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Armenien-Resolution erzürnt Türkei

Richard A. Fuchs, Berlin 2. Juni 2016

Der Bundestag hat fast einstimmig die Armenien-Resolution verabschiedet. Die Massaker an Armeniern durch das Osmanische Reich vor 101 Jahren werden darin Völkermord genannt. "Ein historischer Fehler", sagt die Türkei.

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Die Türkei ist erbost, die Vertreter der armenischen Gemeinde sagen "Danke": Armenien-Resolution im Bundestag (C) picture-alliance/dpa/M. Kappeler
Die Türkei ist erbost, die Vertreter der armenischen Gemeinde sagen "Danke"Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Die Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages sorgt für ein gehöriges Maß an diplomatischem Wirbel. Wenige Minuten nachdem das deutsche Parlament einen Antrag verabschiedet hat, in dem die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als "Völkermord" bezeichnet werden, kam prompt die Antwort aus der Türkei. Der türkische Regierungssprecher twitterte, die Resolution sei "ein historischer Fehler". In der Resolution sprechen die deutschen Parlamentarier davon, dass die Massaker an bis zu 1,5 Millionen Armeniern und Anhängern anderer christlicher Minderheiten vor mehr als 100 Jahren systematisch und gezielt abliefen - was eine Anerkennung als "Völkermord" rechtfertigt. Für den türkischen Regierungssprecher ist der Beschluss des Bundestages "null und nichtig", für sein Land "gegenstandslos".

Türkischer Botschafter wird unter Protest abberufen

Wenig später machte dann die Nachricht die Runde, dass die Türkei auch ihren Botschafter aus Deutschland abzieht. Offiziell hieß es, damit dieser an Beratungen mit dem türkischen Ministerpräsidenten in Ankara teilnehmen kann. Ein Vertreter der deutschen Botschaft wurde im Gegenzug in Ankara einbestellt. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich im Vorfeld der Debatte still gezeigt hatte und an der Abstimmung nicht teilnahm, meldete sich unverzüglich zu Wort. Sie betonte den Wert der deutsch-türkischen Beziehungen - und auch deren Standhaftigkeit in Krisenzeiten. Auch wenn man in einer Frage unterschiedlicher Meinung sei, so seien doch die freundschaftlichen und strategischen Beziehungen gut, wird die Kanzlerin von Agenturen zitiert.

"Drohungen sind inakzeptabel": Bundestagspräsident Lammert (C) picture-alliance/dpa/M. Kappeler
"Drohungen sind inakzeptabel": Bundestagspräsident LammertBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Steinmeier: "Hoffe, dass die Türkei nicht überreagiert"

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte der Deutschen Welle bei einem Besuch in Argentinien, es handele sich um eine "unabhängige Entscheidung des Bundestags". Die Türkei habe "erwartungsgemäß" darauf reagiert. Weiter führte Steinnmeier aus: "Ich hoffe, wir können in den nächsten Tagen dafür sorgen, dass es zu keinen Überreaktionen kommt."

Deeskalierende Töne waren zuvor bereits im Bundestag zu hören. Bundestagspräsident Norbert Lammert verwies auf die deutsche "Mitschuld" an den Massakern an den Armeniern, weshalb jetzt auch eine deutsche Antwort erforderlich sei. Der Hintergrund: Das Deutsche Kaiserreich war damals Hauptverbündeter des Osmanischen Reiches und hat sich nach Ansicht internationaler Historiker durch Wegsehen, Tolerieren und teilweise Unterstützen der Tötungsmaschinerie mitschuldig gemacht. "Der Deutsche Bundestag kann und will unbequemen Fragen und Antworten nicht aus dem Weg gehen - zumal dann, wenn wie bei dem Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten vor 100 Jahren im Osmanischen Reich, das Deutsche Reich selbst Mitschuld auf sich geladen hat", so Lammert.

