuhörer habe ich sehr bewundert. Aus der Pandemie werden wir nur einigermaßen gesundheitlich heil herauskommen durch extreme gegenseitige Rücksichtnahme.

Geigerin Anne-Sophie Mutter bei einem Open-Air-Konzert im September 2020 mit der Berliner Staatsoper und Chefdirigent Daniel Barenboim
Im Corona-Sommer trat Anne-Sophie Mutter mit der Berliner Staatsoper open air auf - es dirigierte Daniel BarenboimBild: Tobias Schwarz/dpa/picture alliance

Schon im März hat mich das Corona-Virus selbst erwischt. Ich war müde und meine Kinder meinten noch, Mama, du bist nie müde, du musst krank sein. Ich ging zum Arzt und zu meiner großen Überraschung musste ich dann zwei Wochen in Quarantäne. Und dann brachen so langsam die Konzerte weg. Daraus wurde eine lange Pause. Ich habe erst wieder im September begonnen zu konzertieren.

Die Kultur leidet wie keine andere Branche - die Kulturveranstalter dürfen ihre Säle nur halb- oder viertelvoll füllen. Haben Sie dafür Verständnis?

Es ist schmerzhaft, diese Ungleichbehandlung mit ansehen zu müssen und trotz Bitten und Flehen bei entsprechenden Schaltstellen kein Gehör zu finden. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, warum man in Bayern kürzlich am Nockherberg für 1.000 Personen Schweinebraten und Bier ausschenken konnte. Ich finde es großartig, wenn die Leute Spaß haben und trotzdem natürlich auf Abstand und auf Sicherheit bedacht sind.

Aber dann kommt ein Kabarettist auf die Bühne und bis auf 200 müssen alle den Saal verlassen. Das entbehrt jeglicher Logik. Ich finde diese ungleiche Behandlung eine Unverschämtheit. Aber es tut sich nichts, weil vielleicht auch das Bewusstsein noch nicht da ist, dass an einem Musiker ungeheuer viele andere Menschen und viele andere Arbeitsplätze hängen.

Es fängt mit dem Agenten an, mit dem Veranstalter geht es weiter - bis zur Dame an der Garderobe. Es sind unfassbar viele. Leider auch meistens Solo-Selbstständige, die direkt oder indirekt am Leben eines Musikers partizipieren. Das heißt, wir sind auch große Arbeitgeber. Und der wirtschaftliche Umsatz, den die Musikbranche erwirtschaftet hat, lag 2019 bei 13,6 Milliarden Euro, die man jetzt nicht einfach kleinreden kann.

Auf der anderen Seite schmückt man sich dann in China gerne mit guten Beethoven-Veranstaltungen und deutscher Musik, als Wegbereiterin diplomatischer Gespräche. Wenn wir die Kultur jetzt nicht pflegen, dann ist sie unwiederbringlich so stark dezimiert, dass von der Kulturlandschaft Deutschland nichts übrigbleibt.

Geigerin Anne-Sophie Mutter in grün schimmerndem Abendkleid mit Geige in der Hand, hinter ihr das Orchester, in München
Vor Corona: Anne-Sophie Mutter bei einem Konzert in München 2019Bild: Jens Niering/picture alliance

Sie haben gesagt, Sie wollen ein öffentliches Amt übernehmen. Ist das ernst gemeint?

Nein, ich habe nie gesagt, dass ich gerne ein Amt übernehmen wollte. Ich wurde gefragt, ob ich eins übernehmen würde. Und dann habe ich beherzt "ja" gesagt. Ich hoffe, dass die Staatsministerin für Kultur, Frau Grütters, das nicht als Kampfansage sieht - so ist es in keinster Weise gemeint. Wenn die Gelegenheit kommt und die Zeit reif ist, wäre es vielleicht sinnvoll, auch einen Insider in so eine Position zu hieven.

Ich stehe in engem Kontakt mit Frau Grütters und ich weiß um ihre Bemühungen und ich hoffe, dass wir noch nicht am Ende der Hilfsmaßnahmen sind. Wenn ich nach Bayern schaue und das richtig verstanden habe, dann ist die Bayerische Corona-Hilfe für Solo-Selbstständige Musiker ja nach drei Monaten und der Auszahlung von 3.000 Euro erschöpft. Was mache ich dann von März bis Ende des Jahres mit 3.000 Euro?

Sie gelten durchaus als einflussreich, Ihre Stimme wird gehört: Haben Sie schon mal daran gedacht, die Bundeskanzlerin anzurufen?

