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"Ich definiere mich nicht über meine Religion"

Başak Özay12. Mai 2016

Zum ersten Mal steht eine Frau mit Migrationshintergrund einem deutschen Landtag vor. Die DW sprach mit der baden-württembergischen Grünen Muhterem Aras über ihre Integrationsgeschichte und den jüngsten Karriereschritt.

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Muhterem Aras mit Landtagspräsidenten-Glocke - Foto: picture-alliance/dpa/C.Schmidt
Bild: picture-alliance/dpa/C.Schmidt

DW: Frau Aras, Sie sind in Baden-Württemberg zur Landtagspräsidentin gewählt worden. Wie fühlen Sie sich jetzt nach der Wahl?

Muhterem Aras: Ich bin sehr glücklich und froh, dass ich dieses hohe Staatsamt ausführen darf. Das erfüllt mich mit großer Dankbarkeit. Das ist auch Deutschland - und nicht in vielen Ländern möglich, auch das muss man sagen.

DW: Sie haben nach der Wahl gesagt: "Wir haben heute Geschichte geschrieben". Warum ist das so selten in Deutschland, dass eine Frau mit Migrationshintergrund ein politisches Spitzenamt innehat?

Muhterem Aras: Wir haben sogar gleich zwei Mal Geschichte geschrieben: Zum einen bin ich die erste Frau in Baden-Württemberg in diesem Amt. Zum zweiten bin ich auch noch die erste Landtagspräsidentin mit Migrationshintergrund. Es ist leider immer noch so, dass der Frauenanteil beispielsweise im Landtag von Baden-Württemberg nicht sehr hoch ist. Bei den Grünen liegt der Anteil dieses Mal deutlich höher, aber in unserer Partei haben wir insgesamt knapp 25 Prozent Frauen. Ich bin jetzt die erste Frau, die dieses Spitzenamt bekleidet.

Muhterem Aras gratuliert dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann - Foto: Reuters/R. Orlowski
Blumen für den Ministerpräsidenten: Muhterem Aras gratuliert Winfried KretschmannBild: Reuters/R. Orlowski

Sie gelten als gelungenes Beispiel für die Integration. Was muss Ihrer Meinung nach geschehen, damit die Integration besser gelingt?

Ich glaube, entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration ist, dass beide Seiten offen und ohne Vorurteile aufeinander zugehen. Dass Eingewanderte neugierig sind auf das Neue, dass sie auch bereit sind sich einzubringen, dass sie Verantwortung übernehmen. Und natürlich muss auf der anderen Seite auch die Mehrheitsgesellschaft für die Zugewanderten Möglichkeiten schaffen. Wenn beide Seiten offen und vorurteilsfrei aufeinander zugehen, dann sehe ich überhaupt keine Probleme. Ich komme aus ganz einfachen Verhältnissen, aus einem kleinen anatolischen Dorf. Bei mir hätte man damals nicht die Prognose gewagt, dass ich einmal Landtagspräsidentin von Baden-Württemberg werde. Aber daran sieht man: Wenn man diese Möglichkeiten bekommt und wenn sich Menschen engagieren, dann ist sehr viel möglich. Ich bin diesem Landtag und den Baden-Württembergern sehr dankbar. Das zeigt, wie weltoffen dieses Bundesland ist. Es zeigt auch, dass wir angekommen sind, dass die Gesellschaft nicht gespalten ist, sondern dass der Zusammenhalt der Gesellschaft wichtig ist. Das ist auch ein Zeichen in diese Richtung.

In der deutschen Presse wird gelegentlich betont, dass sie die erste Muslimin in dieser Position sind. Wie empfinden Sie es, wenn ihre religiöse Identität in den Vordergrund gerückt wird?

Muhterem Aras: Das finde ich ehrlich gesagt sehr schade. Denn Religion ist eine private Angelegenheit. Ich definiere mich nicht über meine Religion. Neben den Fähigkeiten und Kompetenzen, die ich mitbringe, finde ich sehr viel wichtiger, dass zum ersten Mal eine Frau und zum zweiten auch jemand mit Migrationshintergrund in dieses Amt kommt. Alles andere hat hier eigentlich nichts zu suchen. Religion ist absolut nebensächlich.

Jörg Meuthen spricht auf dem AfD-Bundesparteitag in Stuttgart - Foto: picture-alliance/dpa/M. Murat
Ende April beschloss der AfD-Parteitag in Stuttgart: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" - nun war nur Fraktionschef Jörg Meuthen bereit, Muhterem Aras zu gratulierenBild: picture-alliance/dpa/M. Murat

Aus AfD-Kreisen verlautete: Dass Sie zur Landtagspräsidentin gewählt worden sind, sei ein Zeichen der Islamisierung in Deutschland. Wie bewerten Sie eine derartige Kritik?

Ich kenne diese Kritik nicht, und ich mache ungern Ferndiagnosen. Grundsätzlich ist meine Wahl zur Landtagspräsidentin ein Signal, das weit über die Grenzen Baden-Württembergs hinausgeht in die ganze Republik: dass wir ein Teil dieser Gesellschaft sind und dass man, wenn man sich mit den Grundwerten dieser Gesellschaft identifiziert und Verantwortung übernimmt, sehr wohl weiterkommen kann. Und das ist auch ein Zeichen dafür, dass wir angekommen und tatsächlich ein Teil dieser Gesellschaft sind. Ich habe mich zwar seit vielen Jahren schon als Teil dieser Gesellschaft gesehen, aber es ist nochmal etwas Anderes, wenn man in so ein hohes Staatsamt gewählt wird. Insofern ist es ein gutes Zeichen, das letzte i-Tüpfelchen, das belegt: Ja, wir sind eine sehr vielfältige, gute Gesellschaft, die zusammenhält und weltoffen ist.

Die AfD ist drittstärkste Partei im baden-württembergischen Landtag. Ihre Partei, die Grünen, stehen an der Spitze der Regierung. Wie werden Sie im Parlament mit AfD umgehen?

Ich bin Landtagspräsidentin, das heißt, ich vertrete das ganze Parlament, also auch die AfD. Ich werde mit allen Abgeordneten sehr korrekt, fair und respektvoll umgehen. Auf der anderen Seite erwarte ich von allen Abgeordneten, dass sich an die Gepflogenheiten des parlamentarischen Ablaufs halten. Davon gehe ich auch bei der AfD aus. Insofern habe ich keine Angst, dass da Turbulenzen entstehen.

Muhterem Aras ist seit 1992 Mitglied der Grünen. Von 1999 bis 2011 saß sie für die Partei im Stuttgarter Gemeinderat, ab 2007 als Fraktionsvorsitzende. Seit 2011 ist sie Mitglied des baden-württembergischen Landtags. Das Interview führte Başak Özay.