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Syrisch-türkische Grenzkonflikte

4. Juli 2011

Tausende Syrer sind in die Türkei geflüchtet, um der Gewalt in ihrem Land zu entkommen. Während die türkische Bevölkerung Anteil nimmt am Schicksal der Geflohenen, belasten diese zunehmend die politischen Beziehungen.

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Syrische Flüchtlinge in der Türkei (Foto: Andy Spyra)
Schwierige Lage: Syrische Flüchtlinge in der TürkeiBild: Andy Spyra

Eigentlich ist Mohamed Anwalt. Doch als die syrische Armee seine Heimatstadt Bdama stürmt, muss der 32-jährige Syrier mit seiner Frau und den vier Kindern fliehen: Die Truppen hätten wahllos auf Menschen und Wohnhäuser geschossen, erzählt er.

"Im Moment können wir auf keinen Fall dorthin zurückkehren", sagt Mohamed im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Wir haben zu viel Angst, um nach Bdama zurück zu gehen. Dort zu sein bedeutet, dem Tod jeden Tag ins Gesicht zu schauen." Seinen Nachnamen will er nicht nennen - zu groß ist die Sorge, welche Folgen das einmal haben könnte.

Seine Frau und seine Kinder sind in einem türkischen Notlager unweit der syrischen Grenze untergebracht. Viele seiner Verwandten leben noch immer in Syrien, auf der anderen Seite der Grenze. Regelmäßig nimmt Mohamed den gefährlichen Weg durch die Wälder auf sich, geht für wenige Stunden zurück nach Syrien, um ihnen bei der Flucht zu helfen. Weiter ins Land hinein traut er sich nicht.

Der Blick über die Grenze

Häuser in Guvecci (Foto: Andy Spyra)
Zuhause auf Zeit: Flüchtlingsunterkünfte im türkischen GuvecciBild: Andy Spyra

Doch auch schon die Flucht ist ein gefährliches Unterfangen. Bewohner von Guvecci, eine türkische Stadt im hügeligen Grenzgebiet - Syrien in Sichtweite - berichten von einem Vater und seinem Sohn, die erschossen wurden, als sie aus einem kleinen Zeltlager nahe der Grenze fliehen wollten.

"Die syrischen Truppen haben keinen Respekt vor einem Menschenleben", sagt Abdul, ein Einwohner von Guvecci. Auch er möchte seinen richtigen Namen nicht nennen. Weder türkische, noch syrische Behörden können Vorfälle wie diesen bestätigen. Ausländische Journalisten dürfen seit Wochen nicht nach Syrien einreisen.

In der türkischen Provinz Hatay nehmen die Bewohner Anteil am Schicksal der Flüchtlinge. Yusuf arbeitet als Busfahrer in der Provinzhauptstadt Antakya. Er weiß zwar nicht, wie viele Menschen in den Notlagern leben und kennt auch keinen der Flüchtlinge persönlich - aber er fühlt sich verpflichtet, zu helfen. "Wir Türken können ihr schweres Schicksal nachempfinden. Wir begrüßen sie in unserem Land mit offenen Armen", sagt er.

Nicht jeder kommt rein

Und je weiter die syrischen Panzer und Truppen in die kleinen Städte und Dörfer im Grenzgebiet vorrücken, desto größer wird der Flüchtlingsansturm auf die Türkei. Derzeit leben mehr als 10.000 Syrer in den fünf Notlagern, die vom Türkischen Roten Halbmond - der Schwesterorganisation des Roten Kreuzes - eingerichtet worden sind. Ein sechstes Lager soll gebaut werden: Platz für weitere 15.000 Menschen.

"Hier wohnen jetzt schon so viele Leute wie in einer kleinen Stadt", sagt ein Sprecher des Türkischen Roten Halbmonds im Flüchtlingslager Bonyuyogun. Mehr als 3.000 Flüchtlinge leben in rund 600 Zelten. Es gibt medizinische Versorgung, aber auch Nähkurse und Filmnächte. Ein Team aus mehreren Arbeitern richtet gerade verbesserte Sanitäranlagen ein und errichtet ein neues Gemeinschaftszelt.

Zeltstadt im türkisch-syrischen Grenzgebiet (Foto: AP)
Über zehntausend syrische Flüchtlinge leben bereits in den türkischen ZeltstädtenBild: AP

Trotzdem bleibt der Türkische Halbmond vorsichtig in seiner Wortwahl: Die Flüchtlinge werden als "Gäste" bezeichnet, die Zeltstädte als "vorübergehende Zufluchtszentren". Der Zugang zum Lager ist streng kontrolliert. Journalisten und Funktionäre dürfen nicht hinein - und auch nicht mit den Syrern dort sprechen.

Das diene der Sicherheit und der Privatsphäre der Flüchtlinge, begründet die Organisation ihr Vorgehen. Experten vermuten allerdings, dass der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan befürchtet, andernfalls könnten die Beziehungen zur Regierung in Damaskus noch weiter belastet werden.

Vorsichtiges Taktieren der Türken

"Die Sorgen in der Türkei sind groß, dass eine neue Flüchtlingswelle in die Türkei strömt", sagt Andrew J. Tabler, Experte für den arabischen Raum beim "Washington Institute for Near East Policy". "Das Vorgehen stellt nämlich die gesamte türkische Politik des 'Wir haben keine Probleme mit unseren Nachbarstaaten' in Frage."

Im Juni hatten türkische Vertreter verkündet, dass sie davon ausgehen, dass die Flüchtlinge auch auf der syrischen Seite der Grenze sicher sind - und dass die Truppen von Präsident Assad sich der Grenze wohl nicht weiter nähern werden.

"Die Situation in Syrien wirkt sich außerdem direkt auf die türkischen Interessen aus", sagt Bruce W. Jentleson, Professor für Politikwissenschaften an der Duke Universität und ehemaliger Berater in der Regierung von US-Präsident Obama. "Ich denke, es ist nicht im Interesse der beiden Länder, eine militärische Konfrontation zu provozieren. Aber es ist doch so, dass syrisch-türkische Diplomatie dringlich und angebracht ist, um jeden möglichen Konflikt auszuräumen."

Syrische Flüchtlinge in der Türkei (Foto: Andy Spyra)
Warten und hoffen auf ein demokratisches Syrien: Flüchtlinge in der TürkeiBild: Andy Spyra

Kein Zurück, vorerst

Viele der Flüchtlinge, die bereits in der Türkei angekommen sind, wollen erst wieder nach Syrien zurückkehren, wenn Präsident Assad zurückgetreten ist. "Es ist uns egal, ob der neue Präsident Muslim oder Christ ist, schwarz oder weiß. Das ist egal - solange er nur ein demokratischer Führer ist", sagt Mohamed, der Anwalt. "Ich bin stolz darauf, Araber zu sein und Syrer zu sein - aber ich schäme mich für meine Regierung."

Autorin: Sumi Somaskanda in Guvecci, Türkei /gri
Redaktion: Rob Mudge /tko