Frau Grütters ist dafür ja zuständig und ich denke, dass sie ihr Möglichstes tun wird, die Lage weiter zu verbessern. Darauf zähle ich. Und wenn dem nicht so ist, dann müssen wir auf die Straße gehen, dann verweigern wir uns.

Dass man während eines Lockdowns nur einen kleinen Personenkreis sehen kann, damit kann man sich abfinden, weil es für das Große und Ganze wichtig ist. Aber gibt es in dem Moment Trost? Das ist doch die Kunst, die Musik, mein Lieblingssong, ein schönes Buch oder tolle Filme.

Frau Grütters hatte ja anfänglich die Fehleinschätzung - das hat sie inzwischen korrigiert - dass es wunderbar sei, dass wir uns jetzt alle im Netz so frei bewegen und so viel posten würden. Herrlich, die Musik zu erleben. Ja, das mag herrlich sein, dass man ab und zu etwas postet, um in Kontakt mit der Außenwelt zu bleiben. Aber das ist natürlich kein Überleben. Höchstens für Künstler mit fünf Millionen Klicks und großen Werbepartnern, die bei YouTube einsteigen. Aber das ist ja im Fall der klassischen Musik nur ausnahmsweise der Fall. Also die virtuelle Welt, die hilft uns leider nicht.

Wie wird das Musikleben nach der Corona-Krise weitergehen? Weniger Konzerte, weniger Zuhörer, oder vielleicht auch weniger Geld?

Salzburger Festspiele 2020 - Siemens Festspielnächte: Menschen sitzen auf dem Kapitelplatz und blicken in Richtung Bühne
Die Siemens-Festspielnächte: Einige der Veranstaltungen der Salzburger Festspiele 2020 fanden auch draußen stattBild: picture-alliance/dpa/F. Neumayr

Ich fand es sehr mutig und wunderbar, was Salzburg geschaffen hat. Salzburg hat uns nämlich bei den Festspielen gezeigt, dass man im Schachbrettmuster sitzend und durch konsequentes, regelmäßiges Testen aller Personen in diesem Betrieb sehr wohl aufführen kann. Auch mit einer Personenzahl im Publikum, die weit über die 200 geht. So kann der Veranstalter wenigstens einigermaßen seine Kosten decken.

Ich denke, wir werden ein Publikum haben, das noch viel intensiver Musik empfindet und braucht. Das fiel mir in den wenigen Konzerten auf, die ich in diesem Herbst gespielt habe. Man weiß dann wirklich, dass der Zuhörer ganz speziell für diesen Abend, für dieses Programm gekommen ist. Da bekommen wir vom Publikum das Signal: Jawohl, ihr seid Teil unseres Lebens.

Darf ich Sie persönlich fragen: würden Sie weniger Gage akzeptieren?

Das machen wir Musiker ja permanent. Besonders in der Corona-Zeit spielen wir ja zwei Konzerte am Abend, was rechnerisch bedeutet, dass sich unsere Gage um 50 Prozent verringert. Darüber hinaus sind die Gagen natürlich enorm eingebrochen, einfach weil der Veranstalter auch die Einkünfte nicht mehr hat. Und natürlich arbeiten wir zusammen und wollen einander helfen.

Ich habe es immer als extrem wichtig erachtet, dass man sich als Künstler außerhalb seines Berufes sinnvoll in die Gemeinschaft und in die Gesellschaft einbringt. Und deshalb sind für mich Benefizkonzerte enorm wichtig. Deshalb ist mir meine Stiftung zur Förderung begabter Musiker sehr wichtig, in die alle meine Preisgelder fließen.

Geigerin Anne-Sophie Mutter im Oktober 2020 bei der Preisverleihung des Opus Klassik in Berlin vor einer Wand mit den Logos von Werbepartnern
Anne-Sophie Mutter im Oktober 2020 bei der Preisverleihung des Opus Klassik in Berlin Bild: Jens Kalaene/dpa/picture alliance

Sie sind in Berlin zuletzt mit dem Opus Klassik ausgezeichnet worden, einer von zahllosen Preisen, die Sie bekommen haben - darunter auch vier Mal der Grammy Award. Berührt Sie das noch, können Sie sich noch freuen?

Beim Opus Klassik hat ja völlig zu meiner Überraschung John Williams die Laudatio gehalten. Das wurde per Videobotschaft gesandt. Er sagte so ungefähr, mit mir zu musizieren sei einer der schönsten Momente in seinem Leben gewesen.

