1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Anschlag ohne Aufklärung

Victoria Dannemann
18. Juli 2019

Auch 25 Jahre nach dem größten Bombenanschlag in der Geschichte des Landes warten die Opfer vergeblich auf eine Aufklärung. Das jüdische Gemeindezentrum Amia wurde damals vollständig zerstört. 85 Menschen starben.

https://p.dw.com/p/3MGNA
Argentinien Buenos Aires Bombenanschlag auf AMIA Gebäude 1994
Wandgemälde zur Erinnerung an die Opfer des Terroranschlags von 1994Bild: Prensa AMIA

Es war 9.53 Uhr morgens am 18. Juli 1994, als ein Donnern das Stadtviertel Once in Buenos Aires erschütterte. Eine heftige Explosion brachte das sieben Stockwerke hohe Gebäude des argentinisch-israelischen Gemeinschaftszentrums Amia zum Einsturz und beschädigte mehrere angrenzende Gebäude. Nach offiziellen Angaben wurden 85 Menschen getötet und über 150 verletzt.

Unter den Opfern waren nicht nur Mitarbeiter des Zentrums, sondern auch Passanten, der Besitzer einer benachbarten Druckerei, ein Bäckereiauslieferer, sowie Maurer und Elektriker, die gerade Arbeiten im Gebäude durchführten.

Der Terroranschlag auf diese Einrichtung, die 1894 von jüdischen Einwanderern aus verschiedenen Teilen Europas gegründet wurde, erschütterte das ganze Land. Er war zwar nicht der erste Angriff auf die jüdische Gemeinde in Argentinien, die mit mehr als 250.000 Mitgliedern die größte in Lateinamerika ist. Bereits zwei Jahre zuvor, am 17. März 1992, wurden bei einem Selbstmordanschlag gegen die israelische Botschaft in Buenos Aires 29 Menschen getötet und über 240 verletzt. Auch wenn Verbindungen zur Hisbollah und zur Terrorgruppe Islamischer Dschihad vermutet werden, wurden die Täter nie eindeutig identifiziert.

Für die argentinische Politologin Mariana Llanos vom Hamburger GIGA-Institut war der Anschlag von 1994 auf das jüdische Gemeindezentrum jedoch von viel größerer Dimension: "Es ist ein komplizierter Fall, vor allem für ein Land, in dem die Justiz langsam und ineffizient ist", sagt sie im Gespräch mit der DW. Der Attentäter, ein 21-jähriger Libanese, konnte erst nach 20 Jahren und nur mithilfe aufwändiger DNA-Tests identifiziert werden. Doch die Hintergründe des Anschlags liegen noch immer im Dunkeln. Bis heute wurde niemand verurteilt.

Argentinien Buenos Aires Bombenanschlag auf AMIA Gebäude 1994
Der Bombenanschlag von 1994 war der schwerste in der argentinischen Geschichte. Bild: AFP/A. Burafi

Einige Beobachter gehen davon aus, dass der Anschlag mit der politischen Neuorientierung Argentiniens und einer Änderung der Politik gegenüber dem Iran zu jener Zeit zu tun hatte. 1991 beschloss die Regierung des damaligen Präsidenten Carlos Menem, millionenschwere Lieferungen argentinischer Atomtechnik in den Iran zu stoppen. Auch der rätselhafte Tod des Sohnes von Carlos Menem bei einem Helikopterabsturz 1995 wird mit dem Iran in Verbindung gebracht. Alles also Racheakte Teherans?

25 Jahre Straflosigkeit

Wirklich aufgeklärt ist eigentlich nur die Art und Weise, wie der Anschlag ausgeführt wurde: Ein Lieferwagen, beladen mit etwa 300 Kilo Sprengstoff, fuhr in das Gebäude in der Calle Pasteur 633 und brachte es direkt zum Einsturz. Aber über die Schuldigen weiß man auch nach über 25 Jahren nichts.

Die Ermittlungen zur Aufklärung des Anschlages begannen nur schleppend und weiteten sich dann in den folgenden Jahren auf mehrere Polizei- und Regierungsbeamte einschließlich des ehemaligen Präsidenten Carlos Menem aus. Unter anderem wurden sie der Behinderung der Justiz, der Korruption und Veruntreuung von Geldern, sowie der Vertuschung verdächtigt.

