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"Armut mit Wirtschaftswachstum bekämpfen"

Mirjam Gehrke4. April 2012

Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) setzt auf die Rolle der Privatwirtschaft zur Bekämpfung der Armut. Investitionssicherheit in Entwicklungsländern sei notwendig, so Niebel im DW-Interview.

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Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Deutsche Welle: Herr Minister, Deutschland bewirbt sich um den Sitz des neuen "Green Climate Fund" (GCF) in der Bundesstadt Bonn. Der Fonds wird einen substantiellen Teil der Klimafinanzierung umsetzen, die bis 2020 auf jährlich 100 Milliarden US-Dollar anwachsen soll. Womit werben Sie für den Standort Deutschland?

Dirk Niebel: Deutschland ist der zweitgrößte Geber weltweit im Bereich von Klimamaßnahmen. Wir haben ein hohes Maß an Erfahrung und Expertise im diesem Bereich. Das Übergangssekretariat des "Green Climate Fund" sitzt in Bonn. Wir haben ein Bewerbungspaket zusammengestellt mit allem was notwendig ist, um eine internationale Organisation zu motivieren hierher zu kommen - von attraktiven  Angeboten des Arbeitsmarktzugangs über Immunitätsregelungen bis hin zu Sprachkursen und der Übernahme der Kosten von Delegationsreisen für die ärmsten Länder. Bonn ist internationaler Standort der Vereinten Nationen sowie zahlreicher Nichtregierungsorganisationen aus dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sowie das Entwicklungs- und das Umweltministerium haben ihren ersten Sitz in Bonn.

Klimaschutz und Anpassung an Klimawandel sind wichtige Elemente zur Armutsbekämpfung. Bis 2015 soll der Anteil der Weltbevölkerung, der unter extremer Armut und Hunger leidet, halbiert werden – so besagt es das erste Milleniumsentwicklungsziel. Wo stehen wir heute, weniger als drei Jahre vor dem gesetzten Termin?

Wenn wir die Zahlen der Weltbank zugrunde legen, sind wir bei der Halbierung der Armut einen großen Schritt weitergekommen. Das darf uns aber nicht ausruhen lassen. Ich glaube, dass wirtschaftliches Wachstum in Entwicklungsländern gerade im Bereich Armutsreduktion notwendig ist. Dafür braucht es entsprechende Rahmenbedingungen: einen Rechtsrahmen, der es ermöglicht, dass Investitionen getätigt werden. Ebenso wichtig sind die Bekämpfung von Korruption und die Absicherung von Investitionen, auch aus dem Ausland, damit durch diese Investitionen Arbeitsplätze entstehen und Menschen durch eigene Arbeit der Armut entfliehen. Auf der anderen Seite müssen die Staaten Steuern einnehmen, mit denen sie notwendige Basisdienstleistungen wie Gesundheitsversorgung, Infrastruktur oder Bildungssysteme finanzieren können.

Interview Dirk Niebel - MP3-Mono

Entwicklungszusammenarbeit trotz Finanzkrise

Die OECD befürchtet, dass Deutschland seine Verpflichtung, bis 2015 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, nicht einhalten wird. Wie sicher ist der Entwicklungsetat in Zeiten einer globalen Finanzkrise?

Wir haben in den Jahren 2010, 2011 und 2012 kontinuierlich den Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erhöht. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht durch die Strukturreform der staatlichen Entwicklungsdurchführungsorganisationen, um ein höheres Maß an Effizienz und Wirksamkeit zu erzielen, und mit dem vorhandenen Geld zu besseren Ergebnissen zu kommen. (Anm. d. Red.: Am 1. Januar 2011 wurde der Deutsche Entwicklungsdienst "DED", die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit "GTZ" und die Internationale Bildungsorganisation InWent zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit "GIZ" zusammengeführt.)

Wir werden die offiziellen OECD-Zahlen für die sogenannte ODA-Quote (Anm. d. Red.: Official Development Assistance - Sie umfasst die Bereitstellung finanzieller, technischer und personeller Leistungen im Rahmen der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit) des vergangenen Jahres bekommen, und ich bin guter Dinge, dass wir schon im vergangenen Jahr 0,4 Prozent erreicht haben, und das trotz 3 Prozent Wirtschaftswachstum.

Nord-Süd-Abhängigkeit

Bundeskanzlerin Angela Merkel Kanzleramt in Berlin neben dem mongolischen Präsidenten Tsakhia Elbegdorj(Foto: DPA)
Der mongolische Präsident Tsakhia Elbegdorj zu Besuch bei Kanzlerin MerkelBild: picture-alliance/dpa

Die deutsche Wirtschaft hat gerade eine Allianz zur Rohstoffsicherung gegründet, die Bundesregierung will Rohstoffpartnerschaften mit Kasachstan und der Mongolei eingehen. Das klingt nach den alten Mustern: Der Süden ist Rohstofflieferant für den industrialisierten Norden. Müsste nicht der Norden zum Absatzmarkt für Entwicklungs- und Schwellenländer werden, damit von echter wirtschaftlicher Entwicklung die Rede sein kann?