Das bedeutet natürlich wahnsinnig viel für mich, wenn ein großer Musiker, zumal noch einer der größten Komponisten unserer Zeit, mich künstlerisch und vielleicht auch menschlich schätzt. So ein Preis ist immer etwas Wunderbares, weil er für einen Moment die Musik ins Zentrum rückt vor Millionen Fernsehzuschauern. Man hofft, dass auch die Politiker genauer hinhören, damit sie wissen, dass an den Musikern auch viele andere Berufe und Existenzen hängen.

Es ist in den letzten Jahren überall in der Kultur von Diversität und auch von Rassismus die Rede. Wie nehmen Sie diese Veränderungen wahr?

Seit 1920 bis zur heutigen Zeit gibt eine Handvoll Dirigentinnen. Das ist eine Jahrhundert-Arbeit. Es geht voran, aber ich möchte nicht verhehlen, dass es darüber hinaus auch in der Klassikbranche Rassismus gibt, und darüber müssen wir sprechen. Da muss eingegriffen werden, wenn man Zeuge ist und wird.

Können Sie Beispiele nennen?

Ich möchte da nicht ins Detail gehen, aber ich habe mich immer für Musiker eingesetzt. Für mich spielt es natürlich überhaupt keine Rolle, was der kulturelle oder religiöse Hintergrund eines Menschen generell ist, sondern im Fall eines Musikers kommt es auf die Begabung, auf die Persönlichkeit an. Und ich bin sehr froh, dass ich in meiner Stiftung in der Lage bin, die Musiker zu fördern, die große Talente besitzen.

Es gibt aber zum Beispiel den Fall, dass Agenturen der Meinung sind, wenn sie einen - sagen wir einen Trompeter aus Korea - haben, dann genügt das. Als ob man ein Sammelsurium von Murmeln hat und man sagt, man hat gestreifte Murmeln und dann brauchen wir noch mehr getupfte Murmeln und dann fehlt uns noch eine grüne Murmel. So geht es natürlich nicht.

Geigerin Anne-Sophie Mutter mit Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, bei der Bekanntgabe der Praemium Imperiale Preisträger in Deutschland
Anne-Sophie Mutter war 2019 Preisträgerin des Praemium Imperiale, einem seit 1989 vergebenem japanischen KulturpreisBild: Jörg Carstensen/dpa/picture alliance

Wir hören zurzeit von Anne-Sophie Mutter auch neue Töne: Die Filmmusik von John Williams. Geht es dabei um das Interesse an neuem Repertoire oder schlicht darum, neue Publikums- und Käuferschichten zu erschließen?

Ich habe schon im Jahr 1986 zeitgenössische Musik gespielt. Große Komponisten haben Werke für mich geschrieben. Für mich ist John Williams ein weiterer großartiger zeitgenössischer Komponist, der Filmmusik schreibt. Filmmusik ist nichts anderes als zeitgenössische Musik, zumal ich Hardcore Star-Wars-Fan bin und ich meine, dass das auch ganz stark mit dieser leitmotivischen Musik zusammenhängt.

John Williams besitzt die Fähigkeit - wie alle großen Komponisten - in einer Art und Weise zu schreiben, die vorgaukelt, zugänglich und leicht verständlich zu sein. Wenn man sich aber mal etwas tiefer mit der Materie beschäftigt, sieht man das Raffinement der Harmonie. Man sieht die ungeheure Kenntnis der Instrumente und der Orchester.

Es gibt ein Video von Ihnen mit Schuberts Forellenquintett. Der Titel lautet: Klassik macht glücklich. Stimmt das? Geht das so einfach?

Ich weiß nicht, von wem die Überschrift ist, aber ich würde es jederzeit unterschreiben. Es gibt natürlich noch andere Dinge, die einen glücklich machen, aber Musik ist schon ein riesen Geschenk. Dazu gehört auch das gemeinsame Erleben. Dieses 'zusammen etwas erleben' oder 'zusammen etwas schaffen', das ist das, was Musik zu einem wunderbaren Kommunikationsmittel oder Hobby macht.

Was macht den Menschen Anne-Sophie Mutter sonst noch glücklich?

Meine Kinder natürlich. Wenn meine Kinder im Saal sind, dann ist einfach alles da, was ganz nah zu mir gehört. Aber ich freue mich auch schon, wenn die Sonne scheint. Oder wenn ich ein schönes, buntes Blatt sehe. Ich glaube, Musiker neigen dazu, das Leben extrem intensiv zu erleben. Das ist schön in den glückhaften Momenten. Aber in den tragischen Momenten sehr anstrengend.