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Apps gegen den Krieg?

Richard Fuchs, Berlin10. Juni 2016

Traditionelle Politikrezepte scheinen zu versagen. Das zeigt nicht zuletzt auch der Bürgerkrieg in Syrien. Deshalb wurden in Berlin jetzt diplomatische Alternativen gesucht - und das an einem dafür ungewöhnlichen Ort.

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Global Diplomacy Lab Capoeira4Refugees (Foto: Capoeira4Refugees.org)
Capoeira tanzen verbindet und hilft in Flüchtlingscamps, Kindern eine neue Welt zu zeigenBild: Capoeira4Refugees.org

Im Kreuzberger Betahaus, wo ansonsten Designer, Start-Up-Unternehmer und Lebenskünstler über die Idee ihres Lebens grübeln, zwischen Tischkicker, Sofa und Kaffeetheke werden jetzt Weltprobleme gewälzt. Das soll dem verstaubten Diplomatendenken Beine machen - oder wie der kanadische Diplomat Diego sagt: "Hier muss jeder mal aus seiner Komfortzone raus".

Alle in diesem Raum sind sich einig, dass die internationale Politik im syrischen Bürgerkrieg versagt hat. Die Mitglieder im UN-Sicherheitsrat blockieren sich gegenseitig. Um den Menschen in Syrien zu helfen, braucht es alternative Lösungsansätze. Um die zu finden, haben sich knapp 50 junge Diplomaten, Sozialunternehmer, IT-Cracks und Wissenschaftler in Berlin zum vierten Mal zum "Global Diplomacy Lab" versammelt.

Global Diplomacy Lab Capoeira4Refugees (Foto: Capoeira4Refugees.org)
Tarek Alsaleh und Malin Schulz beim "Diplohack" im Kreuzberger BetahausBild: DW/Richard Fuchs

"Diplohack" für die besten Ideen

Die Idee des "Diplohacks" ist simpel: Die beste Idee gewinnt. Acht Tische mit jeweils zehn Teilnehmern stehen in dem Coworking-Space in einem alten Fabrikgelände. Jede Gruppe stellt dem Publikum für zwei Minuten ihre Idee vor. Dann wird abgestimmt. So weit so gut. Jetzt wird es kreativ.

Malin aus Deutschland schlägt vor, eine App zu entwickeln, mit der die syrische Bevölkerung aus den besetzten Gebieten Kontakt zur Außenwelt aufnehmen kann. Tarek, halb Syrer, halb Deutscher, wirft ein: Das erste, was in Syrien fehle, sei der Strom, das nächste die persönliche Würde. Die meisten nutzen ohnehin Facebook zur Kommunikation, so lange sie noch Strom hätten. Würden sie auf eine neue App umsteigen?

Neue Runde: Was könnte tatsächlich helfen? Es entsteht die Idee, die Verpackungsmaterialien der Hilfsgüter für die besetzten Gebiete mit Botschaften zu versehen. Das könnte ein Weg sein, Würde zurück ins Notstandsgebiet zu bringen. Einer aus der Runde wirft ein: Derzeit sei es oft so, dass schon zwei Kilometer in die eine oder andere Richtung über den Zugang zu Hilfslieferungen entscheiden. Würden die Botschaften die Richtigen erreichen?

Global Diplomacy Lab Capoeira4Refugees (Foto: Capoeira4Refugees.org)
Vertrauen: Beim Caipoera tanzen entsteht esBild: Capoeira4Refugees.org

Gute Ideen haben es hier schwer, aber die Teilnehmer geben sich nicht geschlagen. Alfredo Zamudio, gebürtiger Chilene und Direktor eines norwegischen Friedensforschungs-Instituts, heizt den Teilnehmern ein: "Wir müssen ungeduldig sein, denn da draußen warten Millionen auf den Schutz und die Hilfe der internationalen Gemeinschaft."

Mit Tanzschritten gegen den Krieg

Eine Idee, die an diesem Tag sicherlich viele Runden übersprungen hätte, hat Tarek Alsaleh bereits umgesetzt. Zum "Diplohack" ist der Deutsch-Syrer deshalb als Inspirationsquelle gekommen. Der sportbegeisterte Absolvent der Kölner Sporthochschule brachte Flüchtlingskindern den brasilianischen Bewegungstanz Capoeira bei. 2006 gestartet, breitete sich das Projekt "Capoeira4refugees" von Syrien, nach Palästina und Jordanien aus. Tarek ist stolz und traurig gleichermaßen, dass er mit 40 ehrenamtlichen Tanzlehrern inzwischen mehr als 50.000 Kinder erreichen konnte. "Das ist viel, aber gleichzeitig auch wenig, wenn man an die 30 Millionen Flüchtlingskinder weltweit denkt." Gut ist da, dass die Trainer vor Ort inzwischen selbst neue Trainer ausbilden - und die Idee so weiterwächst.

Wo Tarek Kinder fürs Capoeira-Tanzen begeistern konnte, haben der Sport, die Musik und die gemeinsamen Erlebnisse Gräben überwunden und den Kindern unbeschwerte Momente in einer lebensfeindlichen Welt geschenkt. Das verbindet.

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Wie an dem Tag, an dem Tarek in einem Vorort von Damaskus irakische und syrische Flüchtlingskinder dazu brachte, gemeinsam zu tanzen. "Die Lehrer sagten mir anfangs, die werden nie miteinander spielen, weil ihre Eltern ihnen den gegenseitigen Hass anerzogen haben." Zu Beginn flogen sogar noch Steine zwischen den Gruppen.

Nach vier Wochen gemeinsamen Trainings erreichte Tarek den magischen Punkt: "Die syrischen und die irakischen Kinder tanzten plötzlich gemeinsam Capoeira, ohne dass die Stunde schon begonnen hätte." Sein Fazit: "Ist es eigentlich wirklich so überraschend, dass Musik, Sport und das gemeinsame Spielen die Leute zusammenbringt? Es ist das Natürlichste der Welt, aber es wurde uns abtrainiert - und genau dagegen müssen wir vorgehen."

Ob auch die beim vierten "Global Diplomacy Lab" entwickelten Ideen so weite Kreise ziehen, wird sich zeigen. Spätestens im nächsten Jahr ist die Zeit, darüber Bilanz zu ziehen.