Im Jahr 2004 wurde der zuständige Ermittlungsrichter Juan José Galeano abgesetzt, weil er an der Zahlung von 400.000 US-Dollar an einen Autohehler beteiligt war, damit dieser fälschlicherweise Polizeikräfte in Buenos Aires beschuldigt. Im vergangenen Februar wurden der Ex-Ermittlungsrichter, der Autohehler und ein Ex-Geheimdienstchef wegen Vertuschung und anderer Straftaten verurteilt. Ex-Präsident Carlos Menem und vier weitere Angeklagte wurden freigesprochen.

"Alles was wir bisher haben, ist also die unwiderlegbare Tatsache, dass es eine Vertuschung von höchsten Stellen des argentinischen Staates gab. Abgesehen davon haben wir in der argentinischen Justiz absolut nichts erreicht", sagt Diana Wassner, Leiterin von "Memoria Activa", einer Gruppe von Opfern und Angehörigen des Angriffs auf das Gemeindezentrum Amia im Gespräch mit DW.

Die iranische Spur

2004 setzte der damalige argentinische Präsident Néstor Kirchner eine neue Ermittlungskommission unter der Leitung des Sonderstaatsanwalts Alberto Nisman ein. Dieser kam bald zum Ergebnis, dass der Iran der Auftraggeber des Anschlags war, der von einer Hisbollah-Gruppe durchgeführt wurde. Nisman erließ auch internationale Haftbefehle gegen iranische Bürger.

Pro Nisman Demo in Buenos Aires
Der Mord an Alberto Nisman zerstörte die Hoffnungen vieler Opfer des Anschlags. Bild: picture-alliance/AP Photo/Pisarenko

Im Jahr 2015 kritisierte Nisman scharf die Einrichtung einer argentinisch-iranischen "Wahrheitskommission" und beschuldigte die damalige Präsidentin Cristina Kirchner der Vertuschung. Kurz vor einer Anhörung vor dem argentinischen Kongress wurde Nisman in seiner Wohnung erschossen aufgefunden. Der Mord an dem Sonderstaatsanwalt zerstörte die letzten Hoffnungen der meisten Opfer und Angehörigen auf eine vollständige Aufklärung des Anschlags von 1994 und eine gerechte Bestrafung der Schuldigen.

"Alle Prozesse verliefen im Nichts, weil auf eine Lüge die nächste folgte und dann wieder eine, um die erste zu decken, und immer so weiter. So entstand ein Schneeballsystem an Lügen", sagt Diana Wassner. "Nach 25 Jahren glaube ich nicht mehr an Gerechtigkeit und Aufklärung. Aber deswegen ist eine Verurteilung wegen Vertuschung so wichtig, denn diese Leute sind dafür verantwortlich, dass wir nichts haben", fügt sie hinzu.

Wassners letzte, vage Hoffnung ist die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (IACHR). 1999 reichte der Opferverband "Memoria Activa" Klage bei diesem Organ der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ein. Noch immer wartet Wassner auf den Abschlussbericht, mit dem der Fall vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte mit Sitz in Costa Rica kommen könnte.

Argentinien bezichtigt jetzt offiziell die Hisbollah

Genau 25 Jahre nach dem Anschlag kommt immerhin neue Bewegung in den Fall. Das argentinische Finanzministerium, genauer: die dortige Einheit zur Bekämpfung der Geldwäsche, teilte mit, die libanesische Hisbollah-Miliz sei als Verantwortliche für die Tat identifiziert worden.

Zudem folgten direkt Konsequenzen: Die Hisbollah wurde von Argentinien als Terrororganisation eingestuft; ihr Vermögen soll eingefroren werden. Die schiitische Hisbollah, was übersetzt "Partei Gottes" heißt, entstand 1982 mit Unterstützung des Iran. Sie versteht sich als Antwort auf die israelische Invasion im Libanon. Seit 1992 ist die Hisbollah im libanesischen Parlament vertreten, sie kämpft aber auch mit Gewalt gegen Israel und für eine "Herrschaft des Islams".