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Macht Artenvielfalt satt?

27. Oktober 2011

Industrieller Ackerbau und Massentierhaltung bestimmen heutzutage das Bild der Landwirtschaft. Die frühere Vielfalt der Arten auf dem Acker ist damit geschwunden. Was bedeutet das für die Sicherheit der Welternährung?

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Eine Frau bei der Sojaernte in Argentinien (Foto: AP/Gustavo Ercole)
Soja - eines von vier zentralen GrundnahrungsmittelnBild: AP

Mittelgroße Felder, ein Weiher, Streuobstwiesen, eine Weide mit Schafen, Ziegen, Kühen und Schweinen und ein Kräutergarten hinter dem Haus – so sahen landwirtschaftliche Betriebe in Europa noch Anfang des 20. Jahrhunderts aus. Ein Jahrhundert später hat sich das Bild grundlegend gewandelt. Der Großteil der weltweiten Agrarproduktion entsteht in industriellen Großbetrieben, die ihre Ackerflächen intensiv bearbeiten, um einen möglichst hohen Ertrag zu erwirtschaften.

Ein Kind umarmt eine Kuh (Foto: Urlaub auf dem Bauernhof in Bayern)
Der naturnahe Bauernhof - Idylle von gestern oder artenreiche Zukunft?Bild: Urlaub auf dem Bauernhof in Bayern

Durch die Spezialisierung der Produktion auf bestimmte Tiere und Pflanzen ist dabei die Artenvielfalt in der Landwirtschaft deutlich zurückgegangen. Nach Schätzungen des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) ist die Vielfalt der Nutzpflanzen seit Beginn des 20. Jahrhunderts um 90 Prozent eingebrochen. Ähnlich sieht es bei Nutztieren aus: Weltweit seien demnach in den letzten 100 Jahren etwa 1000 der bekannten 6500 Nutztierrassen ausgestorben.
Besonders dramatisch ist die Entwicklung bei den vier wichtigsten Nutzpflanzen der Welt, nämlich Reis, Weizen, Mais und Soja. Diese machen etwa 90 Prozent der weltweiten Pflanzenproduktion aus. "Und unter diesen sind auch nur noch sehr wenige Sorten beteiligt," , warnt Andreas Krug, Abteilungsleiter für nachhaltige Landnutzung beim Bundesamt für Naturschutz, BfN.

Wenige Pflanzen ernähren die Menschheit

Andreas Krug, Abteilungsleiter für integrativen Naturschutz, nachhaltige Nutzung und Gentechnik beim Bundesamt für Naturschutz in Bonn (Foto: DW/ Fabian Schmidt)
Andreas Krug fordert nachhaltige LandwirtschaftBild: DW/Fabian Schmidt

Aber nicht nur die Artenvielfalt leidet unter der industriellen Massenproduktion. In Regionen mit hochindustrialisierten Agrarbetriebe wird das Grundwasser stark mit Nitraten und Pflanzenschutzmitteln belastet. Auch nimmt die Erosion zu, weil die Flächen einen Teil des Jahres brachliegen oder dort Pflanzen wie Mais angebaut werden, die Erosion fördern. "Das führt zu Bodenverlusten," so Krug.

Den Hauptgrund für die Intensivierung der Landwirtschaft sieht der Bonner Agrarökonom Ernst Berg in der Nachfrage nach Futtermitteln, insbesondere Mais und Soja. Die sei aufgrund der guten weltweiten Wirtschaftsentwicklung gestiegen. „Das führt dazu, dass sich die Verzehrsgewohnheiten ändern: Von den pflanzlichen Erzeugnissen stärker hin zu tierischen Produkten - Fleisch, Milch Käse", so der Wissenschaftler.

Weizen (Foto: Rebel)
Weizen in Deutschland: Knapp 400 Sorten sind zugelassen. Kommerziell bedeutsam sind nur 30.Bild: fotolia

Um 100 Gramm Fleisch zu produzieren braucht man aber etwa 20-mal mehr landwirtschaftliche Fläche, als für dieselbe Menge Getreide. Die verfügbaren Flächen aber schrumpfen. Ackerflächen fallen dem Wohnungsbau, Gewerbe - oder auch Straßenbau zum Opfer. In den Industrienationen werden sie manchmal auch zu ökologischen Ausgleichsflächen erklärt.

In Entwicklungsländern geht Agrarfläche zudem durch Umweltzerstörung verloren, erläutert Berg: "Vor allem durch Bodendegradation, Wüstenbildung und dadurch, dass Flächen nicht gedüngt werden oder mit ungünstigen Bewässerungstechnologien bearbeitet werden: Indem die Felder geflutet werden, verdunstet ein Großteil des Wassers schlicht. Der Boden versalzt."