Auch der Bundestag spricht jetzt vom Völkermord an den Armeniern. Foto: Michael Kappeler/dpa
Auch der Bundestag spricht jetzt vom Völkermord an den ArmeniernBild: picture-alliance/dpa/S. Pilick

Lammert: "Morddrohungen sind inakzeptabel"

Wohl wissend, mit welchen Reaktionen von Seiten der aktuellen AKP-Regierung in der Türkei zu rechnen war, sagte Lammert weiter: "Die heutige Regierung in der Türkei ist nicht verantwortlich für das, was vor 100 Jahren geschah - aber sie ist dafür verantwortlich, was daraus in Zukunft wird." Bislang lehnt die türkische Politik die Einordnung der Geschehnisse als Völkermord strikt ab - und beruft sich dabei auf die Kriegswirren im Ersten Weltkrieg, als Gräueltaten auf allen Seiten geschehen seien.

Für Historiker außerhalb der Türkei ist es inzwischen erwiesen, dass es sich bei den Massakern um gezielte und systematische Pogrome gehandelt habe, mit dem Ziel der ethnischen Säuberung und Vertreibung. Cem Özdemir, Bundestagsabgeordneter der Grünen und treibende Kraft für die Verabschiedung der Resolution, entgegnete all jenen, die das Timing für eine solche historische Klarstellung für unpassend halten: "Der Zeitpunkt, um über etwas so unvorstellbar Grausames wie einen Völkermord zu sprechen, ist nie günstig." Außenpolitisch bringt die Klarstellung die Bundesregierung in eine missliche Lage, weil gerade im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise die Türkei zum unverzichtbaren Partner geworden ist. Auch deshalb wohl glänzte die Regierungsmannschaft an diesem Tag durch weitgehende Abwesenheit - um weiteren diplomatischen Schaden zu vermeiden.

Er war treibende Kraft hinter dieser Resolution: Cem Özdemir
Er war die treibende Kraft hinter dieser Resolution: Cem ÖzdemirBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Wiederbelebung der Züricher-Gespräche angestrebt

Mit welch harten Bandagen im Vorfeld gekämpft wurde, war auch Teil der Aussprache im Bundestag. Mehrere Parlamentarier mit türkischem Familienhintergrund wurden Opfer von Hetzkampagnen - darunter auch Özdemir. Selbst Morddrohungen wurden ausgesprochen, wodurch für den Bundestagspräsidenten eine rote Linie überschritten war. "Drohungen mit dem Ziel, die freie Meinungsbildung des Deutschen Bundestages zu verhindern, sind inakzeptabel", sagte Lammert. CDU-Politiker Franz-Josef Jung betonte, man dürfe das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Und das Ziel dieser Armenien-Resolution sei es, einen Impuls für die Wiederaufnahme von Aussöhnungsgesprächen zu geben. 2009 hatten sich die Türkei und Armenien in Zürich darauf verständigt, eine gemeinsame Historikerkommission aufzustellen. Der damals geschlossene Vertrag wurde bis heute aber nicht ratifiziert - weshalb die Aussöhnung stockt.

Ergriffene Gesichter in der armenischen Gemeinde
Ergriffene Gesichter in der armenischen GemeindeBild: Reuters/H. Hanschke

"Versöhnung kann man nicht beschließen", sagte Dietmar Nietan, Außenpolitiker von der SPD. Aber es gelte, neue Möglichkeiten zu schaffen, diese Versöhnung angehen zu können. Was im Bundestag beschlossen wurde, das sei eine solche neue Chance. Sein Fazit der Debatte: "Das ist keine Anklageschrift, sondern das ist eine Verneigung vor den Opfern." Die Nachfahren dieser Opfer waren zahlreich in den Bundestag gekommen. Die armenische Gemeinde besetzte zwei Besuchertribünen. Nach dem Beschluss der Resolution hoben sie Pappschilder in die Höhe - mit dem Wort: "Danke".