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Arbeitermangel in der Fabrik der Welt

2. April 2010

In China brummt die Wirtschaft wieder. Doch neue dunkle Wolken sind aufgezogen. In den Industriezentren fehlt es an Arbeitskräften. Die Wanderarbeiter kommen weniger zahlreich, dafür aber mit gestiegenen Ansprüchen.

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Wanderarbeiter auf einer Baustelle in Peking (Foto: AP)
Wanderarbeiter in PekingBild: AP

Acht Uhr morgens auf der Baoan-Straße im südchinesischen Shenzhen. In normalen Zeiten wäre hier jetzt die Hölle los. Junge, frisch angekommene Wanderarbeiter würden vor Jobanzeigen Schlange stehen. Doch an diesem Morgen lesen nur ein paar Versprengte die Anzeigen auf den großen Tafeln. Auf der Baoan-Straße, wo Shenzhens Arbeitsagenturen sitzen, ist es ruhig geworden.

Wanderarbeiter vor der Arbeitsvermittlungsstelle in Chengdu (Foto: AP)
Schlagen wie diese sind heute an der Arbeitsvermittlungsstelle in Chengdu in der Provinz Sichuan FehlanzeigeBild: AP

Lässig schreitet Ye Lusheng die Jobaushänge ab, die Hände in den Hosentaschen. Er ist 22 Jahre alt und gestern in Shenzhen angekommen. Er stammt aus der Binnenprovinz Hunan. Vor einer Anzeige bleibt er kurz stehen. Eine Firma, die Elektronikkomponenten herstellt, sucht Fließbandarbeiter: zwei Wochen Probezeit, Verdienst knapp 200 Euro im Monat. Ye Lusheng schüttelt den Kopf. "Ich möchte mindestens 220 Euro im Monat inklusive Verpflegung und Unterkunft", sagt er selbstbewusst. "Und wenn möglich, möchte ich auch gar nicht in einer Fabrik arbeiten. Das mache ich nur im Notfall. Ich würde gern als Fitnesstrainer oder im Hotelmanagement arbeiten."

Wirtschaftsboom in den Binnenprovinzen

Wanderarbeiter beim Essen auf der Baustelle in Peking (Foto: AP)
Essen auf der Baustelle in PekingBild: AP

Fabrikarbeit ist out. Chinas Industriezentren im Osten und Süden suchen händeringend nach Arbeitskräften. Allein im Perlflussdelta, wo Shenzhen liegt, fehlen fast eine Million Fabrikarbeiter. Der Personalmangel hat mehrere Ursachen. Zum einen müssen viele junge Leute nicht mehr in die Industriestädte an der Küste ziehen, um Geld zu verdienen. "Die meisten Wanderarbeiter kommen aus den chinesischen Binnenprovinzen", erklärt Geoffrey Crothall von der Arbeiter-Hilfsorganisation China Labour Bulletin in Hongkong. "Diese Regionen erleben aber gerade selbst einen Wirtschaftsboom. Unternehmen entstehen, Fabriken ziehen dorthin, Jobs werden geschaffen. Die Arbeiter können dort bleiben bei ihren Familien und brauchen sich keine Sorgen um ihre Kinder und Eltern zu machen."

Viele junge Menschen bleiben nun in der Heimat. Doch nicht nur der Boom im Landesinneren ist Schuld an dem Arbeitermangel an der Küste. Chinas Arbeitnehmer sind auch anspruchsvoller geworden. Die zweite und dritte Generation der Wanderarbeiter will, wie Ye Lusheng aus Hunan, oftmals nicht mehr für einen Hungerlohn am Fließband malochen. Ihre Eltern haben in ihre Schulbildung investiert und hart dafür gearbeitet, dass sie es einmal besser haben. "Es gibt viele Jobs", klagt der 23-jährige Zhao Yong aus Sichuan. "Aber es gibt nicht genug Jobs, die zu einem passen. Die Firmen suchen Leute, die einfach sofort arbeiten. Aber sie wollen einem nichts beibringen. Aber ich will einen Job, bei dem ich etwas lernen und mich verbessern kann."

Das Ende der Billigproduktion?

Ein Wanderarbeiter liegend im Warteraum am Pekinger Bahnhof
Ein Wanderarbeiter macht es sich bequem auf im Warteraum am Pekinger BahnhofBild: Xiao Xu

Der Arbeitskräftemangel ist gefährlich für Chinas Wirtschaft. Viele Fabriken arbeiten derzeit nur mit der Hälfte oder Dreiviertel der erforderlichen Belegschaft. Die Kunden bekommen das zu spüren. Zum Beispiel Hans Joachim Isler mit seinem gleichnamigen Unternehmen mit Sitz in Hongkong. Isler lässt in China Oberbekleidung für den europäischen Markt herstellen. Die Firma arbeitet mit 20 Fabriken zusammen. Diese können jetzt teilweise nicht mehr rechtzeitig liefern. "Wir versuchen, feuerwehrmäßig diesen Brand zu löschen, indem wir andere Betriebe mit freien Kapazitäten suchen", sagt Isler. „Aber natürlich gibt es langfristig größere Befürchtungen, dass dieses Problem noch schlimmer wird." Isler plant, wegen der Engpässe Teile der Produktion nach Vietnam zu verlegen, wo noch genügend Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.

China soll nach dem Willen Pekings kein Billiglohnland mehr sein, sondern ein Ort für höherwertige Produktion und High-Tech. Die Jobsuchenden in Shenzhen sind dafür schon gerüstet. Und die Wirtschaft wird nachziehen.

Autor: Markus Rimmele
Redaktion: Esther Broders