Kampf um die Fläche

Der Bonner Agrarökonom Ernst Berg (Foto: DW/Fabian Schmidt)
Für Ernst Berg widersprechen sich Vielfalt und MasseBild: DW/ Fabian Schmidt

Zwar würde die weltweite Pflanzenproduktion durchaus reichen, um alle Menschen zu ernähren, dennoch liegt der weltweite Verbrauch an Lebensmitteln zur Zeit kontinuierlich über der Produktion - weil viele Pflanzen als Futter oder Treibstoff enden. Dadurch schrumpfen die Lagerbestände. Deshalb müsse auf der verfügbaren Fläche noch mehr produziert werden. Dies führe zwangsläufig zu intensiver Landwirtschaft und zu größeren Betriebseinheiten, meint der Bonner Agrarökonom.

Der Naturschutz-Experte Krug widerspricht: Nicht die intensive und einseitige Bewirtschaftung sichere die Welternährung. Stattdessen sei Artenvielfalt auf Äckern und Feldern wichtig. Agrarlandschaften mit vielen Arten seien widerstandsfähiger, erklärt Krug . "Wir brauchen die Biodiversität als Grundlage der Nahrungsmittelsicherheit," sagt er. Wichtig sei, verschiedene Kulturpflanzen anzubauen und zwar mit einer vielfältigen Fruchtfolge: "Auf einem Acker die eine, auf einem anderen Acker eine andere, damit man das Risiko verteilt." Auch müssten mehr Sorten gepflanzt werden, die an die Wetter- oder Klimasituation, an den Boden, den Wasserbedarf und an die Schädlingssituation vor Ort angepasst sind, besonders in Ländern in denen häufig Hungersnöte auftreten.

Auch die gerechte Verteilung wirtschaftlicher Ressourcen sei wichtig für die Bekämpfung des Hungers. Kleinbauern müssten Landrechte bekommen, weil sie den entscheidenden Beitrag zur Ernährung der Bevölkerung leisten. Und diese seien mit den angepassten heimischen Sorten meist besser bedient als mit importierten Hochleistungssorten, die einen teuren Dünger- und Pflanzenschutzmitteleinsatz und damit finanzielle Abhängigkeit nach sich ziehen.

Widerstandskraft aus Vielfalt

Zudem habe eine kleinteilige und vielfältige Landwirtschaft neben der Biodiversität noch andere praktische Vorteile. "Ganz wichtig ist, dass dort Bienen oder auch andere Insekten die Voraussetzung dafür schaffen, dass unsere Kulturpflanzen befruchtet, bestäubt werden," sagt der Agraringenieur. Das gelte ebenso für Obstbäume und Gemüse. Ackerrandstreifen schaffen dabei Refugien für Insekten und auch Vögel, die wiederum Schädlinge bekämpfen. "Der Ausbruch einer Schädlingsepidemie, kann dadurch zum Teil auch verhindert werden." Zudem bieten Hecken Windschutz gegen Erosion.

Ein Feldhase auf einer grünen Wiese (Foto: Illuscope)
Ein Nahrungskonkurrent des Menschen?Bild: Illuscope

Der Agrarökonom Berg hingegen bezweifelt, dass der Schutz der Biodiversität der Landwirtschaft zwangsläufig diene. Zwar müssten Agrarökosysteme auch für die Landwirtschaft funktionell sein, dazu würden aber Mindeststandards ausreichen. "Wenn Sie Bienen zur Bestäubung brauchen, müssen sie auch dafür Sorgen, dass das Gelände bienentauglich bleibt." Aber in anderen Bereichen brauche die Landwirtschaft keine Biodiversität. So seien zum Beispiel Rebhühner oder Feldhasen für Bauern nicht nützlich.

"Tauben, Feldhamster, Kornblumen und Raden sind schlicht und ergreifend konkurrierendes Leben." Wenn man das Ziel habe, dieses durch die Gestaltung entsprechender Habitate zu erhalten, stünde das in Konkurrenz zu einer intensiven Flächennutzung, die das Ziel hat, möglichst viel zu produzieren. "Dieser Konflikt lässt sich nicht auflösen," resümiert Berg. Deshalb stelle die Forderung nach Naturschutz und Biodiversität einerseits und nach Sicherung der Welternährung andererseits die Menschheit vor ein ethisches Dilemma, das sich nur politisch lösen lasse.

Die Politik jedenfalls, hat sich dem Thema angenommen: Die deutsche Bundesregierung hat eine nationale Strategie zur biologischen Vielfalt verabschiedet und auch die EU plant ihre Agrarsubventionen in Zukunft davon abhängig zu machen, ob Bauern Fruchtfolgen einhalten und unbeackerte Randstreifen an ihren Äckern belassen.

Den Druck auf den Weltmarkt für Futtermittel wie Soja, werden diese Maßnahmen allerdings nicht senken. Das wird vor allem in Südamerika angebaut. Zudem hält der Agrarökonom Berg die genetische Vielfalt der Nutzpflanzen ohnehin nicht für bedroht. Für ihn muss Biodiversität nicht notwendig auf dem Acker stattfinden: "Das kann ich im Prinzip in Genbanken tun". Und solche Genbanken gebe es mittlerweile weltweit - und damit immer die Möglichkeit Rück-Kreuzungen und neue Sorten zu entwickeln.

Autor: Fabian Schmidt
Redaktion: Matthias von Hein