Genau das ist der Zweck der Rohstoffpartnerschaften. Ich habe im August 2010 in der Mongolei diese Initiative für eine Rohstoffpartnerschaft angestoßen, die dann im vergangenen Jahr von der Kanzlerin unterschrieben worden ist.

Natürlich ist der Süden weiterhin der Rohstofflieferant, weil es dort die Rohstoffe gibt. Wir wollen mit den Rohstoffpartnerschaften dazu beitragen, dass die Inwertsetzung für die Menschen in den Ländern, in denen sich die Rohstoffe befinden, deutlich verbessert wird.

Die Rohstoffpartnerschaften in der Mongolei dienen dazu, Transparenz bei der Vergabe von Schürfrechten herzustellen. Diese werden im Moment wie Aktien gehandelt. Das kann nicht das Ziel des Staates sein. Wenn eine Lizenz vergeben wird, dann nur damit ein Rohstoff abgebaut wird und entsprechende Einnahmen erzielt werden können.

Wir wollen dabei helfen, die Transparenz der Geldflüsse zu gewährleisten. Das ist eine zentrale Voraussetzung zur Bekämpfung der Korruption. Gemeinsam mit der deutschen Wirtschaft wollen wir Anteile von Wertschöpfungsketten in dem Land, wo der Rohstoff sich befindet, implementieren. So kann ein höherer Mehrwert für die Bevölkerung des Landes erzielt werden. Durch Arbeitsplätze könne die Menschen der Armut entfliehen. Und der Staat kann höhere Steuereinnahmen erzielen. Auf der anderen Seite bietet sich auch die Chance, Maschinen und Anlagen abzusetzen, die für diese Prozesse benötigt werden.

So haben beide etwas davon. Eine Rohstoffpartnerschaft kann nur dann fair funktionieren, wenn ein hoher Anteil des Mehrwertes dieses Rohstoffabbaus und –verkaufs durch Veredelungsschritte im Herkunftsland passiert.

Welche Rolle spielen die Menschenrechte dabei, wenn es zum Beispiel um die Auswirkungen des Bergbaus auf Menschen und Umwelt geht?

Es ist ausdrücklich Bestandteil unserer Rohstoffpartnerschaften, für die Einhaltung der Menschenrechte, aber auch von Umwelt- und Sozialstandards zu sorgen. Im Rahmen der Rohstoffpartnerschaft in der Mongolei unterstützen wir mongolische Nichtregierungsorganisationen dabei, dass genau diese Standards eingehalten werden. Im Rahmen des Politikdialogs, den wir dazu mit der Regierung führen, achten wir darauf, dass diese Standards eingehalten werden.

Das Ziel ist, sozialverträglichen, umweltschonenden Rohstoffabbau so zu gestalten, dass möglichst viele Menschen in dem produzierenden Land einen Vorteil davon haben. Darüber hinaus soll die Regierung durch Steuereinnahmen in die Lage versetzt werden, in größerer Unabhängigkeit von schwankenden Rohstoffpreisen auch Gelder für die Investition in anderen Sektoren der Wirtschaft zu haben, zum Beispiel in ländlichen Räumen. Das ist gerade in der Mongolei von großer Bedeutung.

Umwelt und Entwicklung gehören zusammen

In diesem Jahr wird die globale Agenda von der "Rio +20" Konferenz beherrscht. Mit welchen Themen wird Deutschland sich dort positionieren?

Wir haben die Konferenz "Rio +20" im vergangenen Jahr in Bonn vorbereitet durch die "Water Energy Food Nexus"- Konferenz. Zum ersten Mal überhaupt wurden die drei Bereiche Wasser, Ernährungssicherheit und Energieversorgung nicht einzelnd, sondern in ihren Wechselwirkungen betrachtet. Wir werden bei der Rio-Konferenz viel mehr in Wirkungskreisen und Wirkungszyklen diskutieren müssen als früher.

Rio darf nicht nur eine reine Umweltkonferenz werden. Es muss auch eine Entwicklungskonferenz sein. Beides ist voneinander kaum noch zu trennen. Umwelt- und Entwicklungsfragen hängen so eng miteinander zusammen, was die Lebensbedingungen von Menschen, die Bekämpfung von Armut und die Zukunftssicherung von Staaten betrifft, dass sie auch zusammen diskutiert und entschieden werden müssen.

Insofern hoffe ich, dass wir gerade auch durch moderne Technologien einen Beitrag leisten können, die Lebensbedingungen für die Menschen in der Welt insgesamt zu verbessern. Wenn es in Rio zu einem Paradigmenwechsel kommen würde, wäre es ein großer Erfolg.